Inflation Die Mär vom Schutz vor der Teuerung

Viele Anleger fürchten einen drastischen Anstieg der Inflation und flüchten mit ihrem Geld in Gold und Immobilien. Doch die Geschichte zeigt, dass weder das eine noch das andere tatsächlich Sicherheit bieten. Im Ernstfall bat immer der Staat die Eigentümer zur Kasse.
Von Richard Haimann
Baustelle in Berlin: Die Preise für Eigentumswohnungen sind in den deutschen Großstädten in den letzten Jahren extrem angestiegen.

Baustelle in Berlin: Die Preise für Eigentumswohnungen sind in den deutschen Großstädten in den letzten Jahren extrem angestiegen.

Foto: Maurizio Gambarini/ picture alliance / dpa

Hamburg - Herbst 1923 in Deutschland. Mit Schubkarren schieben Menschen Banknoten zum Bäcker, um einen Laib Brot zu erstehen. Das Porto für einen Brief kostet zehn Millionen Mark. Für einen US-Dollar müssen 42 Milliarden Mark gezahlt werden. Die Hyperinflation hat das Land in ihren Strudel gerissen. Der Wert des Geldes verfällt mit atemberaubender Geschwindigkeit. Am 26. Oktober jenes Jahres lässt die Reichsbank erstmals eine "500 Milliarden Mark"-Note drucken. Eine Woche später werden Geldscheine mit dem Aufdruck "5 Billionen Mark" aufgelegt.

Die Währungskrise der Weimarer Regierung ist bis heute das nationale Trauma der Deutschen. Jetzt wachsen wieder die Ängste vor einer neuen großen Teuerung. Denn die Europäische Zentralbank (EZB) und die Notenbanken in Großbritannien, den USA und Japan intervenieren seit Beginn der Finanzkrise massiv an den Kapitalmärkten. Zunächst, um einen Absturz der Weltwirtschaft in eine tiefe Depression zu verhindern. Inzwischen auch, um die durch die Rettung der Banken hochverschuldeten Staaten zu stabilisieren.

"Sie sorgen durch den Kauf von Staatsanleihen dafür, dass die Zinslast für die Regierungen erträglich bleibt", sagt Christian Roch, Geschäftsführer des Investmentfondsanbieters RP Rheinische Portfolio Management. Faktisch würden die Notenbanken damit immer Geld drucken. Dies könne in den Wirtschaftskreislauf geraten und die Preise für Güter und Waren immer weiter in die Höhe treiben. "Die gigantische Ausweitung der Geldmenge gibt Inflationsängsten neue Nahrung", sagt Roch.

Diese Furcht lässt immer mehr Anleger in Gold  und Immobilien flüchten. Seit Ausbruch der Finanzkrise im Herbst 2008 hat sich der Dollar-Preis des glänzenden Edelmetalls mehr als verdoppelt. In Großstädten wie Berlin, Hamburg und München sind die Preise von Eigentumswohnungen in den vergangenen vier Jahren um zum Teil mehr als 50 Prozent gestiegen. Allein in den zurückliegenden zwölf Monaten verteuerten sich Wohnungen in guten Großstadtlagen nach einer neuen Studie der Maklerorganisation Immobilienverband Deutschland (IVD) um 9,1 Prozent.

Flucht in Sachwerte beunruhigt Experten

Die Flucht in die vermeintlich sicheren Sachwerte beunruhigt inzwischen immer mehr Experten. Maximilian Zimmer, Finanzchef des Allianz-Konzerns, sieht die Gefahr einer Blase am Wohnungsmarkt, aufgebläht "von Privatanlegern, die Inflation und einen Kollaps des Euro  fürchten und in Sachwerte flüchten". Für Professor Steffen Sebastian, Inhaber des Lehrstuhls für Immobilienfinanzierung am IREBS-Institut der Universität Regensburg, trägt die Entwicklung längst Züge einer sich selbst erfüllenden Prophezeiung: "Immer mehr Anleger flüchten in Gold und Immobilien und sorgen so für eine inflationäre Preisentwicklung in diesen Marktsegmenten."

Schon bald könne den privaten Investoren ein böses Erwachen drohen, meint Sebastian. Er ist überzeugt: "Wir werden mit Sicherheit keine neue Hyperinflation erleben." Obwohl die Notenbanken diesseits und jenseits des Atlantiks seit vier Jahren immer wieder an den Kapitalmärkten intervenieren, sind die Teuerungsraten bislang nicht stärker gestiegen als in den Jahren vor der Finanzkrise.

Im Oktober betrug die Inflationsrate in Deutschland 2 Prozent, vermeldete jetzt das Statistische Bundesamt. Sie liegt damit deutlich niedriger als zu Zeiten der D-Mark. Von 1970 bis 1982 betrug die Teuerung in Deutschland im Schnitt mehr als 5 Prozent pro Jahr. Zu Beginn der 90er Jahre lag die Rate zwischen 3,7 und 5,1 Prozent.

