Wohnungsnot "Indexmieten sind eine Gelddruckmaschine"

Die Mieten steigen in vielen Städten schneller als die Preise – auch weil neue Verträge an die Inflationsrate gekoppelt sind. Die Bundesregierung soll intervenieren, fordert Mieterbund-Präsident Lukas Siebenkotten. Doch helfen Verbote weiter?
Das Interview führte Lutz Reiche
"Indexmieten werden zu einer gefährlichen Kostenfalle": Bei Indexmietverträgen steigt die Miete in gleichem Maße wie die Inflation – 30 Prozent der neu abgeschlossenen Mietverträge in Großstädten sollen Indexverträge sein, behauptet der Deutsche Mieterbund

"Indexmieten werden zu einer gefährlichen Kostenfalle": Bei Indexmietverträgen steigt die Miete in gleichem Maße wie die Inflation – 30 Prozent der neu abgeschlossenen Mietverträge in Großstädten sollen Indexverträge sein, behauptet der Deutsche Mieterbund

Foto: IPON/ imago images

Dieser Artikel gehört zum Angebot von manager-magazin+. Sie können ihn auch ohne Abonnement lesen, weil er Ihnen geschenkt wurde.

manager magazin: Herr Siebenkotten, der Deutsche Mieterbund  mit Ihnen als Präsident an der Spitze unterstützt Bundesratsinitiativen aus Hamburg  und Bayern , die im Kern Mietsteigerungen zu deckeln versuchen. Reicht das weit verbreitete Instrument der gesetzlichen Mietpreisbremse nicht?

Lukas Siebenkotten: Nein, ganz und gar nicht. Die Mietpreisbremse ist zwar, wie Sie sagen, in angespannten Wohnungsmärkten zumindest theoretisch "weit verbreitet", aber aufgrund der von der damaligen Regierungspartei CDU initiierten zahlreichen Ausnahmen nur sehr eingeschränkt wirksam.

Als besonders problematisch sehen Sie Indexmietverträge, bei denen die Miete in gleichem Maße steigt wie die Inflation.

Richtig, wir beobachten, dass die Indexmietverträge jetzt in größeren Städten massiv zunehmen. Das führt zu erheblichen Belastungen.

Foto: Markus Wächter

Lukas Siebenkotten (65) ist Jurist und hat viele Jahre als Rechtsanwalt gearbeitet. Siebenkotten war von 2008 bis 2019 Direktor des Deutschen Mieterbundes (DMB) und wurde im Sommer 2019 zu dessen Präsidenten gewählt. Gleichzeitig ist er Geschäftsführer des DMB-Verlages und Vorstandsmitglied der DMB Rechtsschutz-Versicherung. Seit 2017 führt der gebürtige Westfale das Kuratorium der "Stiftung Warentest" an.

Gilt die Mietpreisbremse für diese Verträge nicht?

Doch, auch Indexmietverträge müssen die Mietpreisbremse einhalten. Aber nur für die erste Miete, also die Ausgangsmiete, und selbst diese Begrenzung wird de facto durch die vielen Ausnahmen oft ausgehebelt. Kommende Mietsteigerungen eines Indexmietvertrages unterliegen dagegen keiner Bremse mehr. Das heißt: Steigt die Inflationsrate wie im vergangenen Jahr um 7,9 Prozent, kann der Vermieter die Nettokaltmiete entsprechend anheben und in den Folgejahren quasi im Gleichschritt mit einem steigenden Verbraucherpreisindex weiter erhöhen. Indexmieten können damit sehr viel schneller steigen und weit über die ortsübliche Vergleichsmiete hinaus, die sich aus einem Mietspiegel ergibt.

Können Sie dafür mal ein Beispiel geben?

Liegt die Vergleichsmiete beispielsweise bei acht Euro pro Quadratmeter, dürfte der Vermieter, falls die Wohnung in einem Gebiet einer gültigen Mietpreisbremsenverordnung liegt, bei einer Neuvermietung maximal 8,80 Euro verlangen. Eine 100 Quadratmeter große Wohnung würde dann 880 Euro kalt im Monat kosten …

… der Vermieter darf also per se zehn Prozent draufschlagen.

