
Investoren im Kaufrausch Die große Immobilien-Party in Berlin
Hamburg - Selbst Klaus Wowereit, Bürgermeister und legendäres Feierbiest Nummer eins von Berlin, dürfte nur selten so ausgelassener Stimmung gewesen sein, wie zurzeit die Immobilienmakler in seiner Stadt. Wo jahrzehntelang Tristesse herrschte, knallen jetzt die Korken: beim Verkauf von Wohnungen und Häusern. Die Preise in den begehrten Vierteln, so scheint es, steigen schneller, als Wowereit ein Glas Champagner leeren kann.
Keine Frage: Die Sachwerthausse, die seit wenigen Jahren die Immobilienpreise in Großstädten und Ballungszentren quer durch die Republik in die Höhe treibt, hat auch die Hauptstadt voll erfasst. Und mehr noch: In Berlin zeigt sie sich in ganz besonderer Qualität. In kaum einer anderen deutschen City startete der Preisanstieg auf so niedrigem Niveau. Und kaum anderswo wollen Marktteilnehmer nach wie vor so viel Luft nach oben erkennen.
Dazu kommt: Als Regierungssitz und Kulturmetropole von Weltrang verfügt Berlin offenbar über eine besonders starke Anziehungskraft - auch jenseits der deutschen Grenzen. Anders als etwa in Hamburg oder München streifen an der Spree auch Investoren - private wie professionelle - aus Russland, Spanien oder Skandinavien durch die Straßen, stets auf der Suche nach dem Investitionsobjekt ihrer Begierde.
Wie sehr der Berliner Immobilienmarkt vom aktuellen Boom getrieben wird, zeigt ein Blick auf die Zahlen. So stiegen die Preise für Eigentumswohnungen in der Hauptstadt nach Angaben der Beratungsagentur F+B in den vergangenen fünf Jahren im Schnitt um insgesamt 23,4 Prozent. Bei Neubauwohnungen ging es nach Berechnung der Vermittlungsplattform Immobilienscout24 sogar um mehr als 41 Prozent nach oben.
Gekauft wird alles, worin sich wohnen lässt
Berlin spielt damit in einer Liga mit klassischen Hotspots wie Hamburg oder München. Andere deutsche Großstädte wie Frankfurt am Main, Düsseldorf oder Dresden erleben zwar auch Preissteigerungen, allerdings längst nicht in dem Ausmaß.
"Viele Berliner nutzen die niedrigen Hypothekenzinsen und kaufen sich endlich die Wohnung, in der sie vielleicht schon seit Jahren zur Miete leben", erklärt Jürgen Kriegisch einen Teil des Booms. Als Chef des neugegründeten Unternehmens Part-B hat er die Aufgabe übernommen, Wohnungen zu veräußern, die der norwegische Investor Industrifinans vor einigen Jahren im großen Stil in der Hauptstadt zusammengekauft hat. "Zudem haben wir Interessenten aus ganz Deutschland sowie aus dem Ausland", so Kriegisch.
Tatsächlich begeistern sich in den Wirren der Euro-Schuldenkrise die verschiedensten Anlegertypen für Investments in Deutschlands wohl einziger echter Weltstadt. Dazu gehören Privatleute ebenso wie Family Offices oder institutionelle Großanleger aus dem In- und Ausland. Auf den Fahndungslisten der Kaufwilligen findet sich fast alles, worin sich wohnen lässt, von der Eigentumswohnung in Berlin-Mitte über das Mehrfamilienhaus in Trendvierteln wie Kreuzberg oder Neukölln bis hin zu ganzen Wohnungsportfolios, verteilt über beinahe die gesamte Stadt.
Um satte 35 Prozent, so berichtet etwa das Maklerhaus Engel & Völkers in diesen Tagen, stieg der Umsatz mit Mehrfamilienhäusern allein im vergangenen Jahr. 2012 dürfte die Zahl der Transaktionen nochmals zulegen, heißt es. Die Experten erwarten dann ein Volumen von mehr als vier Milliarden Euro - erstmals seit 2007.
Ausländer kaufen zu 80 Prozent in Berlin
Der weltgrößte Immobilienberater CB Richard Ellis (CBRE) hat zudem eigens für manager magazin online den Handel mit Wohnimmobilienportfolios in Deutschland durchleuchtet. Ergebnis: Der weitaus größte Einzelposten dieser Deals entfällt auf die Bundeshauptstadt. Wechselten 2010 noch Berliner Wohnungsportfolios im Wert von zusammen lediglich 420 Millionen Euro den Besitzer, explodierte das Volumen 2011 förmlich auf 2,3 Milliarden Euro. München und Hamburg kamen im gleichen Jahr lediglich auf 200 Millionen und 175 Millionen Euro.