Selbst wenn die Inflationsrate wieder auf das damalige Niveau klettern oder es sogar übersteigen würde: Anleger können nicht darauf vertrauen, dass Gold oder Immobilien ihnen einen Schutz für ihr Kapital bieten. Im Gegenteil: Studien zeigen, dass beide Sachwerte höchst ungeeignet sind, um der Teuerung zu entgehen.

Immobilien bescheren ihren Besitzern Kaufkraftverlust

Zu den aufwändigsten Untersuchungen zählt eine Langzeitanalyse des Instituts der Deutschen Wirtschaft (IW) in Köln. Über 25 Jahre hinweg haben dessen Forscher die Entwicklung der Eigenheimpreise in Deutschland mit der Teuerungsrate verglichen. Das Ergebnis ist ernüchtern: Die Immobilienpreise stiegen während des langen Beobachtungszeitraums im Schnitt jeweils nur um ein Fünftel der Inflationsrate.

Legte die Teuerung um ein Prozent zu, verteuerten sich die Häuser nur um 0,2 Prozent. Die Immobilienbesitzer erlitten erhebliche Kaufkraftverluste. Der Grund dafür ist leicht erklärt: "Bei steigender Inflation ziehen die Notenbank die Zinszügel straff und verteuern damit die Hypothekendarlehen", erläutert IW-Ökonom Markus Demary. "Das lässt die Nachfrage nach Immobilien und damit deren Preise sinken."

Das gilt nicht nur für Eigenheime, sondern auch für Eigentumswohnungen, Miethäuser, Einkaufszentren und Bürotürme. Das zeigt der Immobilienindex der Forschungsgesellschaft BulwienGesa. Danach sind die Miet- und Wertsteigerungen von Wohn- und Gewerbeobjekten in den 17 Jahren vor Ausbruch der Finanzkrise deutlich hinter der Inflationsrate zurückgeblieben. Unter dem Strich haben deutsche Immobilien von 1991 bis 2008 ihren Besitzern einen Kaufkraftverlust von rund 37 Prozent beschert.

"Durch die Geldentwertung schrumpft nicht die Schuldenlast"

Viele Immobilienkäufer setzen darauf, dass die Teuerung ihre Hypothekenkredite pulverisieren wird. Auch diese Annahme sei falsch, sagt Günter Vornholz, Professor für Immobilienökonomie an der EBZ Business School in Bochum. "Durch die Geldentwertung schrumpft nicht die Schuldenlast." Denn die Inflation treibt vor allem die Preise von Rohstoffen und Nahrungsmitteln.

Die Verbraucher schränken deshalb ihren sonstigen Konsum ein. Das lähmt die Wirtschaft und sorgt für wachsende Arbeitslosigkeit. "Menschen suchen sich dann billigere Wohnungen, Unternehmen mieten weniger Büro- und Einzelhandelsflächen an", erläutert Vornholz. Deshalb könnten Immobilieneigentümer nicht die Mieten in ausreichendem Umfang anheben, um ihre Hypothekenkredite schneller zu tilgen.

Gold ist zwar in den vergangenen Jahren seinem Ruf als Fluchtwährung erneut gerecht geworden. Davon profitierten in der Vergangenheit aber immer nur jene Investoren, die das Edelmetall rechtzeitig wieder veräußerten. Denn so schnell der Preis in Krisenphasen in die Höhe schießt, fällt er auch wieder, wenn die Furcht der Anleger verfliegt.

Auch Gold schlechter Inflationsschutz

"Der Wert des Goldes wird immer stark schwanken, weil sein Preis stark von Spekulationen getrieben ist", sagt Andreas Rapp, Leiter Private Banking beim Bankhaus Ellwanger & Geiger. In ruhigen Zeiten ist mit Gold kein Geld zu machen. Es wirft keine Zinsen ab. "Dafür fallen bei der Lagerung Kosten wie Schließfachgebühren an", gibt Rapp zu bedenken.

Hinzu kommt, dass Staaten in Währungskrisen immer wieder das Edelmetall konfisziert haben. So hatte US-Präsident Franklin Delano Roosevelt mit der Executive Order 6102 am 5. April 1933 jeglichen Privatbesitz von Gold verboten. Einzige Ausnahme: Zahngold.

Die US-Bürger mussten Bestände zum Zwangsumtauschkurs von 20,67 Dollar pro Unze an die Regierung abführen. Auf Zuwiderhandlungen stand eine Haftstrafe von bis zu zehn Jahren. Die Verordnung blieb bis 1973 in Kraft. Australien verbot mit dem Banking Act von 1959 den Privatbesitz von Gold  , nachdem das Land in eine tiefe Finanzkrise geraten war. Erst 1976 wurde das Gesetz aufgehoben.

Mehr lesen über

Die Wiedergabe wurde unterbrochen.
Merkliste
Speichern Sie Ihre Lieblingsartikel in der persönlichen Merkliste, um sie später zu lesen und einfach wiederzufinden.
Jetzt anmelden
Sie haben noch kein SPIEGEL-Konto? Jetzt registrieren