Ja. Kann sich der Vermieter aber auf eine der vielen Ausnahmen der Mietpreisbremse berufen, darf er die Miete verlangen, die der Markt hergibt. Das sind im Schnitt in Berlin und Köln derzeit 13 Euro pro Quadratmeter. Dazu kommen noch die hohen Kosten für Energie und alle weiteren Nebenkosten, wie zum Beispiel Grundsteuer und Versicherungen, die üblicherweise auch komplett auf die Mieter abgewälzt werden. Damit werden in München im Schnitt sogar 19 Euro pro Quadratmeter fällig - das heißt, allein die Anmietung der "kalten" 100-Quadratmeter-Wohnung kostet bereits 1900 Euro im Monat! Wie desaströs sich der derzeit hohe Index auf diese Mieten und damit auf den ganzen Mietenspiegel auswirkt, muss man wahrlich niemandem mehr erklären. Die hohen Indexmieten plus die hohe Inflation sind ein harter Schlag für jeden Mieter – und eine Gelddruckmaschine für Vermieter. Wir erwarten von der Bundesregierung, dass sie da einschreitet.

Sie sprechen von einer massiven Zunahme der Indexmietverträge, was heißt das konkret?

"30 Prozent der neuen Verträge sind Indexmietverträge"

Lukas Siebenkotten

Durch eine Analyse der Beratungen in sechs unserer größten Mietervereine, mussten wir feststellen, dass im vergangenen Jahr insbesondere in den Metropolen, wo der Wohnungsmarkt ohnehin enorm unter Druck steht, 30 Prozent der neuen Wohnungsmietverträge sogenannte Indexmietverträge sind. In Berlin enthielten gar bis zu 70 Prozent der Neuverträge eine Indexierung.

Beim Wohnungsriesen Vonovia sind lediglich 2,5 Prozent der neuen Mietverträge indexiert, im Gesamtbestand waren es 2022 nur 1 Prozent. Und laut Eigentümerverband Haus und Grund liege die entsprechende Quote für Millionen privat vermietete Wohnungen ebenfalls unter 3 Prozent. Überzeichnen Sie das Problem nicht?

Auf keinen Fall. Durch solche Aussagen sollte man sich nicht täuschen lassen. Im Gegenteil: Vonovia hat das "Potenzial" der Indexmieten längst erkannt. Das geht aus einer uns vorliegenden Präsentation des börsennotierten Wohnungsriesen aus dem 1. Quartal 2022 hervor. Darin geht Vonovia von 140.000 Wohneinheiten aus, die für Indexmietverträge in Frage kommen. Glauben Sie mir also, die Wohnungswirtschaft hat die Chance einer Gewinnmaximierung durch Indexmieten längst erkannt.

"Wohnungswirtschaft hat die Chance einer Gewinnmaximierung durch Indexmieten längst erkannt."

Lukas Siebenkotten

Großflächig genutzt wurde das Instrument offenbar bislang nicht.

Dass der Abschluss von Indexverträgen in der Tat bis zum Jahr 2022 eher eine Seltenheit war, liegt daran, dass diese Verträge bislang nur für jene Vermieter interessant waren, die eine sanierte Wohnung angeboten haben, deren Miete weit über der Vergleichsmiete lag. In diesen Fällen bot allein der Indexmietvertrag noch die Möglichkeit einer jährlichen Mieterhöhung in Höhe der Inflationsrate – die bis zu diesem Zeitpunkt zwar noch gering ausfiel, aber weitere Mietsteigerungen auf hohem Niveau zuließ.

Wie stark machen Vermieter jetzt von ihrem Recht überhaupt Gebrauch, die Miete entsprechend der Inflationsrate zu erhöhen?

"Indexverträge erhöhten die Kaltmiete um bis zu 15 Prozent."

