
Blackbox Immobilien Kostenwelle rollt auf Hauskäufer zu
Hamburg - Billiges Geld ist ein wirksames Lockmittel. Wie stark seine Anziehungskraft ist, lässt sich derzeit täglich bei Wohnungsbesichtigungen in den Trendvierteln von München, Hamburg oder Berlin beobachten. Im Inneren herrscht wildes Gedrängel, draußen stehen Dutzende Interessenten schlange. Einige tun sich den Stress erst gar nicht mehr an. "Immer mehr Käufer schlagen blind zu", sagt Rainer Braun vom Beratungsunternehmen Empirica, das sich auf Immobilienbewertungen spezialisiert hat.
In diesen Tagen haben Makler leichtes Spiel, sie schlagen Immobilien in Rekordzeit los. Ihre einzige Sorge: Es gibt zu wenig zum Verkauf stehende Objekte in den angesagten Metropolen. Einige Makler zahlen bereits Prämien von mehreren Tausend Euro für einen Vermittlungsauftrag. Dagegen ist allein beim größten deutschen Immobilienportal Immobilienscout24 die Zahl der Kaufgesuche seit der Finanzkrise um 500 Prozent in die Höhe geschnellt.
Dementsprechend klettern die Preise im Monatstakt. Für eine Dreizimmerwohnung mit 80 Quadratmetern Wohnfläche zahlen Käufer in München laut dem Maklerverband IVD knapp 30 Prozent mehr als noch vor zwei Jahren. In Hamburg sind es 18 Prozent mehr, selbst in Hannover werden Aufschläge von einem Viertel verlangt. In diesem Jahr dürften in Deutschland Wohnungen im Wert von insgesamt zehn Milliarden Euro den Besitzer wechseln, prognostiziert die Beratungsgesellschaft CB Richard Ellis (CBRE) - eine glatte Verdopplung gegenüber dem Jahr 2011.
Befeuert wird der Kaufrausch hauptsächlich von historisch niedrigen Baufinanzierungskonditionen, dem billigen Geld. Für teils unter 3 Prozent Zinsen können sich Hauskäufer derzeit bei den Banken Kapital borgen. Hinzu kommt der Ruf des "Betongolds", ein sicherer Parkplatz für die Ersparnisse zu sein und obendrein Schutz vor einer drohenden Inflation zu bieten. Das lockt auch ausländische Investoren nach Deutschland. Sie machen nach einer Schätzung des IVD etwa ein Viertel der Interessenten in Ballungsräumen aus.
Zoff um die Bubble
Über die Folgen des Booms wird hierzulande eifrig gestritten. Bläht sich in den Metropolen eine gefährliche Preisblase auf? Droht ein Crash das Vermögen der Hausbesitzer auf einen Schlag zu vernichten? Lobbyisten wie der Maklerverband IVD oder Ökonomen wie Michael Hüther, Chef des Instituts der deutschen Wirtschaft (IW) sagen: Nein! Sie argumentieren mit dem hohen Zuzug in die wirtschaftlich starken Ballungsräume, dem geringen Neubau oder auch mit dem "Aufholprozess", in dem sich viele Städte nach einem Jahrzehnt des Preisstillstands befänden. Eine Reihe von Marktbeobachtern ist da anderer Meinung, unter anderem weil die Kaufpreise mancherorts um ein Vielfaches schneller steigen als die Mieten.
Über diese hitzige Debatte wird häufig vergessen, dass die finanziellen Risiken eines Hauskaufs auch ohne einen akuten Verfall der Preise hoch genug sind. Ob sich eine Immobilie unter dem Strich wirklich auszahlt, hängt mit einer Vielzahl von Kosten zusammen, die sich kaum im Voraus kalkulieren lassen. Denn sie bleibt oft über Jahrzehnte im Besitz des Käufers. "Die Rendite auf das Eigenkapital lässt sich nur schwer berechnen", sagt Immobilienökonom Braun. Mit anderen Worten: Häuser sind eine Blackbox.
Hier ein Überblick über die wichtigsten Risiken, die Hauskäufer auf der Rechung haben sollten:
Risiko eins: Hohe Kaufpreise
Es ist kein Geheimnis: Der Erfolg eines Investments hängt ganz entscheidend vom Einkaufspreis und der anschließenden Wertenwicklung ab. Und da geht die Schere auf dem deutschen Immobilienmarkt weit auseinander. In ländlichen Gebieten ist Wohneigentum zwar günstig zu haben. Doch viele Häuser stehen leer und gelten als unverkäuflich. Die Preise sacken seit Jahren ab. Eine Investition unter finanziellen Gesichtspunkten ist dort abwegig.

Prognose: Wo die Nachfrage nach Häusern steigt
Foto: EmpiricaFolgerichtig konzentrieren sich die Käufer auf die prosperierenden Ballungsräume. Mehr als 70 Prozent der Eigentümerwechsel in den vergangenen vier Jahren entfielen auf diese Regionen, zeigt eine Umfrage von TNS Infratest. Dort sind die Preise allerdings bereits deutlich in die Höhe geschossen.
