
Steigende Risiken: Was beim Immobilienkauf schief gehen kann
Immobilienkauf Die Niedrigzinsfalle
Hamburg - Alberto Martínez ist ein glücklicher Mann. Der Chef des spanischen Bauträgers Triple A Immobilian hat ein Grundstück in Berlin ergattert. Auf den 2330 Quadratmetern am Neustädtischen Kirchplatz, dem laut Martínez letzten freien Baugrund im Quatier nördlich des Brandenburger Tors, will er eine Luxuswohnanlage errichten, mit Appartements für bis zu 10.500 Euro pro Quadratmeter.
Die Immobilienmisere in seinem Heimatland hat den Spanier in die deutsche Hauptstadt getrieben. "In Deutschland ist der Immobilienabsatz auch in größten Turbulenzen stabil geblieben", sagt er. "Daher lag es nahe, sich hier nach Grundstücken und Geschäftspartnern umzusehen."
Jetzt, wo Deutschland als Ort der Stabilität international in Mode kommt, ist es allerdings schwer, bei attraktiven Grundstücken zum Zuge zu kommen, so Martínez. Damit spricht er eine Entwicklung an, die in allen deutschen Metropolen zu beobachten ist: Seit Beginn der Wirtschaftskrise vor rund drei Jahren sind Immobilien begehrt wie selten zuvor. Privatleute stecken ihr Erspartes ins als verlässlich geltende Betongold, institutionelle Anleger kaufen wieder ganze Wohnungspakete.
Vor wenigen Tagen etwa teilte der internationale Immobilienberater CB Richard Ellis (CBRE) mit, der Handel mit Wohnportfolios hierzulande setze seinen im Vorjahr gestarteten Höhenflug ungebremst fort. Das Transaktionsvolumen bei Paketen ab 50 Wohneinheiten sei gegenüber dem Vorjahr im ersten Quartal um 76 Prozent gestiegen. Mit über 3,5 Milliarden Euro wurde in den ersten drei Monaten schon mehr als die Hälfte des gesamten Vorjahresumsatzes erreicht, so CBRE.
Furcht vor der Immobilienblase
Doch nicht nur Profis greifen zu. Auch bei privaten Anlegern steigt das Interesse weiter. Gerade erst ergab eine Umfrage des Baufinanzierers Interhyp und der Plattform Immobilienscout24, dass steigende Mieten und niedrige Zinsen immer mehr Menschen dazu bewegen, Wohneigentum zu erwerben. Gleichzeitig schwinde das Vertrauen in andere Investments wie etwa Aktien oder Anleihen.

Der Europace-Hauspreis-Index für Deutschland: Vor allem die Preise für neue Häuser und Wohnungen sind stark gestiegen
Foto: Europace / mm.deDie Folge: Vor allem in Ballungszentren und Großstädten steigen die Haus- und Wohnungspreise immer weiter an. Das gilt zum Beispiel für Hamburg oder München, besonders aber auch für Berlin, wo Triple-A-Chef Martínez sein Projekt plant. Die für den deutschen Markt ungewöhnlich dynamische Entwicklung lässt sich gut am Europace-Hauspreis-Index ablesen, der im März einen neuen Höchstwert erklomm (siehe Grafik).
Kurzum: Deutschland erlebt einen veritablen Immobilienboom - und der treibt den ersten Experten bereits Sorgenfalten auf die Stirn. Immer häufiger ist von einer möglichen Immobilienblase die Rede. Wie vor Beginn der Wirtschaftskrise 2008 in Großbritannien, Spanien oder den USA könnten die Preise auch hierzulande den Bezug zur Realität verlieren, so die Sorge. Früher oder später würde das fast zwangsläufig zum Kollaps führen.
