Anlagedilemma
Lebensversicherer und Sparer im Zangengriff
Aktiencrash und Schuldenkrise? Die Assekuranz sieht sich davon kaum berührt. Gleichwohl lauern Gefahren im Portfolio. Auch die Zinsen dürften niedrig bleiben - für manche Lebensversicherer ein existentielles Problem, sagen Experten.
Druck von allen Seiten: Niedrigzinsen, Regulierung und hohe Verpflichtungen gegenüber den Kunden bringen manchen Lebensversicherer in die Klemme
Foto: Tobias Kleinschmidt/ dpa
Hamburg - Mögen die Kurse an den Aktienmärkten auch stürzen, auf Nachfragen gibt die deutsche Assekuranz immer wieder den Fels in der Brandung. Die Krise berühre die Versicherer kaum, schließlich machten Aktien gerade mal 3,3 Prozent ihrer gesamten Kapitalanlagen aus.
Auch mit Blick auf die Staatsanleihen europäischer Schuldenstaaten wie Portugal, Italien, Irland, Griechenland und Spanien (PIIGS) fühlt sich die Branche auf der sicheren Seite. Mit rund 3 Prozent der Anlagen sei das Engagement der Assekuranz auch hier überschaubar, heißt es beruhigend.
Aktiencrash, Schuldenkrise - alles kein Problem? Die Investoren sehen das anders. Seit dem 26. Juli, als die Welt des
Dax mit 7350 Punkten noch in Ordnung war, schicken die Anleger die Aktien der Versicherer ebenso auf Talfahrt wie den deutschen Leitindex selbst. Allen voran die Allianz-Aktie: Mit rund 24 Prozent rutschten sie und der Dax bis vergangenen Montag im Gleichschritt ab.
Neben dem dauerhaft niedrigen Zinsniveau ist es das starke Engagement der Assekuranz im Bankensektor, das die Investoren beunruhigt. Für die deutschen Lebensversicherer schätzen Analysten, dass gut die Hälfte ihrer 734 Milliarden Euro schweren Kapitalanlagen mit Bankenrisiken behaftet ist.
Investitionen in Bankanleihen interpretiert der Markt zusehends als Risiko: Die Absicherung etwa eines zehn Millionen Euro schweren Portfolios europäischer Bankanleihen über Kreditausfallversicherungen ist derzeit so teuer wie zur Zeit der Lehman-Pleite.
Investments in Bürgerschulden
Eine Sorge nimmt dabei immer mehr Raum ein: "Die europäischen Regierungen garantieren für die europäischen Banken. Wenn aber die Regierungen selber nicht stabil sind, dann sind es die Banken auch nicht", bemerkt ein Marktteilnehmer - mit Folgen für die Versicherer. Denn diese investieren das Geld ihrer Kunden nicht nur in die einst vom Staat geretteten Banken, sondern zugleich auch in die horrende Staatsverschuldung, die sich beispielsweise die deutschen Bürger in den vergangenen Jahrzehnten nach dem zweiten Weltkrieg selbst genehmigt haben: Gut 20 Prozent ihres Geldes haben deutsche Versicherer in europäischen Staatsanleihen und Darlehen an diese Staaten investiert, teilt der Assekuranz-Branchenverband GDV auf Anfrage mit.
Nun ist das Zinsniveau in Europa politisch gewollt immer weiter gesunken. Zugleich zwingen die Staaten die meisten Versicherer über verschärfte Eigenkapitalregeln, auch in Zukunft ihr Geld in vermeintlich sichere und aktuell noch - auf Deutschland bezogen - niedrig verzinste Staatspapiere oder Bankentitel zu stecken. Oder in Alternativen, die zumindest gleich sicher wie Staatsanleihen angesehen werden.
Kunden von Lebensversicherern müssen sich deshalb mit vergleichsweise niedrigen Zinsen begnügen. Denn das niedrige EZB-Zinsniveau lässt die Ablaufleistungen der Lebensversicherungen seit Jahren schrumpfen, während eine steigende Inflation das Ersparte zugleich schrittweise entwertet. "Die Guthaben der Vorsorgesparer werden zusehends zur Manövriermasse der Politik", beklagt Manfred Poweleit, Chef des unabhängigen Branchendienstes Map-Report.
