
Deutsche Großstädte Touristen und Mieter streiten um Wohnraum
Hamburg - Tobias und seine Freunde haben derzeit nur ein Urlaubsziel: Berlin. In der hippen Partyszene der Bundeshauptstadt wollen die Informatikstudenten - alle knapp um die 20 Jahre - so richtig abfeiern. Wäre da nicht nur das liebe Geld. Klassische Hotels sind teuer. Oft zu teuer für den studentischen Geldbeutel. Doch Übernachten ohne das Portemonnaie zu sehr zu strapazieren, ist inzwischen kein Problem mehr. "Übernachten in Privatwohnungen" heißt das Zauberwort.
Der Trend für kleines Geld bei Privatleuten zu wohnen oder in deren Wohnungen findet immer mehr Anhänger. Inzwischen nutzen nicht nur Studenten und Touristen mit kleinem Portemonnaie diese Möglichkeit, sondern auch immer mehr Geschäftsreisende.
Die Zahlen beweisen den Erfolg. Allein in Berlin werden jährlich um die 50.000 Betten von drei Millionen Touristen genutzt, so der IHA Branchenreport 2012 vom Hotelverband Deutschland aus Berlin. Deutschlandweit entfallen auf dieses Segment bereits 87 Millionen Übernachtungen pro Jahr.
Den Kinderschuhen ist der Markt längst entwachsen. Und er hat sich deutlich professionalisiert. Wurden lange Zeit die Adressen von Privatzimmern unter der Hand weitergegeben, sind die Unterkünfte inzwischen bequem über das Internet buchbar.
Marktführer Airbnb mit deutschem Ableger
Marktführer ist das US-Unternehmen Airbnb, das seit Juni 2011 auch einen deutschen Ableger hat. Das Unternehmen bietet weltweit mehr als 100.000 Unterkünfte in 19.0000 Städten und 192 Ländern an. Allein für Berlin stehen über 3000 Angebote im Internet. Dabei werden nicht nur klassische Einzel- und Doppelzimmer angeboten, sondern auch ungewöhnliche Übernachtungsmöglichkeiten wie Wigwams, Schlösser und Baumhäuser.
Die Sache scheint sich zu rechnen. Mieter kommen günstig an Zimmer in zentraler Lage. Ein orientalisches Privatzimmer im angesagten Prenzlauer Berg in Berlin Mitte ist schon ab 22 Euro pro Nacht zu haben. Die Vermittler wie Airbnd und Konkurrent Wimdu erhalten beispielsweise 3 Prozent des Zimmerpreises vom Vermieter und 6 bis 12 Prozent des Zimmerpreises von den Gästen.
9flats, eine deutsche Plattform, nimmt nur vom Vermieter eine Gebühr. Die liegt bei 15 Prozent. Und was springt für die Vermieter heraus? Genaue Zahlen liegen nicht vor. Doch Makler bestätigen, dass mit Vermieten auf Zeit oft drei bis vier Mal so viel verdient würde, wie mit klassischer Vermietung. Nach Schätzungen des Deutschen Hotelverbandes sollen deutsche Gastgeber allein über airbnb bis zu vier Millionen Euro verdient haben, Tendenz steigend.
Damit handelt es sich um eine Größenordnung, bei der auch die Tourismusbranche aufschrecken dürfte. Und tatsächlich: Beim Deutschen Hotelverband beobachtet man die Entwicklung genau und sieht nicht alles rosig. "Der Markt der privaten Ferienappartements ist grau und undurchsichtig", warnt IHA-Hauptgeschäftsführer Markus Luthe.
Zerstörte Wohnungen, enthemmte Touristen
Das Problem dabei sei: Es gäbe keine statistischen Erhebungen über Anzahl, Größe und Ausstattung der Unterkünfte. Amtlich erfasst werden diese Übernachtungen nicht - zumindest nicht flächendeckend, wenn es weniger als neun Betten sind. Das kann schnell dem Missbrauch Tür und Tor öffnen. Zerstörte Wohnungen, Vandalismus kommen immer wieder einmal vor.
Inzwischen wurden Regeln zur Absicherung möglicher Schäden eingeführt. "Diese aber fallen hinsichtlich der Versicherungssumme, der Kooperationspartner und der zu versichernden Objekte sehr unterschiedlich aus und zeichnen sich alle durch fehlende Transparenz aus", warnt Luthe.
Damit nicht genug: In der Euphorie der Expansion wurden bei einigen Portalen auch viele Fehler gemacht. Das zu schnelle Wachstum und der starken Konkurrenzkampf zwischen den Portalen hinterließ Spuren. Im Sommer 2011 mussten Wimdu und 9flats viele Mitarbeiter entlassen, um Kosten zu senken.
Auch mit den Nachbarn klappt es nicht immer. Mitunter kämen in den Appartements ganze Schulklassen unter, Partys bis in die Morgenstunden seien keine Seltenheit, so Luthe weiter. Das bringe natürlich viele Nachbarn auf die Palme. Immer häufiger gäbe es daher Beschwerden wegen Lärm und Verunreinigung durch liegengelassenen Müll im Treppenhaus und vor den Häusern.