Im laufenden Jahr liegt Berlin erneut weit vorne: In den ersten sechs Monaten summierte sich das Investitionsvolumen rund um Reichstag, Ku'damm und Gedächtniskirche bereits auf zwei Milliarden Euro. Hamburg und München erreichen jeweils gerade gut ein Zehntel dieses Wertes.
Michael Schlatterer, CBRE-Experte für Berlin, geht für das Gesamtjahr von einem Volumen von 3,5 Milliarden Euro oder mehr aus, die in Berlin allein mit Portfolios umgesetzt werden. Das wäre gleichbedeutend mit einer Steigerung um mehr als 50 Prozent. Insgesamt, so Schlatterer, könnten bis Jahresende so genannte Zinshäuser im Wert von über 7,5 Milliarden Euro gehandelt werden - nach rund 5,5 Milliarden Euro im Vorjahr.
Und auch der CBRE-Experte beobachtet besonderes Interesse von jenseits der deutschen Grenzen. "Wenn ein ausländischer Investor nach Deutschland kommt, um Immobilien zu kaufen, geht er zu 80 Prozent nach Berlin", sagt Schlatterer.
Wohnungspreise haben Aufholbedarf
Für die dortige Immobilienbranche muss es sich anfühlen wie das märchenhafte Erwachen aus dem Dornrößchenschlaf. Während der innerdeutschen Teilung fristete die Stadt ein Einzelschicksal, isoliert vom Rest der Republik. Die Wirtschaft wurde staatlich gestützt und brauchte sich um Konkurrenzfähigkeit kaum zu sorgen. Ähnliches galt für den Immobilienmarkt, wo Eigentum kaum eine Rolle spielte. Wohnraum war ausreichend vorhanden und die Mieten wurden vielfach mit staatlicher Subvention gedrückt.
Nach der Wiedervereinigung gingen noch einmal Jahre verloren, weil viele Produktionsbetriebe ins geförderte Umland der neuen Länder verschwanden. Für die wegfallenden Arbeitsplätze konnte so schnell kein Ersatz geschaffen werden. Erst in jüngerer Zeit gelang es, die Modernisierung der Wirtschaft in Gang zu setzen. Inzwischen expandiert das Bruttoinlandsprodukt (BIP) wieder, die Bevölkerungszahl steigt, die Arbeitslosigkeit geht zurück. Immer mehr auch internationale Firmen eröffnen Niederlassungen an der Spree. Oder sie ziehen gleich komplett ins Zentrum der Macht.
Die neue Dynamik macht sich nun also auch auf dem Häuser- und Wohnungsmarkt bemerkbar. Die Nachfrage steigt und mit ihr Umsätze und Preise. Immobilienmenschen wie Jürgen Kriegisch sind sich sicher, dass ihre Geschäfte noch eine ganze Weile weiter florieren werden. "Berlin steht erst am Anfang seiner Entwicklung", sagt er. "Davon wird auch der Immobilienmarkt weiter profitieren." Schließlich, so Kriegisch, hätten sowohl Preise als auch Mieten noch jede Menge Aufholbedarf.
Die These lässt sich leicht untermauern. Nach Angaben von F+B kostet ein Quadratmeter Wohnraum in einer Eigentumswohnung in Berlin zurzeit im Schnitt etwa 1700 Euro. In Hamburg liegt der Wert bei 2700 Euro, München kommt sogar auf 3900 Euro. Die bayerische Hauptstadt führt damit das bundesweite Ranking der teuersten Städte an - Berlin liegt auf Platz 157.
Mehr als 4 Prozent Rendite sind kaum drin
Und nebenbei bemerkt: Der Abstand der deutschen Hauptstadt zu anderen in Europa, etwa Paris oder London, ist noch deutlich größer. An der Themse etwa wurden bereits Spitzenpreise von mehr als 5000 Euro pro Quadratfuß kolportiert - das wären über 60.000 Euro pro Quadratmeter.
Zwar gilt: Wer mit einer Immobilie Rendite erzielen will, der schaut nicht nur auf das Preisniveau. Relevant ist vielmehr die Relation zu den erzielbaren Mieten. Und die bewegen sich in Berlin trotz Anstiegs nach wie vor auf vergleichsweise niedrigem Niveau. Renditen von viel mehr als 4 Prozent sind daher für Anleger trotz der günstigen Kaufpreise in der Regel kaum drin.
Part-B-Mann Kriegisch beirrt das jedoch nicht. "Entscheidend ist das Steigerungspotenzial, bei Preisen wie bei Mieten", sagt er. Und noch etwas befeuert seinen Optimismus: die Bevölkerungsentwicklung. Die Stadt erfreut sich nicht zuletzt Dank ihres wirtschaftlichen Erfolgs regen Zuzugs. Erstmals stieg die Bevölkerungszahl im vergangenen Jahr auf mehr als 3,5 Millionen, wie etwa dieser Tage die örtliche IHK in einer Info-Broschüre jubelt.