Zur Panik besteht vorerst kein Grund. Denn es ist das erklärte Ziel Europas, weder Staaten noch systemrelevante Banken in die Insolvenz fallen zu lassen.
Dennoch: Die im Zuge der Krise politisch gewollten Niedrigzinsen einerseits und die strengen Anlagevorschriften andererseits werden zusehends zu einem ernsthaften Problem für die Lebensversicherer und ihre Kunden. Nicht von ungefähr hat die Bundesregierung den garantierten Mindestzins mit Beginn kommenden Jahres auf 1,75 Prozent gesenkt.
"Risikolose Zinsanlage" oder "zinslose Risikoanlage"?
"Einige Lebensversicherer laufen Gefahr, das versprochene Minimum, nämlich den Erhalt des eingezahlten Kapitals plus Garantiezinsen, nicht mehr erwirtschaften zu können", sagt Andreas Böker, Vorstand der Kanzlei für Vermögensmanagement Böker & Paul in Montabaur. Die Lebensversicherung, wandle sich zusehends von einer "risikolosen Zinsanlage" in eine "zinslose Risikoanlage".
Immer mehr ältere, noch vergleichsweise hoch verzinste Rententitel in den Portfolien der Lebensversicherer würden nun fällig. Das erlöste Kapital wie auch Beiträge aus dem Neugeschäft müssen jetzt aber zu deutlich schlechteren Konditionen angelegt werden - und das bei einem garantierten Zins von durchschnittlich 3,4 Prozent im Policenbestand.
Zum Vergleich: Die Umlaufrendite festverzinslicher Wertpapiere in Deutschland fiel Ende vergangener Woche unter die Marke von 2 Prozent. Die zehnjährige Bundesanleihe lag nur knapp darüber.
"Bei einigen Versicherern ist es angesichts ihrer Portfoliostruktur daher nur noch eine Frage der Zeit, wann die Zinseinnahmen unter den garantierten Auszahlungen liegen werden", sagt auch Thomas Paul, Mitgründer und Vorstand der Kanzlei.
Experten sehen mindestens fünf Wackelkandidaten
Die Vermögensberater aus Montabaur haben durch die Analyse öffentlich zugänglicher Daten und Vergleichsrechnungen mindestens fünf solcher "Wackelkandidaten" unter den deutschen Lebensversicherern ausgemacht, die allein durch das niedrige Zinsniveau auf absehbare Zeit "erhebliche Probleme" bekommen könnten. Bis zu 15 weitere Lebensversicherer würden mit viel Mühe zwar noch den versprochenen Garantiezins für ihre Kunden erwirtschaften können. "An Überschüsse ist aber kaum zu denken."
Sollte mit Italien womöglich noch ein weiteres Land unter den EU-Rettungsschirm flüchten und seine Verbindlichkeiten umschulden müssen, wären die Folgen für die Versicherer dramatisch. "In italienischen Staatsanleihen sind deutsche Versicherer viel stärker investiert als in griechischen Bonds. Das könnte für einige Unternehmen böse Folgen haben", sagt Paul.
Poweleit, der die deutschen Lebensversicherer seit Jahrzehnten analysiert, beobachtet die Entwicklung ebenfalls mit Sorge. Die Niedrigzinspolitik der Notenbanken, die scheinbar wirkungslose Krisenintervention der Euro-Staaten gegen Spekulanten am Staatsanleihenmarkt und der wachsende Regulierungsdruck auf deutsche Versicherer könnten einige deutsche Lebensversicherer schon bald "in erhebliche Schwierigkeiten" bringen, befürchtet der Versicherungsexperte.
Einige Versicherer haben bereits das Neugeschäft aufgegeben
"Jedes Negativszenario denkbar"
"Angesichts der gegenwärtigen Politik halte ich derzeit jedes Negativszenario für denkbar", sagt Poweleit. Die Kraft der Assekuranz, einen strauchelnden Lebensversicherer aufzufangen, wie es seinerzeit mit der Mannheimer Leben geschah, sei begrenzt. "Strauchelt einer der 20 größten der Branche, wird ihn der deutsche Lebensversicherungswirtschaft mit den bisherigen Mechanismen nicht mehr auffangen können."