Vermieten lohnt sich kaum noch
Die Folge: Die sogenannte Anfangsmietrendite - also das Verhältnis aus Kaufpreis zu den Jahresmieteinnahmen - ist bei Topobjekten rückläufig und hat in Städten wie München oder Hamburg bereits eine kritische Schwelle erreicht. Nach Abzug der Inflation bleibt kaum noch etwas übrig. Wer dort jetzt noch kauft, spekuliert auf einen steigenden Wert der Immobilie und damit auf eine Fortsetzung des Booms.
Zumindest kurzfristig scheinen die Aussichten dafür gut. "Der Schub wird noch zwei bis drei Jahre anhalten", sagt Andrew Groom, Chefgutachter beim Immobiliendienstleister Jones lang LaSalle (JLL). "Danach droht jedoch eine Schwächephase."
Die Entwicklung der nächsten Jahrzehnte vorherzusagen, ist jedoch faktisch unmöglich. Das gilt umso mehr für einzelne Häuser, schließlich kann eine sehr gute Lage schon durch den Bau einer Schnellstraße zunichte gemacht werden.
Risiko zwei: steigende Zinsen
Die Zeit der Traumkonditionen für die Immobilienfinanzierung könnte bald vorbei sein, sagen Experten. "Die Bauzinsen werden derzeit von der Politik bestimmt", sagt Steffen Sebastian, Professor für Immobilienfinanzierung an der Universität Regensburg.
Die Logik dahinter: Nach der Entscheidung der Europäischen Zentralbank (EZB), unbegrenzt Anleihen von Krisenländern zu kaufen, um deren Staatskassen zu entlasten, erwarten Marktbeobachter höheren Renditen für Bundesanleihen. Damit steigen auch die Refinanzierungskosten hiesiger Banken, die wiederum die Kosten an ihre Kreditnehmer weiterreichen.
Mit einem rapiden Anstieg rechnet Finanzierungsexperte Sebastian in den kommenden Monaten zwar nicht. Doch selbst kleine Veränderungen können die Finanzplanung eines Hauskäufers gehörig durcheinanderwirbeln. Ein Beispiel: Bei Topbonität vergibt eine Bank ein zehnjähriges Darlehen über 200.000 Euro für einen Sollzins von 2,5 Prozent. Steigt der Zinssatz nur um 0,5 Prozent an, erhöht sich die finanzielle Belastung bereits um 10.000 Euro.
Viele Kreditnehmer greifen in dieser Situation zu extrem langen Laufzeiten. Zinsbindungen mit 20 Jahren sind en vogue. Ihr Anteil hat sich binnen eines Jahres verfünffacht und macht nun rund 11 Prozent aus, zeigt eine Auswertung des Hypothekenvermittlers Interhyp. Wer nach zwei Jahrzehnten die Restschuld finanzieren muss, dem droht eine finanzielle Schieflage. Denn das Risiko, dass die Zinsen dann deutlich höher liegen, ist groß. Von 1980 bis heute liegt der Durchschnitt für Zehnjahres-Darlehen bei 6,8 Prozent.
Käufer übernehmen sich
Zudem gibt es erste Warnsignale, dass am Markt auch Käufer aktiv sind, die sich eine Immobilie eigentlich nicht mehr leisten können. Sie bringen schlicht zu geringe Ersparnisse mit. Nach einer Erhebung des Baufinanzierungsvermittlers Baufi24 fiel die Eigenkapitalquote im zweiten Quartal bundesweit auf gerade einmal 13 Prozent.
Das sieht offenbar auch SPD-Kanzlerkandidat Peer Steinbrück skeptisch. In seinem Positionspapier zur Regulierung der Finanzmärkte fordert er, die Beleihung von Immobilien in Europa auf 80 Prozent zu begrenzen - als "Lehre aus der Immobilienblase in den USA".
Beachten sollten Käufer auch die Nebenkosten. Die Aufwendungen für Steuern, Makler und Notar summieren sich schnell auf 10 Prozent des Kaufpreises. Sie müssen meist aus eigener Tasche gezahlt werden, vom Darlehen werden sie in der Regel nicht abgedeckt. Für Häuslebauer kommen noch diverse Kosten für Gutachten und Erschließung hinzu.
Risiko drei: Steuererhöhungen
Der gestiegene Wert der Wohnhäuser weckt Begehrlichkeiten - nicht zuletzt beim Staat. Um die Löcher in den öffentlichen Kassen zu stopfen, könnten werthaltige Immobilien in das Visier der Kämmerer geraten. "Hausbesitzer sind der Politik ausgeliefert", sagt Empirica-Ökonom Braun. Eine Villa lässt sich nun mal nicht so leicht verlegen wie ein Aktiendepot oder ein Bankkonto.
