Bausparkassen "Dieser Skandal wird nicht der letzte sein"

"Sehr subtile Taktik": Offenbar versuchen viele Bausparkassen seit Jahren ihre Kunden in niedrigere verzinste Verträge zu drängen
Foto: Harry_Melchert/ dpa/dpawebmm: Herr Nauhauser, früher galten Bausparverträge als langweilig. Was macht diese Verträge heute so attraktiv?
Nauhauser: Bei einigen alten Verträgen wurde ein Guthabenzins von bis zu 2,5 Prozent vereinbart, der heute am Markt nicht ohne weiteres erzielbar ist. Da können nur noch wenige gute Tagesgeld- und Festgeldangebote mithalten. Wenn dann der Tarif auch noch eine Bonuszinsregelung enthält, wodurch die Guthabenverzinsung auf über 4 Prozent steigen kann, dann ist das heute eine unschlagbare Kondition am Markt für sichere, kurzfristig verfügbare Geldanlagen.
mm: Die Wüstenrot-Bausparkasse versucht nun offenbar, zehntausende Kunden in schlechter verzinste Verträge zu drängen. Ein Einzelfall?
Nauhauser: Nein. Wir haben seit über fünf Jahren immer wieder Anfragen von Verbrauchern, die uns berichten, dass Vertreter sie überreden wollten, aus einem gut verzinsten Vertrag in einen schlechter verzinsten zu wechseln. Die ganze Branche leidet unter ihren Versprechungen der Vergangenheit. Und der Leidensdruck scheint immer größer zu werden angesichts stetig sinkender Zinsen. Die Methodik, die Verbraucher aus den Altverträgen zu drängen, hat jetzt eine neue Qualität erreicht.
mm: Mit welchen Argumenten machen die Bausparkassen den Kunden einen Vertragswechsel schmackhaft?
Nauhauser: Sie werben mit niedrigeren Darlehenszinsen oder einfach mit ihrer attestierten Beratungskompetenz. Wüstenrot zum Beispiel schrieb einem Kunden, dessen Vertrag zuteilungsreif war, er solle sich vom Testsieger beraten lassen. Entsprechende Siegel von "Finanztest" (Testsieger), n-tv (Top Bausparkasse 2012) und "Börse-Online" (Beste Direktbank des Jahres 2011) sollten die Vertrauenswürdigkeit der Beratung durch Wüstenrot belegen. Das hat der Verbraucher dann auch gemacht. Im Gespräch hat der Berater ihm einen sogenannten "Abrufschein Zuteilungsannahme" vorgelegt und um Unterschrift gebeten. Hier kann der Verbraucher verschiedene Optionen ankreuzen. Allerdings fehlt eine wesentliche Option, nämlich den Vertrag so zu belassen wie er ist. Das ist eine sehr subtile Taktik, die es Verbrauchern erschwert, Falschberatung nachzuweisen.
mm: Ein Baudarlehen mit niedrigeren Zinsen könnte ja auch vorteilhaft sein. Welche Folgen hat ein Tarifwechsel in der Regel für den Kunden?
Nauhauser: Auf den ersten Blick mag das interessant sein, sich ein Darlehen mit nominell 1,6 Prozent Zinsen zu sichern. Allerdings zahlt man dafür einen hohen Preis, der in den Zins eingerechnet, das Darlehen gänzlich unattraktiv macht. So heißt es bei Wüstenrot in der vom Kunden zu unterschreibenden Umwandlungserklärung: "Mir ist bekannt, dass das Bausparguthaben rückwirkend ab Vertragsbeginn mit 0,5 Prozent jährlich verzinst wird." Weil die Verträge aber bislang viel höher verzinst waren, werden je nach Tarif bis zu 80 Prozent der bislang gutgeschriebenen Zinsen wieder belastet. Das nennt man dann Tarifumwandlungsbetrag. Außerdem fallen dann noch Darlehensgebühren an in Höhe von 2 Prozent der Darlehenssumme. Unter dem Strich ist das in den meisten Fällen ein wirklich schlechtes Geschäft, ausgenommen natürlich für den Berater.
"Angebote zum Tarifwechsel direkt im Papierkorb ablegen"
mm: Können Kunden diese neuen Angebote einschätzen?
Nauhauser: Ich will nicht allen Verbrauchern die Fähigkeit absprechen, finanzmathematisch so bewandert zu sein, dass sie die entgehenden Guthaben- und Bonuszinsen als einmaliges Entgelt einem optisch niedrigen Darlehenszins bei der Effektivzinsberechnung zuschlagen. Die allermeisten werden sich damit aber schwer tun. Erst recht, wenn sie einen Berater vor sich sitzen haben, dem diverse Gütesiegel Vertrauenswürdigkeit bescheinigen, der aber ein klares Ziel verfolgt, nämlich unter allen Umständen einen Vertragswechsel herbeizuführen.
mm: Was empfehlen Sie Kunden, die später das Bauspardarlehen aufnehmen wollen? Was müssen Kunden beachten, die den Vertrag als reine Geldanlage betrachten?
Nauhauser: Ob ein Bauspardarlehen ein individuell passender Baustein einer Finanzierung ist, muss man stets im Einzelfall entscheiden. Nach unserer Erfahrung ist es das in sehr vielen Fällen nicht. Wer den Vertrag als Geldanlage betrachtet, kann die eingehenden Angebote zum Tarifwechsel direkt im Papierkorb ablegen. Die Bausparkasse kann nicht kündigen, solange das Guthaben geringer ist als die Bausparsumme. Wer an seinem alten Vertrag noch lange Freude haben und die hohen Zinsen lange nutzen will, sollte weitere Einzahlungen stoppen, sobald 80 Prozent der Bausparsumme erreicht sind. Dann fließen nur noch die Zinsen in den Vertrag, so verzinst sich das Guthaben aber bis zu zehn weitere Jahre mit dem hohen Zins bis schließlich die Bausparsumme erreicht ist.
mm: Stellt ein Kunde fest, dass die Umdeckung oder Kündigung seines Bausparvertrags für ihn nachteilig war, welche Chancen hat er, das rückgängig zu machen?
Nauhauser: Wir raten Kunden von Wüstenrot, die hier zu Schaden gekommen sind, sich auf Äußerungen des Vorstands im "Handelsblatt" zu berufen. Hier wurde mitgeteilt, dass man stets eine interessengerechte Beratung von seinen Beratern erwarte und man hat angeboten, Fehler zu korrigieren. Wüstenrot muss sich an diesen Aussagen messen lassen. Dass eine bedarfsgerechte Beratung im krassen Widerspruch steht zu einem Anreizsystem, das gezielt Vertragswechsel mit Boni belohnt, ist natürlich offensichtlich.
mm: Mit Blick auf diese Umdeckungspraxis spricht Bafin-Chefin Elke König von Einzelfällen. Sind es wirklich nur wenige schwarze Schafe, die die Branche in Verruf bringen?
Nauhauser: Nein, das Problem ist ganz und gar grundsätzlicher Natur. Es betrifft nicht nur wenige Einzelfälle, sondern die gesamte Finanzbranche, von den Bausparkassen über die Versicherungen bis hin zu den Banken und Sparkassen. Es liegt im Anreizsystem einer auf Provisionen und Margen basierenden Beratung.
Eine gute Beratung rechnet sich für die Anbieter nicht, sondern nur der Verkauf bestimmter Produkte. Das hat die jetzt bekannt gewordene Umdeckungsaktion mal wieder eindrucksvoll belegt. Sie können sicher sein, dass dieser Skandal nicht der letzte dieser Branche gewesen sein wird.