Clerical Medical Mit der Rentenpolice auf Pump in die Armut

Rechnet mit erheblichen Kosten: Die Lloyds Banking Group, Mutterkonzern des britischen Versicherers Clerical Medical, hat Rückstellungen in Höhe von 200 Millionen Euro gebildet - für mögliche Schadenersatzforderungen allein in Deutschland
Foto: ? Stefan Wermuth / Reuters/ REUTERSHamburg - Sie heißen "Sicherheits-Kompakt-Rente", "EuroPlan", "Lex-Konzept-Rente", "Individual-Rente" oder auch "SpaRenta" - hinter diesen Namen stehen Modelle kreditfinanzierter Rentenverträge. Die Initiatoren bewarben sie mit zweistelligen Renditen, Steuerersparnissen und einer auskömmlichen Rente im Alter. Bis zu 20.000 Anleger in Deutschland haben diese auf Pump finanzierten Policen seit den 90er Jahre gekauft. Sie haben mindestens 1,5 Milliarden Euro in die zumeist britischen Policen investiert, schätzen Fachanwälte.
Doch viele dieser Kunden stehen heute vor dem Scherbenhaufen ihrer Altersvorsorge und in der Regel einem sechsstelligen Schuldenberg.
Denn letztlich waren die Anleger mit der komplizierten Kombination aus zumeist einer Tilgungs-, einer Rentenversicherung, Aktieninvestments und dem Darlehensvertrag bei einer deutschen Bank eine gefährliche Wette eingegangen - die Wette nämlich, dass die Zinsen aus der Police und ihren angegliederten Investments dauerhaft höher sind als die Kreditzinsen. Ein Risiko, über das die Versicherer und Vermittler, die satte Provisionen an der Vermittlung von Policen und Kredit einstrichen, offenbar nur schlecht oder gar nicht aufklärten. "Die Kunden wurden faktisch zur Spekulation mit Aktien auf Kreditbasis verleitet", sagt der Münchener Kapitalrechtsanwalt Johannes Fiala.
Mit Spannung war daher in der vergangenen Woche ein Prozess vor dem Bundesgerichtshof (BGH) erwartet worden. Der britische Versicherer Clerical Medical (CMI) zog aber kurzfristig seine Revision zurück, anerkannte damit das Urteil des Oberlandesgerichtes Dresden (Az.: 7 U 1358/09) und zahlt der Klägern nun 254.500 Euro, wie der britische Versicherer auf Anfrage mitteilt.
Clerical zahlt Klägerin freiwillig rund 254.500 Euro
Die Frau hatte eine fondsgebundene Kapitallebensversicherung gegen Einmalbetrag abgeschlossen und mit einem Bankkredit von 247.500 Euro zu 6,5 Prozent Zinsen finanziert. Die Zinsen sollten aus den laufenden Erträgen der Police bestritten und zum Schluss 254.500 Euro zur Rückzahlung des Darlehen ausgeschüttet werden. Doch statt des laut Musterrechnung unterstellten Wertzuwachses von 8,5 Prozent jährlich warf das Produkt in den ersten beiden Jahren nur 3 sowie 1,5 Prozent ab. Clerical Medical dampfte die zugesagten Auszahlungen ein, kündigte zugleich einen niedrigeren Schlussgewinn an. Die Frau konnte also aus dem Vertrag heraus weder die laufenden Zinsen begleichen, noch war absehbar, dass der Erlös bei Ablauf der Police reichen würde, das Darlehen komplett abzulösen - von einer auskömmlichen Rente ganz zu schweigen. Die Frau stieg aus dem Vertrag aus, klagte und gewann in Dresden.
Für die Anlegerin ist das erfreulich. Gleichwohl steht damit das von vielen Anwälten und Verbraucherschützern erhoffte Grundsatzurteil zu der Verbindlichkeit von Musterrechnungen, mit denen konkret die Lloyds-Bank-Tochter CMI aber auch andere Versicherer und ihre Vermittler Kunden in der Vergangenheit immer wieder geködert haben, weiter aus. Der BGH wollte zudem auch klären, ob der Vermittler seine Aufklärungspflichten verletzt hat und inwiefern der Versicherer dafür haften muss.
Die Taktik, sich kurz vor einem Grundsatzurteil mit dem Kläger zu einigen, um einer möglichen Klagewelle ähnlich gelagerter Fälle zu entgehen, haben Versicherer in der Vergangenheit immer wieder angewandt. Der ehemalige Richter des vierten Senats am BGH, Karl-Heinz Seiffert, hatte dies in der "FAZ" vor zwei Jahren deutlich kritisiert.
Mindestens 1000 Fälle bei Gerichten anhängig
Für CMI und den Mutterkonzern Lloyds Banking Group ist die Sache damit aber längst nicht ausgestanden. "Bei Gerichten dürften mindestens 1000 Fälle kreditfinanzierter Rentenverträge anhängig sein, wovon der überwiegende Anteil eine Lebensversicherung der CMI beinhaltet", sagt Kapitalrechtsexperte Holger Buck von der Münchener Kanzlei Mattil.
Klagen laufen auch gegen die Generali , die Provinzial Nordwest Lebensversicherung AG und in Kürze wohl auch gegen die Alte Leipziger, die mit eigenen Produkten oder beim Vertrieb von kreditfinanzierten Policen eingebunden waren, ergänzt Anwältin Petra Brockmann von der Kanzlei Hahn Rechtsanwälte mit Sitz in Hamburg.
