Sture Verkäufer, abwartende Käufer So sieht ein Stau am Immobilienmarkt aus

Beinahe-Stillstand: So ruhig wie auf dieser Baustelle in Duisburg geht es zurzeit am gesamten Immobilienmarkt in Deutschland zu
Foto: Rupert Oberhäuser / IMAGODieser Artikel gehört zum Angebot von manager-magazin+. Sie können ihn auch ohne Abonnement lesen, weil er Ihnen geschenkt wurde.
Dass der Zinsanstieg den jahrelangen Immobilienboom in Deutschland vorläufig beendet hat, ist bekannt: Wie kürzlich das Statistische Bundesamt mitteilte, sind die Preise für Wohnimmobilien Ende 2022 erstmals seit zwölf Jahren gefallen. Weniger bekannt ist jedoch der Beinahe-Stillstand im Handel mit Wohnungen und Häusern, der mit der veränderten Marktsituation einhergeht.
Die Marktstarre lässt sich anhand von Daten der Immobilienplattform ImmoScout24 sichtbar machen (siehe erste Grafik). ImmoScout24 ist mit rund 19 Millionen Nutzerinnen und Nutzern monatlich Deutschlands größte Plattform für die Immobilienvermarktung. Was auf den Seiten des Berliner Unternehmens passiert, kann also als gutes Indiz des Marktgeschehens betrachtet werden.
Bemerkenswert ist die Entwicklung der Anzahl der Immobilienangebote in den vergangenen zwölf Monaten. Das war der Zeitraum, währenddessen sich der Markt für Häuser und Wohnungen bundesweit drehte: Die Hypothekenzinsen stiegen nach jahrelangem Tiefflug plötzlich merklich an. So wurde es für Käufer von Wohnungen und Häusern sowie Bauherren immer schwieriger, ihre Immobilienvorhaben zu finanzieren. Hintergrund war die Geldpolitik der Europäischen Zentralbank (EZB), die im Kampf gegen die Inflation die Leitzinsen erhöhte.
Der Zinsanstieg führte zum Rückgang der Immobilienpreise. Doch bevor es dazu kam, baute sich am Immobilienmarkt ein langer Stau auf: Mögliche Immobilienkäufer zögerten mit dem Erwerb, weil sie die absehbare Preiskorrektur abwarten wollten. Verkäufer auf der anderen Seite zögerten ebenfalls, sie wollten nicht zu früh mit ihren Preisen heruntergehen und hofften, doch noch einen Käufer zu finden.
Sture Verkäufer und abwartende Käufer also – dieser Mix erwies sich für den Markt als lähmend. Er hatte zur Folge, dass das Transaktionsgeschehen am Immobilienmarkt immer geringer wurde. Zugleich stauten sich auf ImmoScout24 und anderen Plattformen die Immobilienangebote, für die sich kein Abnehmer fand.
Deutlich mehr Angebote in den Top-Metropolen, doch potenzielle Käufer warten ab
Das Ganze in Zahlen: Vom ersten Quartal 2022 bis zum ersten Quartal 2023 stieg die Zahl der Kaufangebote auf ImmoScout24 im Schnitt der fünf Top-Metropolen Deutschlands um 107 Prozent. Wie auch die Grafik zeigt, gab es einen besonders starken Anstieg in Köln, München und Hamburg, wo es zum Teil um bis zu 180 Prozent nach oben ging. Die Entwicklung in Berlin und Frankfurt am Main dagegen verlief moderater.

"Ich würde nicht so weit gehen, von einem Stillstand zu sprechen": ImmoScout24-Geschäftsführerin Gesa Crockford hat den Immobilienmarkt im Blick
Foto: Yves SucksdorffAls Grund für den steilen Anstieg nennt auch ImmoScout24 die Vermarktungszeit, die sich aufgrund des Zinsanstiegs und der dadurch verminderten Nachfrage verlängert habe. "Ich würde nicht so weit gehen, von einem Stillstand am Markt zu sprechen", erläutert Gesa Crockford (49), Geschäftsführerin des Unternehmens. "Die Kaufnachfrage war in den letzten Jahren aufgrund der Niedrigzinsen außerordentlich hoch. Das hat dazu geführt, dass Wohnungen und Häuser schnell verkauft wurden und die Preise stark gestiegen sind."
Im zweiten Halbjahr 2022 sei die Nachfrage nach Kaufimmobilien jedoch stark zurückgegangen, so Crockford. "Die Vermarktungszeit für Kaufimmobilien hat daher zugenommen", sagt sie. "Es wird aber weiterhin gekauft, nur nicht mehr in dem Tempo wie vor noch knapp einem Jahr."
Und wie geht es weiter? Das wird wesentlich von der weiteren Zinsentwicklung abhängen, die die Preise für Häuser und Wohnungen auch künftig stark beeinflussen wird – und ebenso das Verhalten von Käufern und Verkäufern. Den Daten von ImmoScout24 ist zu entnehmen, dass der Anstieg der Angebotszahlen zuletzt bereits nachgelassen hat.
"Seit dem vierten Quartal 2022 sehen wir, dass die Nachfrage insbesondere in den Metropolen wieder anzieht", sagt Managerin Crockford. "Dieser Trend setzt sich im ersten Quartal 2023 fort." Die Expertin erwartet daher, dass sich der Angebotsüberschuss der letzten Monate langsam abbauen wird. "Es kommt zu wenig Neubauangebot auf den Markt", sagt sie. "Noch werden Wohnungen fertiggestellt, aber neue Projekte werden immer weniger gestartet."
Gesa Crockford
Auch die Immobilienpreise haben sich nach dem Rückgang Ende 2022 zuletzt wieder in die andere Richtung bewegt. ImmoScout24 etwa verzeichnete im vierten Quartal Preisrückgänge von bis zu 10 Prozent. Zu Beginn des neuen Jahres jedoch gab es nach Angaben des Unternehmens eine Erholung. So seien die Angebotspreise für Eigentumswohnungen wieder um 2,3 Prozent gestiegen. Bei Einfamilienhäusern gab es mit plus 0,4 Prozent für Bestandsobjekte und plus 0,2 Prozent im Neubau eher eine Seitwärtsbewegung. Geschäftsführerin Crockford rät Kaufinteressierten vor dem Hintergrund, nicht zu lange auf weiter sinkende Preise zu spekulieren.
Ob die Marktkorrektur tatsächlich bereits überstanden ist und es fortan wieder aufwärts geht, erscheint jedoch fraglich. Viele Experten sehen die Zinspolitik der Europäischen Zentralbank, die indirekt auch das Zinsniveau am Immobilienmarkt beeinflusst, noch nicht am Ziel. Angesichts weiter hoher Inflationsraten dürften vielmehr weitere Zinsanstiege bevorstehen, heißt es. Die Anspannung am Immobilienmarkt dürfte also noch eine Weile bestehen bleiben.