Nebenkosten Wie Vermieter Mieter mit preiswertem Strom locken

Skyline von Berlin: In der Hauptstadt laufen zwei Projekte zur günstigen Stromerzeugung für Mieter
Foto: Fabrizio Bensch/ REUTERSBerlin - Wenn Heidi Lube in ihrer Wohnung im Gelben Viertel in Berlin-Hellersdorf die Waschmaschine anschaltet, hat sie ein grünes Gewissen. Denn den Strom in ihrer Wohnung erzeugen die Sonne und die Kraft des Wassers. Photovoltaikanlagen auf den Dächern der 50 Miethäuser der Wohnungsgesellschaft Stadt und Land wandeln tagsüber die Lichtstrahlen des Zentralgestirns unseres Planetensystems in elektrische Energie um.
Nachts wird in Wasserkraftwerken gewonnener Strom in das örtliche Netz gespeist. "Ich habe drei erwachsene Kinder und ein Enkelkind", sagt die 51jährige Erzieherin. "Da überlege ich schon, was für eine Welt ich ihnen hinterlassen will."
Mit dieser Einstellung ist Lube nicht allein. Rund 60 Prozent der 3000 Mieterhaushalte im Plattenbauquartier im Osten der Hauptstadt beziehen inzwischen den grünen ZuhauseStrom des Hamburger Energieanbieters Lichtblick, der dieses Jahr mit Stadt und Land das bislang größte kommerzielle Projekt zur Direktgewinnung von Strom aus erneuerbaren Energien in Deutschland auf die Beine gestellt hat. "Der Zuspruch der Mieter ist sehr hoch", sagt Lichtblick-Sprecherin Katinka Königstein.
Das liegt auch daran, dass die Mieter im Gelben Viertel mit dem seit März angebotenen grünen Strom günstiger fahren als bisher. "Der Tarif liegt mit einem Arbeitspreis von 24,75 Cent pro Kilowattstunden rund drei Cent unter dem lokalen Grundversorgertarif, da der vor Ort produzierte Strom kein Netz beansprucht", erläutert Königstein. "Während Hausbesitzer schon lange vom Eigenstrom aus Photovoltaikanlagen profitieren konnten, waren Mieter bisher nur Zuschauer und Zahler der Energiewende", sagt Heiko von Tschiwitz, Vorsitzender der Geschäftsführung des Hamburger Energieanbieters. Das habe sich nun mit dem neuen Angebot geändert.
Die Nebenkosten steigen
Die Bestände von Wohnungsunternehmen befinden sich größtenteils nicht in den besonders begehrten Lagen, in denen die Wohnungspreise und -mieten in den vergangenen Jahren massiv gestiegen sind. Selbst in Großstädten wie Berlin müssen die Gesellschaften deshalb darum ringen, neue Mieter zu gewinnen und bestehende zu halten. Niedrige Heiz- und Stromkosten sind im Wettbewerb deshalb ein gewichtiges Pfund für die Unternehmen. Darüber hinaus macht der starke Anstieg der Nebenkosten in den vergangenen Jahren es vielen Wohnungsgesellschaften schwer, die Nettokaltmieten anzuheben, um Modernisierungsvorhaben finanzieren zu können.
Die Wohnnebenkosten der 21 Millionen Mieterhaushalte im Land haben sich seit dem Jahr 2000 mehr als verdoppelt, hat der Mieterbund ermittelt. Die sogenannte zweite Miete beträgt nach dem aktuellen Betriebskostenspiegel des Interessenverbands im Bundesschnitt 2,20 Euro pro Quadratmeter und Monat. Das entspricht 42,7 Prozent der durchschnittlichen Nettokaltmiete von 5,15 Euro pro Quadratmeter und Monat.
Noch stärker als die Preise von Heizöl und Gas haben sich dabei durch die Energiewende die Stromkosten verteuert. Allein 2013 stiegen die Stromkosten dem Verbraucherpreisindex des Statistischen Bundesamtes zufolge um 12,4 Prozent, während die Heizkosten nur um 5,4 Prozent zulegten. "Manche Haushalte zahlen inzwischen mehr für Strom als für Heizung und Warmwasser", weiß Axel Gedaschko, Präsident des GdW Bundesverbands deutscher Wohnungs- und Immobilienunternehmen, dessen 3000 Mitglieder rund sechs Millionen Wohnungen besitzen. "Preiserhöhungen der Energieversorger machen die Energiekosteneinsparung durch energetische Modernisierungen von Wohngebäuden für die Mieter in Teilen zunichte."
Lichtblick und Stadt und Land stehen mit ihrer Kooperation nicht allein. In Berlin-Spandau haben die Wohnungsgesellschaft Gewobag und der Hamburger Energiedienstleister Urbana ebenfalls in diesem Jahr gemeinsam ein Projekt auf die Beine gestellt, um 1423 Wohnungen im Falkenhagener Feld über ein Biogas-Blockheizkraftwerk mit Wärme und Strom zu versorgen. Es ist das erste Vorhaben in der Stromgewinnung des Energiedienstleisters, der bislang mit rund 1100 Heizwerken bundesweit mehr als 150.000 Wohnungen mit Wärme versorgt.
