Alternative zu Riester "Deutschland braucht ein Vorsorgekonto"

Sieht Bedarf für ein staatsfondsähnliches Altersvorsorgeprodukt: Hubert Seiter, Chef der Deutschen Rentenversicherung Baden-Württemberg
mm: Herr Seiter, braucht Deutschland eine Alternative zu den Altersvorsorgeprodukten der Banken- und Versicherungswirtschaft?
Seiter: Die Riester-Rente hat nach zehn Jahren weniger als die Hälfte der geschätzt 38 Millionen Förderberechtigten erreicht. Von 15 Millionen Verträgen haben die Verbraucher bereits zwei Millionen wieder gekündigt und ebenso viele beitragsfrei gestellt. Viele Verbraucher empfinden das Zulagensystem als zu kompliziert und die Produkte als zu teuer. Tatsächlich fressen die Kosten vieler Policen einen erheblichen Teil der staatlichen Förderung auf. Wegen der Komplexität des Systems rufen viele Menschen die Förderung nicht ab, machen Fehler, sind irritiert und steigen aus dem System wieder aus. Das kann nicht Ziel der Altersvorsorge in Deutschland sein.
mm: Wie könnte die Alternative aussehen?
Seiter: Wir sind überzeugt, dass das "Vorsorgekonto", wie wir es hier in Baden-Württemberg in seinen Grundzügen entwickelt haben, eine transparente, günstige Alternative zu den herkömmlichen Vorsorgeprodukten bietet.
mm: Wen will die Deutsche Rentenversicherung mit dem "Vorsorgekonto" erreichen?
Seiter: Wir haben jene im Blick, die ein hohes Sicherheitsbedürfnis haben, die den Produkten der Versicherungswirtschaft vielleicht auch ein Stück weit misstrauen und den Trägern der gesetzlichen Rentenversicherung mehr zutrauen, als es andere tun, aber dennoch nicht zusätzlich vorsorgen. Um es hier deutlich zu sagen, wir halten das Vertrauen in die gesetzlichen Rentenversicherungsträger für berechtigt. Jedenfalls können die Menschen davon ausgehen, dass sie von der objektiven Beratung bis zum kostengünstig verwalteten Konto von uns alles erhalten werden, wenn sie es wünschen.
mm: Was ist das Ziel des "Vorsorgekontos"?
Seiter: Die Rente mit 67 stellt viele Menschen vor ein Problem. Ihre Abschläge werden wegen eines früheren Renteneintritts steigen. Die Verbraucher könnten das auf dem "Vorsorgekonto" angesparte Geld dazu verwenden, diese Abschläge zurückzukaufen, was bisher nach geltendem Recht grundsätzlich nur en bloc möglich ist. Sie sparen also Vorsorgevermögen an, um ab 63 mit geringeren Abschlägen oder gar abschlagsfrei in den Ruhestand zu gehen. Vorsorgekapital, das der Verbraucher nicht für den Rückkauf dieser Abschläge benötigt, bildet eine zusätzliche Monatsrente. Da wird nichts einbehalten, wir sind eine Non-Profit-Organisation, das "Vorsorgekonto" wäre ohnehin frei von Abschluss- und Provisionskosten.
mm: Wer sollte das "Vorsorgekonto" verwalten?
Seiter: Zunächst denken wir da natürlich an die Rentenversicherungssträger selbst. Wir haben die Logistik und das Knowhow dazu. Wir bunkern das Geld auch nicht einfach im Keller, sondern legen es dann selbstverständlich nach den Vorgaben des Sozialgesetzbuches sicher an. Spekulation ist uns untersagt, in der Anlage sind wir höchst vorsichtig, seriös und konservativ.
"Wertverluste müssen praktisch ausgeschlossen sein"
mm: Was heißt das, welche Assetklassen kämen dann in Frage?
Seiter: Wir müssen das Geld quasi mündelsicher anlegen, Wertverluste müssen praktisch ausgeschlossen sein. Das können deutsche Staatsanleihen oder Anleihen bester Bonität sein, aber auch Festgeld oder Termineinlagen bis zu einer bestimmten Höhe, die einem Sicherungsfonds unterliegen. Sie dürfen davon ausgehen, dass die Rechnungshöfe jederzeit ein Auge darauf haben, dass kein Geld in risikoreiche Anlagen fließt. Im umlagefinanzierten Rentensystem ist uns exakt vorgeschrieben, was wir dürfen und was nicht. Diese Anlageregeln wären dann auch die die Blaupause für das "Vorsorgekonto".
mm: Der Versicherte kann also nicht mit großen Renditesprüngen rechnen, wenn er sein Geld auf ein "Vorsorgekonto" einzahlte.