Der Druck auf die Branche wächst aber nicht nur von Seiten des Kapitalmarkts, sondern auch von regulatorischer Seite. Sollten die verschärften Eigenkapitalregeln in ihrer ursprünglich geplanten Form im Jahr 2013 greifen, dürfte sich die Lage für viele Lebensversicherer noch verschärfen.
So hatte im Juli eine Studie der Unternehmensberatungen Bain & Company und Towers und Watson davor gewarnt, dass mit Solvency II die Solvenzquote jedes vierten Lebensversicherers in Deutschland unter 100 Prozent fallen werde. Demnach drohten dann einem Viertel der Unternehmen erhebliche Kapitallücken. Sie müssten entweder neues Eigenkapital aufnehmen oder ihr Neugeschäft aufgeben. Letzteres haben sechs Lebensversicherer im vergangenen Jahr bereits getan.
Die Autoren der Studie sehen den zentralen Grund für die drohende Kapitalschwäche in der starken Konzentration der deutschen Lebensversicherer auf sehr lang laufende Policen mit garantierter Verzinsung, die nach Solvency II eine hohe Kapitaldeckung erfordert. Vor diesem Hintergrund plädierte Norbert Heinen, Vorstandschef der Württembergischen Lebensversicherung AG, bereits zu Jahresbeginn für zeitlich gestaffelte Garantien oder Anpassungsklauseln in den Verträgen. In der Branche gelten diese Vorstellungen aber nicht als mehrheitsfähig.
Der Markt wird konsolidieren
So schnell werden die deutschen Lebensversicherer dem Zangengriff von anhaltenden Niedrigzinsen und Regulierung auf der einen Seite und hohen Garantieversprechen im Vertragsbestand auf der anderen Seite wohl nicht entkommen. Der Markt werde deshalb weiter konsolidieren, sagen Experten voraus. Nicht mit einem lauten Knall, eher geräuschlos, zum Beispiel durch die Übertragung von Versicherungsbeständen, Fusionen oder das Einstellen des Neugeschäfts. Bis zu ein Fünftel der Anbieter könnten auf diese Weise vom Markt verschwinden, schätzen Experten.
Eine Garantie, welcher Lebensversicherer in 20 Jahren seine Kunden noch mit ansprechenden Überschüssen erfreuen wird, kann auch Map-Report-Chef Poweleit nicht geben. Sein jüngstes Ranking kann jedoch Aufschluss darüber geben, wer sich in der Vergangenheit unter widrigen Umständen noch am besten geschlagen hat. "Ein Blankoscheck für die Zukunft ist das aber nicht. Auch wir können nicht in die Zukunft sehen."
Die besten Lebensversicherer der Vergangenheit
Die stärksten Lebensversicherer 2011
Gesellschaft
Bilanz
Service
Vertrag
Summe
Rating
Debeka
33
17
31
81
mmm
HUK-Coburg
30
18
32
80
mmm
Europa
35
12
32
79
mmm
Cosmos
29
18
31
78
mmm
DEVK a.G.
36
17
23
76
mmm
Allianz
34
19
22
75
mmm
Asstel
36
12
23
71
mmm
R+V
30
16
24
70
mmm
Öffentliche Braunschweig
29
16
24
69
mm
Neue Leben
24
15
30
69
mm
Süddeutsche
25
17
24
66
mm
LVM
25
15
25
65
mm
Hannoversche
25
19
20
64
mm
Volkswohl Bund
28
13
22
63
mm
Stuttgarter
30
9
22
61
mm
Continentale
30
12
17
59
m
VGH
21
16
19
56
m
Öffentliche Oldenburg
25
13
17
55
m
Condor
25
16
14
55
m
Alte Leipziger
30
14
11
55
m
DEVK Allgemeine
25
12
17
54
m
WWK
23
14
16
53
m
Provinzial NordWest
21
15
17
53
m
Provinzial Rheinland
23
13
16
52
m
LV 1871
20
14
17
51
m
Swiss Life
20
19
12
51
m
Bayern-Versicherung
21
17
13
51
m
Rating: mmm = langfristig hervorragende Leistungen, mm = langfristig sehr gute Leistungen, m = langfristig gute Leistungen. Hinter den drei untersuchten Kategorien Bilanz, Service, Vertrag stehen insgesamt 18 Einzelkennzahlen, die Map-Report bei den Unternehmen abgefragt hat.
Quelle: Map-Report 2008