Bundesregierung im Zugzwang
"Weg von den großen zentralen, hin zu kleinen dezentralen Einheiten der Wärmeenergie- und Stromversorgung", lautet die neue Energiestrategie der Gewobag, die 70.433 Wohnungen in Berlin bewirtschaftet. "Wir schaffen nicht nur Wärme, sondern auch Strom unmittelbar im Quartier", sagt Vorstand Markus Terboven. Möglich macht dies die Kraft-Wärme-Kopplung, kurz KWK genannt. Dabei wird die erzeugte Wärme zusätzlich genutzt, um über Turbinen elektrischen Strom zu produzieren. "Das ist höchst effizient und deshalb umweltfreundlich", sagt Urbana-Vorstand Jan-Christoph Maiwaldt.
Gegenüber der getrennten Erzeugung von Strom und Wärme lassen sich mit KWK-Anlagen im Wohnbereich Primärenergieeinsparungen von bis zu 30 Prozent pro Jahr erzielen. Zudem werde durch die Nutzung von Biogas im Blockheizkraftwerk im Vergleich zur Verfeuerung fossiler Brennstoffe die Kohlendioxidemissionen massiv reduziert, sagt Maiwaldt. "Die Kohlendioxidbelastung sinkt von zuvor 308 Kilogramm pro Megawattstunde auf nur noch fünf Kilogramm pro Megawattstunde."
Dass die Elektrizität quasi als Abfallprodukt der Wärmegewinnung erzeugt wird, schlägt sich auch in den Stromrechnungen der Mieter wieder. "Wir können den Strom immer preiswerter anbieten als der örtliche Grundversorger in dessen niedrigstem Tarif", sagt Maiwaldt. Für die Mieter seien dadurch - abhängig von der Haushaltsgröße und dem bisherigen Stromtarif - Einsparungen von bis zu 100 Euro im Jahr möglich.
Die Mieter könnten noch mehr sparen, wenn die Bundesregierung bei der Reform des Erneuerbare-Energie-Gesetzes (EEG) Mieterstrom gefördert hätte. Obwohl der gesamte oder bei Photovoltaikanlagen zumindest ein Teil des Stroms lokal vor Ort produziert wird und keine Leitungsnetze für den Transport benötigt, müssen Mieterhaushalte die EEG-Umlage in vollem Umfang bezahlen - genauso wie Haushalte, die keinen dezentral erzeugten Strom verbrauchen. "Davon profitiert zwar die Allgemeinheit", sagt Lichtblick-Chef von Tschiwitz. "Für den lokal vermarkteten Strom wird keine Förderung nach dem EEG beansprucht, die von allen Stromverbrauchern getragen werden müsste."
Weitere Projekte dürften folgen
Gleichzeitig sind damit aber die Mieter gegenüber Eigentümern benachteiligt, die auf ihren Einfamilienhäusern mit Photovoltaikanlagen Strom erzeugen und zum Teil ins Netz einspeisen. Sie müssen - je nachdem, wann ihre Anlage ans Netz ging - entweder keinen oder nur einen prozentualen Anteil der EEG-Umlage zahlen. "Eine vierköpfige Familie, die zur Miete wohnt, zahlt für Solarstrom vom Dach bis zu 150 Euro mehr an EEG-Umlage als eine Familie im Eigenheim mit eigener Photovoltaikanlage", sagt von Tschiwitz.
Die EEG-Umlage dürfte aber nicht der Grund sein, dass viele Mieter bislang nicht Strom aus dem eigenen Quartier beziehen. Im Gegensatz zum Gelben Viertel in Hellersdorf haben in Spandau seit dem Projektstart im Frühjahr erst knapp 10 Prozent der Mieter einen Vertrag mit Urbana unterzeichnet. Dies könnte auch daran liegen, dass die Photovoltaikanlagen auf den Dächern in Hellersdorf von den Mieter gesehen werden, während das Blockheizkraftwerk in Spandau nicht ins Auge fällt.
Das sorgt für Erklärungsbedarf. "Die älteren Mieter sind Feuer und Flamme für den Quartiersstrom und machen mit, wenn ihnen die Vorzüge in den Mietersprechstunden erläutert worden sind", sagt Urbana-Sprecher Thomas Ahlborn. Hingegen sei es schwieriger, berufstätige Mieter für den Umstieg zu gewinnen. "Sie haben nicht die Zeit, die Mietersprechstunde zu besuchen", sagt Ahlborn. "Zudem schieben viele von ihnen den geplanten Wechsel vom bisherigen Stromversorger immer wieder auf, weil ihnen in der Freizeit etwas dazwischen kommt."
Mittelfristig werde die Zahl der Mieter, die Quartiersstrom beziehen jedoch weiter steigen, ist der Unternehmenssprecher optimistisch. "Je mehr Mieter ihren Nachbarn erzählen, dass sie durch den Wechsel ihre Kosten gesenkt haben, desto mehr werden nachziehen." Urbana bereitet deshalb weitere Mieterstromprojekte vor. Nicht nur in der Hauptstadt, sondern auch in Hessen und in Hamburger Neubaugebieten, sagt Vorstand Maiwaldt. "Immer mehr Wohnungsunternehmen erkennen die Notwendigkeit für die dezentralen, innovativen Versorgungskonzepte."