Seiter: Wenn dies sein Ziel ist, muss er sich ein anderes Produkt aussuchen, wir sind dann die falsche Adresse.
mm: Sieht das DRV-Konzept vor, dass man die Kapitalanlage in einer Art "Beauty-Contest" ausschreibt, um damit die günstigste und bestmögliche Lösung für den Verbraucher zu erzielen?
Seiter: Damit hätten wir vermutlich kein Problem, solange sich die Bewerber an die strikten Anlagevorschriften des Sozialgesetzbuches halten. Es ist also durchaus nicht ausgeschlossen, dass im Zuge einer Ausschreibung ein Dritter die Kapitalanlage übernimmt. Wenn wir das - organisatorisch ausgegliedert - aber selbst genauso kostengünstig oder gar günstiger machen können, wäre es natürlich unvernünftig, die Kapitalanlage in fremde Hände zu geben.
mm: Wäre es nicht angezeigt, mehr Chancen-Risikoprofile anzubieten, um die Akzeptanz des "Vorsorgekontos" zu erhöhen, um es für breitere Bevölkerungsteile zu öffnen?
Seiter: Das ist derzeit nicht vorgesehen. Unsere Zielgruppe, die auf ein stark konservatives Anlageprofil hohen Wert legt, bei Riester aber aus verschiedenen Gründen nicht zugreift, habe ich ja bereits beschrieben. Eines sollte auch klar sein: Wir haben nicht die Absicht, mit Versicherern in Konkurrenz zu treten. Wir wollen niemandem Geschäft streitig machen oder Kunden abwerben. Wer auf Produkte anderer Anbieter setzt, die mehr Gewinn versprechen, der soll das bitte tun.
mm: Warum der etablierten Vorsorgeindustrie nicht Konkurrenz machen?
"Es ist uns nicht gelungen, Riester zu verhindern"
Seiter: Wir sind der Auffassung, dass dies uns nach europäischem und deutschem Wettbewerbsrecht nicht erlaubt ist.. Wir sollten auch eines nicht vergessen: Es ist uns damals nicht gelungen, Riester zu verhindern beziehungsweise die Bundesregierung davon zu überzeugen, dass die Rentenversicherungsträger in der Lage sind, eine zusätzliche Option zur gesetzlichen Rente aufzubauen und anzubieten. Das hatte die Politik strikt abgelehnt. Wir sind nicht so blauäugig zu glauben, das Rad der Geschichte zurückdrehen zu können, nur weil eine Finanz- und Schuldenkrise jetzt wie Blei auf den herkömmlichen Vorsorgeprodukten liegen. Mit dem "Vorsorgekonto" wollen wir schlicht einen Beitrag dazu leisten, dass sich Altersarmut in Deutschland nicht ausbreiten kann, also möglichst wenig Menschen in die Grundsicherung fallen.
mm: Sie grenzen sich deutlich von der Assekuranz ab. Darum nachgehakt: Ein Vorwurf an die Lebensversicherer lautet, sie kalkulierten ihre Produkte mit einer zu hohen Lebenserwartung, womit sich ein Vertrag oft erst rechne, wenn der Kunde steinalt wird. Wie wird es beim "Vorsorgekonto" sein?
Seiter (lacht): Wissen Sie, wir haben es da eigentlich ganz leicht. Die Deutsche Rentenversicherung verfügt über riesige Datenmengen, aus denen wir genau ersehen können, wie lange die Menschen Rente beziehen und wie sich ihre Lebenserwartung verändert hat. Wir brauchen also keine wie auch immer gearteten Sterbetafeln, wir können uns auf unsere eigenen Zahlen verlassen.
mm: Halten Sie die von der Assekuranz kalkulierten Lebenserwartungen der Kunden für angemessen?
Seiter (lacht wieder): Zumindest erweisen sie sich bei genauerer Analyse oft nicht als überzeugend.
mm: Auch die Rentenversicherung darf das Langlebigkeitsrisiko nicht ignorieren. Angenommen die "Vorsorgekonto"-Sparer leben viel länger als kalkuliert. Wer wird dann die Zuschüsse finanzieren müssen - wie gehabt der Steuerzahler?