Internationale Institutionen monieren mit Blick auf Deutschland immer wieder, dass die Besteuerung von Wohneigentum zu niedrig sei. So fordert die OECD in ihrem "Wirtschaftsbericht Deutschland 2012", das Staatssäckel mit Einnahmen aus Immobilien zu füttern. Nur ein Prozent des Gesamtsteueraufkommens entfallen demnach auf Grundbesitz - der OECD-Schnitt liegt drei Mal höher.
Möglichkeiten, die Hausbesitzer stärker zu schröpfen, gibt es reichlich: Beispielsweise eine Vermögensteuer. Im Nachbarland Frankreich greift sie seit diesem Herbst bereits bei einem Gesamtvermögen von 800.000 Euro. Mit einem Stadthaus in München wäre diese Grenze schnell erreicht. Das Risiko, dass in Deutschland eine solche Regelung eingeführt wird, ist momentan aber eher gering.
Steuerschlupfloch vor dem Aus
Bei der Erbschaftsteuer sieht das schon anders aus. Verschärfungen für Hausbesitzer sind absehbar. Bislang konnten sie mit ein paar Kniffen Immobilienvermögen in beliebiger Höhe am Fiskus vorbei schleusen, nämlich mit Hilfe der sogenannten Cash-GmbHs. Doch das Bundesverfassungsgericht könnte dieses Schlupfloch bald schließen. Am Mittwoch erklärte der Bundesfinanzhof die seit 2009 geltende weitgehende Steuerfreiheit für Betriebsvermögen - also auch für Cash-GmbHs - für verfassungswidrig und verwies das Gesetz zur Prüfung zurück nach Karlsruhe.
Eine weitere Finanzierungsquelle für den Staat ist die Grunderwerbsteuer. Seit 2006 haben die Bundesländer die Hoheit über die Geldquelle. Ergebnis: Die Steuerschraube wird kräftig angezogen. Happige 5 Prozent müssen Hauskäufer in den meisten Bundesländern schon berappen. Nur in Bayern, Hessen und Sachsen werden noch 3,5 Prozent fällig. Weitere Erhöhungen sind wahrscheinlich. "Bei den Steuersätzen kennt der Gesetzgeber eigentlich nur eine Richtung: nach oben", sagt Ökonom Sebastian.
Ganz ähnlich sieht es bei der Grundsteuer aus. Viele klamme Kommunen haben sie erhöht. Zudem gilt die Grundsteuer als veraltet und ungerecht. Die Bemessungsgrundlage, die sogenannten Einheitswerte, stammen teilweise aus dem Jahr 1935 und haben mit den heutigen Marktwerten nichts mehr zu tun. Beim Bundesverfassungsgericht liegt bereits eine Beschwerde vor. Eine Reform ist also nur noch eine Frage der Zeit.
Die Folge: "Die Bemessungsgrundlagen könnten erheblich steigen. Auf jeden Fall wird es Gewinner und Verlierer geben", sagt Hermann Rappen, Finanzwissenschaftler vom Rheinisch-Westfälisches Institut für Wirtschaftsforschung (RWI). Hausbesitzer müssen also auch hier womöglich tiefer in die Tasche greifen.
Risiko vier: steigende Sanierungskosten
Nach langem Hin und Her hat sich die Bundesregierung Ende September darauf geeinigt, die Energieeinsparverordnung (EnEv) deutlich zu verschärfen. Zwar sind nachträgliche Zwangssanierungen für bestehende Häuser erst einmal vom Tisch. Bauherren müssen sich jedoch auf höhere Kosten einstellen.
Geplant ist, dass Neubauten ab 2014 und 2016 ihren Energiebedarf jeweils um 12,5 Prozent reduzieren. Dürfen Häuser rechnerisch derzeit 7 Liter Heizöl pro Quadratmeter und Jahr verbrauchen, sind im ersten Schritt noch 6,125 Liter und anschließend 5,36 Liter erlaubt. Ein entsprechendes Gesetz soll im kommenden Jahr beschlossen werden. Erste Schätzungen gehen von Mehrkosten von 4 Prozent ab 2014 und noch einmal 6 Prozent ab 2016 aus.
Die Immobilienlobby läuft Sturm: Die Verschärfung sei "sozialer Zündstoff", sagt Walter Rasch, Vorsitzender der Spitzenverbände der Immobilienwirtschaft. Bei Selbstnutzern drohe der Zwangsverkauf der eigenen Immobilie, Mieter kämen in starke finanzielle Bedrängnis. "Dies käme einer Enteignung gleich", so Rasch.
Quasi im Gegenzug für die härteren Anforderungen sind Steuervorteile geplant. 10 Prozent der Sanierungskosten sollen die Hausherren zukünftig in ihrer Steuererklärung geltend machen können Doch Bund und Länder können sich seit Monaten nicht einigen. Die Hängepartie im Vermittlungsausschuss nervt inzwischen sogar Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU). Anfang September forderte sie in ihrem Videopodcast eine schnelle Einigung. Die Blockade sei "sehr ärgerlich". Passiert ist bislang nichts.