Lukas Siebenkotten

Aus der Beratungspraxis unserer 15 Landesverbände mit mehr als 300 Mieter-Ortsvereinen wissen wir: Viele Vermieter nutzen dieses Recht voll aus. Die Beratungsfälle zum Thema Indexmiete haben sich im vergangenen Jahr mehr als verdoppelt, fast jede dritte Beratung drehte sich darum. Dabei geht es um Erhöhungen der Kaltmiete von bis zu 15 Prozent, im Einzelfall sogar von bis zu 30 Prozent.

15 Prozent – bei einer deutlich niedrigeren Inflationsrate? Das müssen Sie erklären.

Beim Indexmietvertrag darf der Vermieter die Inflation voll auf die Miete aufschlagen, und zwar in der Höhe, wie sie sich seit Vertragsabschluss beziehungsweise letzter Mieterhöhung entwickelt hat. So kommen dann bei der derzeitigen rasanten Indexentwicklung solch extreme Mietsteigerungen zustande. Wenn dann zusätzlich Energiepreise zweistellig anziehen, ist die Belastung für viele Mieterinnen und Mieter nicht mehr tragbar. Indexmieten werden in Zeiten hoher Inflation zu einer gefährlichen Kostenfalle. Deshalb fordern wir auch ein Verbot von Indexmieten bei Neuverträgen und eine Kappungsgrenze von maximal 3,5 Prozent jährlich für Indexmietverträge im Bestand.

Der Deutsche Mieterbund

Mieter begannen Ende der 1860er Jahre, sich in Vereinen zu organisieren und bildeten seitdem ein Gegengewicht zu Vereinigungen der Haus- und Grundbesitzer. 25 dieser Mietervereine gründeten im Jahr 1900 den Bund der Mietervereine, dem späteren Bund der deutschen Mietervereine. Nach dem Zweiten Weltkrieg organisierten sich die Mieterverbände in Deutschland neu.

Der Deutsche Mieterbund (DMB) versteht sich als politische Interessenvertretung aller Mieterinnen und Mieter in Deutschland sowie als größter Streitschlichter im Mietrecht. Der DMB vereint unter seinem Dach 15 Landesverbände mit mehr als 300 örtlichen Mietervereinen, denen wiederum etwa drei Millionen Mitglieder angehören. Er macht sich stark für bezahlbare Wohnungen, ein gerechtes Mietrecht sowie eine soziale Stadtentwicklung.

FDP-Justizminister Marco Buschmann, in dessen Ressort ein gesetzliches Verbot fiele, winkt bereits ab. Vertragsfreiheit sollte auch in Deutschland ein hohes Gut sein, finden Sie nicht?

Absolut. Allerdings gilt auch: Wohnen ist ein Grundrecht und Eigentum verpflichtet. Daher muss der Staat regulierend eingreifen, wenn die Vertragsfreiheit durch die absolute Übermacht einer Vertragsseite nicht mehr gewährleistet ist und Wohnen zum Luxusgut wird. Und genau das erleben wir derzeit.

Die Indexmiete hat auch positive Aspekte. Durch Sanierung bedingte Mietsteigerungen etwa sind ausgeschlossen. Das kann man nicht ignorieren.

Die sogenannten Luxusmodernisierungen sind ausgeschlossen, das stimmt. Allerdings darf der Vermieter alle Maßnahmen, zu denen er gesetzlich verpflichtet ist, auch bei der Indexmiete auf die Mieter umlegen. Dazu gehören insbesondere die Vorschriften aus dem Gebäudeenergiegesetz, das Anforderungen an die energetische Qualität von Gebäuden enthält, als auch aus dem Gesetz zum Aufbau einer Gebäude-integrierten Lade- und Leitungsinfrastruktur für die Elektromobilität. Sie sehen also, auch der Indexmieter ist leider nicht vor teuren Modernisierungsmieterhöhungen geschützt.