Seiter: Am besten ist doch, wir versetzen möglichst viele Menschen in die Lage, mit angemessenen Löhnen ausreichend Beiträge für eine lebenslange gesetzliche Rente zu erwirtschaften. Klappt das nicht, müssen wir darüber nachdenken, welche Transferleistung der Staat dazulegen kann. Wir müssen uns also immer verständigen, dass für ein soziales Sicherungssystem nur das Geld zur Verfügung steht, das real erwirtschaftet wird.
mm: Das klingt plausibel, aber Sie drücken sich ein wenig um die Antwort. Sie deuten an, Rentenleistungen aus dem "Vorsorgekonto" mit realistischeren Lebenserwartungen kalkulieren zu wollen. Ginge die Rechnung wider Erwarten nicht auf und die Menschen leben einfach länger, was dann?
Seiter: Dann ist nicht auszuschließen, dass der Steuerzahler ihre Rente zum Teil mit finanzieren muss. Ebenso wenig ist aber auszuschließen, dass Menschen künftig länger bei gleichzeitig bester Gesundheit leben werden und diese dann in Zukunft auch länger arbeiten müssen. Das auf 67 Jahre heraufgesetzte Rentenalter ist mich nicht zwingend das Ende einer Entwicklung. Entscheidend für die Zukunft des Rentensystems wird auch sein, ob es uns gelingt, gesunde, qualifizierte und umgeschulte Menschen länger im Arbeitsprozess zu halten.
"Keine Konkurrenz für die private Versicherungswirtschaft"
mm: Gegenüber früheren Ideen soll der Verbraucher bestehende Vorsorgeverträge nicht in das "Vorsorgekonto" überleiten können. Warum nicht?
Seiter: Auf lange Sicht schließen wir Transfermöglichkeiten nicht aus. Man müsste dann darüber nachdenken, wie so eine freiwillige Überleitung bestehender Verträge möglichst kostengünstig und förderunschädlich ablaufen kann. Jetzt aber wollen wir darauf verzichten. Das "Vorsorgekonto" soll eben keine Konkurrenz für die private Versicherungswirtschaft darstellen .
mm: Sie waren mit dem "Vorsorgekonto" auf Roadshow bei den Rentenversicherungsträgern der einzelnen Bundesländer. Wie war die Resonanz? Trifft das Modell auf Zustimmung?
Seiter: Nach zehn Jahren Riester-Rente zeigen sich manche Träger etwas verblüfft von dem Vorstoß, aber sehr interessiert. Wir können durchaus von einer guten Zustimmung zu dem Modell innerhalb der Deutschen Rentenversicherung sprechen. Wenn einige verhaltener reagieren, dann vor dem Hintergrund, dass die Rentenversicherungsträger dieses Jahr ihre Kosten um zehn Prozent senken sollen. Beratung und andere Dienstleistungen, die wir neben unserem Kerngeschäft liefern, sind personalaufwändig. Auch ein bei uns angesiedeltes "Vorsorgekonto" wird nicht zum Nulltarif zu haben sein. Insofern lässt sich die eher zurückhaltende Zustimmung einiger meiner Kollegen erklären.
mm: Die Berliner Fachministerien lehnen ein "Vorsorgekonto" ab, wie man uns gegenüber erklärte. Die Bundesregierung hält jüngste Initiativen für mehr Transparenz für zielführender als ein vom Staat mitinitiiertes Basisprodukt. Haben Sie noch Hoffnung für den Vorstoß der Deutschen Rentenversicherung?
Seiter: Breite Ablehnung, von der Sie berichten, kann ich nicht bestätigen. Man hat aus Sicht der Ministerien jetzt Wichtigeres zu tun. So will man die Kombirente - als richtigen Impuls in Richtung höheres Renteneintrittsalter - und die Zuschussrente endlich unter Dach und Fach bringen. Das bindet aktuell viel Kräfte, wie zu hören ist. Meines Wissens haben die Ministerien das Thema "Vorsorgekonto" noch nicht abgehakt, es wird von anderen Aufgaben derzeit nur überlagert.
mm: Das Konzept der Deutschen Rentenversicherung zum "Vorsorgekonto" liegt dem Staatssekretär im Bundessozialministerium vor. Wann werden Sie nach Berlin fahren und mit ihm darüber sprechen?
Seiter: Wenn er uns ruft. Seien Sie versichert, so schnell werden wir nicht aufgeben. Das kostengünstige, transparente "Vorsorgekonto" ist eine gute, zusätzliche Option zu Produkten der Versicherungswirtschaft, die Deutschland auch dringend braucht. Das neue Produktinformationsblatt und die neue Renditekennziffer machen die Vorsorgeprodukte nicht verständlicher und vergleichbarer. Das sagen auch Sachverständige. Wirklich weiterhelfen wird es den Menschen nicht, da ist also noch viel Platz für ein "Vorsorgekonto".