Enthemmte Touristen
Das bestätigt auch Claus O. Deese, Vorstand des Mieterschutzbundes. Oft seien die Touristen ja im Urlaub völlig enthemmt. Und er weiß wovon er spricht, kennt er die Geschichten doch aus erster Hand von seinen Mitgliedern. In einem Berliner Wohngebäude im Szene-Kietz Kreuzberg beispielsweise sei das Vorderhaus klassisch vermietet, das Rückgebäude dagegen werde komplett für "Wohnen auf Zeit" genutzt. Da sei denn eben immer irgendwo eine Party im Gange, Tourismus ist ja ein Sieben-Tage-die-Woche-Business.
Bislang vermieten vorwiegend Privatleute an Touristen. Für Wohnungsgenossenschaften, wie den Verband norddeutscher Wohnungsunternehmen e.V. (VNW) sind Vermietungen auf Zeit kein Thema. Die Mitgliedsunternehmen in Hamburg böten vereinzelt für die Gäste ihrer Mitglieder beziehungsweise Mieter Gästewohnungen an. Diese Wohnungen machten allerdings nur einen minimalen Prozentanteil der von den Verbandsunternehmen angebotenen Wohnungen aus.
Es handele sich dabei auch häufig um umgewidmeten Gewerberaum wie ehemalige Waschküchen oder um Wohnungen, für die eine entsprechende Zweckentfremdungsgenehmigung nach dem Hamburger Wohnraumschutzgesetz vorliegt, so eine Mitarbeiterin aus dem Referat Öffentlichkeitsarbeit des VNW. Der Verband vertritt 312 Wohnungsgenossenschaften und -gesellschaften in Hamburg, Mecklenburg-Vorpommern und Schleswig-Holstein mit 712.000 Wohnungen.
Politiker und Mietervertreter sehen noch andere Probleme. Werden leerstehende Wohnungen lukrativ an Touristen vermietet, fehlen sie am ohnehin angespannten Wohnungsmarkt. Gerade in München, Hamburg und Berlin haben die alarmieren die Zahlen. Und so warnt Deese: "Gerade in den inneren Bereichen von Städten, die ohnehin schon kaum noch bezahlbaren Wohnraum aufweisen, darf diese Zweckentfremdung nicht sein." Auf dem Land sei diese Art der Vermietung dagegen schon in Ordnung, so der Vorstand des Mieterschutzbundes weiter.
Mieterschützer gehen auf die Barrikaden
Besonders in den Ballungszentren besteht großer Bedarf an Wohnungsneubau. Das belegt auch das jüngst veröffentlichte Frühjahrsgutachten der Immobilienwirtschaft. Bundesweit fehlen demnach über 200.000 Wohnungen. Die Knappheit treibt den Preis nach oben. "Der Preisanstieg liegt inzwischen oft bis zu 10, in Einzelfällen bis zu 27 Prozent. In den fünf teuersten Städten liegt die durchschnittlich verlangte Miete für freien Wohnraum je Quadratmeter aktuell bei neun bis zwölf Euro, " geht aus einem Antrag der SPD Fraktion hervor.
Für Familien, Studenten und Geringverdiener ist das kaum noch erschwinglich. Und so geht vor allem Hamburg inzwischen massiv gegen die Ferienwohnungswelle, aber auch gegen leerstehende Wohnungen an. Mit dem neuen Wohnraumschutzgesetz, das noch im vergangenen Jahr vom Senat verabschiedet wurde, müssen in der Hansestadt leerstehende Wohnungen nun gemeldet werden. Verstoßen Vermieter gegen das Gesetz drohen empfindliche Strafen.
Auch in Berlin will man diesen Trend nicht mehr so hinnehmen. Politiker wie Jens-Holger Kirchner (Bündnis 90/Die Grünen) gehen ebenfalls gegen die ungeliebte Entwicklung auf die Barrikaden. In seiner Funktion als Pankows stellvertretender Bürgermeister und Stadtentwicklungsrat hat er kürzlich für seinen Stadtteil ein Maßnahmenpaket geschnürt, damit dort Wohnraum bezahlbar bleibt. Unter andern wird die Nutzung von Mietwohnungen als kommerzielle Ferienwohnungen nicht mehr vom Bezirk genehmigt.
Ist deshalb alles wieder in Butter? Natürlich nicht. Denn selbst wenn der Hamburger Senat empfindliche Strafen für die Zweckentfremdung als Ferienwohnung verhängt und Kirchner in Pankow durch das Verbot der Umwidmung in Ferienwohnungen für etwas mehr bezahlbaren Wohnraum in seinem Stadtteil sorgt, ändert das nichts am Grundübel. Das liegt nämlich ganz wo anders: Es wurden schlicht und ergreifend über die Jahre an diesen Standorten zu wenig Wohnungen gebaut. Und man hat es auch versäumt sich an der Demografie - den zunehmenden Single-Haushalten - und am Bedarf zu orientieren.
Das sollte sich nicht nur wegen der Wahl nun rasch ändern. Denn: Tut sich auf dem Wohnungsneubausektor nicht bald etwas, könnte das Anlass zu größerer Sorge geben. Und das liegt sicher nicht an den Nachbarn auf Zeit wie Tobias und seinen Freunden.