Weiterer Druck dürfte vom Bundesgerichtshof selbst kommen. Denn 30 CMI-Fälle liegen dem BGH zur Entscheidung vor. Über die will das höchste deutsche Gericht jetzt so schnell wie möglich mündlich verhandeln, ließ es durchblicken. Es ist also gut möglich, dass es doch noch zu einem Grundsatzurteil kommt - wenn der britische Versicherer nicht kurzfristig wieder einen Rückzieher macht, wie seinerzeit auch schon im Dezember 2009. "Es ist nicht unsere Strategie, dass wir uns in allen Fällen vergleichen. Clerical Medical ist selbst daran interessiert, die Rechtslage zu klären", erklärt dazu ein CMI-Sprecher auf Anfrage von manager magazin Online.
Kommende BGH-Entscheidungen könnten auch andere Versicherer treffen
"Abgesehen davon, dass CMI-Lebensversicherungen bei sehr vielen fremdfinanzierten Renten ein wesentlicher Baustein war, dürften die anstehenden Entscheidungen des BGH präjudizielle Wirkung und damit Pilotcharakter haben", glaubt Buck. Dies gelte insbesondere für die Zurechnung von Falschberatungen durch freie Vermittler und für die Qualität von vermeintlich unverbindlichen Musterberechnungen oder der Transparenz und Güte von Versprechen, die in den Broschüren und Versicherungsscheinen gemacht wurden.
"Die Entscheidungen werden mit Sicherheit Auswirkungen auf die Bewertung auch anderer ähnlich gelagerter Fälle haben", ist der Münchener Anwalt überzeugt. Sie könnten damit auch andere ausländische Versicherer treffen, etwa aus Liechtenstein, die über freie Vermittler ihre Produkte mit "gewagten Aussagen" in den Broschüren und Prospekten in Deutschland vertreiben.
Kapitalrechtsexperte Thorsten Krause von der Kanzlei KAP in München sieht das ähnlich: "So ein höchstrichterliches Urteil wäre der Super-Gau für manche Versicherer." Auch wenn die einzelnen Fälle im Detail voneinander abweichen dürften, hätte das BGH-Urteil "einen Kern, der auf alle Fälle übertragbar wäre". Für CMI selbst wäre das insbesondere dann der Fall, wenn das Gericht die Versicherungsbedingungen des Unternehmens anprangern und als unwirksam erklären sollte.
In diese Richtung hatte zuletzt das Oberlandesgericht Stuttgart entschieden (7 U 98/11). Die Vertragsbedingungen seien "zu umfangreich, komplex, unverständlich und verwirrend", urteilten die Richter und verpflichteten den Versicherer zur Erfüllung des noch mehrere Jahrzehnte laufenden Vertrags - mit dem im Versicherungsschein unterstellten Renditen von 8,5 Prozent wohlgemerkt.
Mutterkonzern legt 200 Millionen Euro für Prozesse in Deutschland zurück
Auch wenn CMI öffentlich betont, dass aus der ursprünglich vor dem BGH zu verhandelnden aber abgesagten Revision keine Rückschlüsse auf andere anhängige Verfahren gezogen werden könnten, weil es sich um eine "eindeutige Falschberatung" gehandelt habe, beurteilt man die Lage doch sehr ernst.
Wie ernst, lässt sich auch daran ermessen, dass die CMI-Konzernmutter Lloyds umgerechnet rund 200 Millionen Euro Rückstellungen für Prozesse in Deutschland gebildet hat. Die Summe entspreche einer "angemessenen Schätzung der möglichen finanziellen Auswirkungen", heißt es.
Im Fall CMI, die den Markt für fremdfinanzierte Rentenpolicen in Deutschland anführten, hat sich bislang nur ein Bruchteil der betroffenen Anleger in Deutschland an einen Anwalt gewandt. Ein Grund ist womöglich, dass einige Gerichte für den Versicherer geurteilt haben.
Chancen für Rückabwicklung der Verträge sind gestiegen
Dabei stufen die von manager magazin Online befragten Kanzleien die Chancen für die komplette Rückabwicklung aller Verträge einerseits oder die Erfüllung der im Versicherungsschein gemachten Zusagen andererseits jetzt deutlich besser ein als in der Vergangenheit. Sie führen dafür jüngere Entscheidungen der Oberlandesgerichte Dresden, München, Karlsruhe und Stuttgart zugunsten der betroffenen Anleger an.
"Die Erfolgsaussichten eines gerichtlichen Vorgehens sind gut. Viele Gerichte stellen darauf ab, dass die Berater ohne Verständnis, wie das Produkt funktioniert, auch nicht korrekt beraten können und rechnen solche Beratungsfehler dann der CMI zu, die in Deutschland kein eigenes Vertriebsnetz unterhält", sagt der Münchener Anwalt Buck.
"Insgesamt beurteilen wir die Erfolgsaussichten grundsätzlich positiv", erklärt auch Anwältin Brockmann. Es käme allerdings - wie so oft in der Rechtssprechung - auf den konkreten Einzelfall an, aus dem sich dann Schadensersatzansprüche oder der Anspruch auf Erfüllung des Vertrags formulieren ließen. Die Anwältin hält insbesondere ein Vorgehen gegen die finanzierenden Banken für ratsam.
Der Weg durch die Instanzen kann ohne entsprechende Rechtsschutzversicherung aber kostspielig werden, warnen Verbraucherschützer. "Wer die Prozessrisiken scheut, sollte auf jeden Fall die weitere Rechtssprechung im Auge behalten", rät Niels Nauhauser von der Verbraucherzentrale Baden-Württemberg gerade mit Blick auf das höchste deutsche Gericht.