"Bauen, bauen, bauen allein hilft eben nicht"

Zu Zeiten niedriger Inflation äußerten sich Mieterverbände auch positiv zu Indexmieten – weil sie langsamer stiegen als die Vergleichsmieten. Ihre Forderung nach einem Verbot wirkt da jetzt etwas opportunistisch.

Nein. Lange Zeit konnte die Inflation als Maßstab für die zulässige Mieterhöhung im Bestand herangezogen werden. Das hat sich angesichts der massiven Inflation geändert. Opportunistisch, wenn damit prinzipienlos meint, wäre es vielmehr, hier nicht gegensteuern.

Zweifelsohne fehlt es an bezahlbarem Wohnraum in vielen Städten. Doch liegt dies vor allem an der viel zu geringen Bautätigkeit, zu wenig Sozialwohnungen und der aktuell hohen Zuwanderung in die Metropolen. Warum adressieren Sie nicht die eigentliche Ursache des Problems, etwa beim Bauministerium oder der Bauwirtschaft?

Das machen wir. Aber nur "bauen, bauen, bauen" allein hilft eben nicht. Daran glaubt mittlerweile auch keiner mehr, der sich mit der Materie ernsthaft befasst. Was wir brauchen, sind bezahlbare Wohnungen. Umfassende Vorschläge für eine Reform des Sozialen Wohnungsbaus liegen auf dem Tisch. Aber dies wird nicht von heute auf morgen dazu führen, das eklatante Loch von 700.000 fehlenden Wohnungen in Deutschland zu stopfen. Deshalb brauchen wir Sofortmaßnahmen, die noch bezahlbare Wohnungen auch bezahlbar halten und die Preistreiberei auf dem Mietmarkt stoppen. Das ist die Aufgabe des sozialen Mietrechts, das keine Bereicherung der einen auf dem Rücken der anderen Seite zulässt.

"Wenn der Staat dem Markt keine Korsettstangen anlegt, bleibt es bei den unhaltbaren Zuständen"

Investoren schätzen Verlässlichkeit. Gerade bei Neubauten finden Indexmieten oft Anwendung. Funkt die Politik mit einem Verbot oder Kappungsgrenzen dazwischen, dürfte die Bautätigkeit weiter sinken, warnen Ökonomen. Oder Investoren kalkulieren das ein und verlangen gleich höhere Mieten. Damit wäre erst recht niemandem gedient.

Falsch. Denn ich sehe Verlässlichkeit nicht darin begründet, für alle Zeiten den größtmöglichen Gewinn herauszuholen. Investoren sollten vielmehr eine verlässliche, aber auch verpflichtende Förderkulisse bekommen – und Mieter ein bezahlbares Zuhause. Wenn der Staat dem Markt weiterhin keine Korsettstangen anlegt, bleibt es bei den unhaltbaren Zuständen, die wir derzeit auf dem deutschen Mietmarkt erleben.

Was sind nun aus Ihrer Sicht die entscheidenden Stellhebel für mehr bezahlbaren Wohnraum in deutschen Städten?

Erstens eine deutlich höhere Förderung des Sozialen Wohnungsbaus und die Einführung einer neuen Wohnungsgemeinnützigkeit, zweitens mietrechtliche Reformen und drittens ein Bundesjustizminister, der die notwendigen Gesetzesänderungen auch vornimmt.

rei
Die Wiedergabe wurde unterbrochen.
Playlist
Speichern Sie Audioinhalte in Ihrer Playlist, um sie später zu hören oder offline abzuspielen. Zusätzlich können Sie Ihre Playlist über alle Geräte mit der SPIEGEL-App synchronisieren, auf denen Sie mit Ihrem Konto angemeldet sind.
Jetzt anmelden
Sie haben noch kein SPIEGEL-Konto? Jetzt registrieren
Merkliste
Speichern Sie Ihre Lieblingsartikel in der persönlichen Merkliste, um sie später zu lesen und einfach wiederzufinden.
Jetzt anmelden
Sie haben noch kein SPIEGEL-Konto? Jetzt registrieren