Auf der anderen Seite kommt der Wohnungsneubau kaum hinterher, so Kriegisch. Er verweist auf eine Studie, die von der auf Immobilien spezialisierten BulwienGesa AG eigens im Auftrag von Part-B erstellt wurde.
Experten sehen größte Übertreibungsgefahr in Berlin
Ergebnis: Verglichen mit anderen deutschen Großstädten wurde in Berlin in den vergangenen zehn Jahren eine unterdurchschnittliche Zahl an Wohnungen in Mehrfamilienhäusern errichtet. Aktuell, so die Analyse, fehlen im Zentrum schätzungsweise 25.000 Wohnungen - dort also, wo es sowohl Mieter als auch Käufer am ehesten hinzieht. Auch die stabile wirtschaftliche Situation mit sinkender Arbeitslosigkeit und steigenden Einkommen führt BulwienGesa als Pluspunkte an.
Das Bild scheint also zu stimmen: Einem anhaltenden Immobilienaufschwung in Berlin scheint auf absehbare Zeit nichts im Wege zu stehen. Doch Vorsicht, ganz so einfach ist es wohl nicht. Unter Experten sind auch andere Töne zu hören. Die Wissenschaftler vom Kölner Institut der deutschen Wirtschaft (IW) etwa blicken wie viele andere Fachleute inzwischen mit Sorge auf den gesamten deutschen Immobilienmarkt. Sie haben daher kürzlich - ebenfalls ähnlich wie zahlreiche andere - in einer Studie untersucht, ob und wo es zu Übertreibungen kommen könnte.
Das Ergebnis: Eine Preisblase gibt es am deutschen Wohnungsmarkt nach Beobachtung des IW derzeit nicht. Wenn sich jedoch in einer Stadt Übertreibungen anbahnen - dann ist es in Berlin. Und der starke Preisanstieg der vergangenen Jahre ist keineswegs der einzige Grund dafür. "Die Angebote an zu verkaufenden Objekten sind in der Hauptstadt während des Betrachtungszeitraums stark gestiegen", sagt vielmehr IW-Forscher Michael Voigtländer gegenüber manager magazin online. "Das ist ein wenig verwunderlich, in Hamburg oder München zum Beispiel waren die Offerten rückläufig."
Ebenfalls im Unterschied zu Hamburg oder München sieht das IW in Berlin größere politische Risiken. "2013 haben wir ein Wahljahr", so Voigtländer. "Gut möglich, dass dann populäre Entscheidungen getroffen werden, beispielsweise um den Anstieg der Mieten einzugrenzen."
"Phase der Preisanstiege hat ihr letztes Drittel erreicht"
Der Hintergrund: Der Anteil an Mietwohnungen ist in Berlin nach wie vor hoch. Und ohnehin gelten die Hauptstädter im Schnitt im Vergleich zu Bewohnern anderer Metropolen als weniger solvent, so Voigtländer. "Wir haben dort eine hohe Quote an Empfängern von Grundsicherungen wie Arbeitslosengeld II oder von Wohngeld", sagt er.
Auch Thomas Beyerle, Research-Chef von IVG Immobilien, sieht bereits das Ende des Berliner Booms kommen. "Die Phase der Preisanstiege hat bereits ihr letztes Drittel erreicht", ist er sich sicher. "Ab 2013 wird es deutlich schwieriger, in Berlin Immobilien zu verkaufen."
Seine Begründung: Wichtige Faktoren, die die gegenwärtige Euphorie treiben, werden früher oder später entfallen. Als Beispiele nennt Beyerle die Euro-Krisen-bedingte Flucht in die Sachwerte sowie die Unterbewertung des Marktes, die nach und nach abnehme. "Damit wird auch ein Großteil der Hochstimmung verfliegen, die nach dem Motto 'Hausse treibt Hausse' ebenfalls zum Aufschwung beiträgt", sagt er. "Es bleiben die fundamentalen Kriterien. Und ob die weiterhin derartige Preissprünge rechtfertigen, erscheint fraglich."
Die große Immobilien-Party in Berlin könnte also schneller enden als gedacht. Es wäre nicht das erste Mal. Und die Erfahrung zeigt: Kippen Märkte nach starken Aufschwüngen, dann sind die unmittelbar Beteiligten oft am stärksten davon überrascht.
Das beste Beispiel dafür liefert wohl Charles Prince, ehemaliger Chef der Großbank Citigroup. "Solange die Musik spielt, musst du aufstehen und tanzen", sagte er noch im Juli 2007. "Wir tanzen noch." Einige Monate später sah die Sache anders aus: Die Welt hatte ihre Wirtschaftskrise, die Citigroup milliardenschwere Probleme und Prince keinen Job mehr.
Die Immobilienkäufer und -verkäufer in Berlin tanzen zurzeit ebenfalls - noch.