Risiken, da sind sich die Experten einig, gibt es schon jetzt genug beim Immobilienkauf. Und mit jedem Tick, den das Preisniveau weiter nach oben geht, nehmen sie zu. Als größte Gefahr für die Käufer gilt gegenwärtig ein Ereignis, das irgendwann in Zukunft praktisch unausweichlich eintreten wird: Der Anstieg der Zinsen. Dadurch würden Hypotheken teurer, was die Immobiliennachfrage beeinträchtigen und den Preisanstieg stoppen dürfte. Vor allem aber könnte es vielen, die gegenwärtig am Markt zuschlagen, nachträglich einen dicken Strich durch die Kalkulation machen.
Nicht auf günstige Zinsen hereinfallen
"Langfristig besteht eindeutig ein Zinsänderungsrisiko", sagt Stefan Gawarecki, Vorstandssprecher beim Finanzdienstleister Dr. Klein. "Dass die Zinsen über mehrere Jahre auf dem aktuell historischen Niveau verharren, ist sehr unwahrscheinlich." Gawarecki empfiehlt deshalb, bei der Finanzierung Sondertilgungsrechte zu vereinbaren, um die Restschuld bei der Verlängerung möglichst gering zu halten. Zudem rät er zu möglichst langen Zinsbindungen und hohen Tilgungsraten. Der Grund: "Aufgrund des niedrigen Zinsniveaus entstehen bei sehr geringen Tilgungen enorm lange Gesamtlaufzeiten von bis zu 40 Jahren", so der Experte.
Damit spricht er ein Problem an, das den wenigsten Käufern bewusst sein dürfte: Die in Deutschland übliche Immobilienfinanzierung per Annuitätendarlehen führt dazu, dass sich die Kreditlaufzeit verlängert, wenn die Zinsen fallen und alle anderen Parameter - vor allem also die anfängliche Tilgungsrate - unverändert bleiben. Wer sich derzeit von den günstigen Bauzinsen zum Kauf verleiten lässt, dem droht also womöglich erst in Jahrzehnten ein böses Erwachen. Und der Reiz ist groß, denn Finanzierungen sind momentan schon zu Zinsen von weniger als 3 Prozent zu bekommen.
Eine gefährliche Falle, in die nach Beobachtung von Stephan Scharfenorth auch immer mehr unerfahrene Verbraucher und Familien mit kleineren Haushaltseinkommen tappen. "Von den niedrigen Kreditraten angelockt erfüllen sie sich den Traum von den eigenen vier Wänden", sagt der Chef der Plattform Baufi24.de. "Bedenklich ist in dem Zusammenhang, dass auf der anderen Seite einige Kreditinstitute und Versicherer das Hypothekengeschäft als neue Wachstums- oder Kompensationsmöglichkeit erkannt haben."
Das drohende finanzielle Unheil lässt sich sehr präzise berechnen. Am Beispiel des Projektes "Lux" etwa, das Triple A am Neustädtischen Kirchplatz in Berlin plant. Die Wohnungen dort haben eine Durchschnittsgröße von 120 Quadratmetern und werden im Schnitt für 6700 Euro pro Quadratmeter veräußert. Kauft sich Max Mustermann also ein beispielhaftes Appartement im "Lux", so müsste er dafür rund 800.000 Euro bezahlen.
Von Anfang an höhere Kreditraten vereinbaren
Angenommen Mustermann hat 200.000 Euro gespart und lässt sich die noch fehlenden 600.000 Euro als Kredit mit zehn Jahren Laufzeit von einer Bank geben. Dann könnte er bei einem Zins von 2,94 Prozent und einer anfänglichen Tilgung von einem Prozent auf eine monatliche Rate von lediglich 1970 Euro kommen. Zum Vergleich: Im Jahr 2000, bei einem Hypothekenzins von 6 Prozent und einer Tilgungsrate von einem Prozent, hätte die Kalkulation noch eine Monatsrate von 3500 Euro ergeben.
Das Problem ist allerdings: Die Laufzeit der Finanzierung betrug vor zwölf Jahren lediglich 33 Jahre. Aktuell dagegen hätte Herr Mustermann 50 Jahre lang an dem Darlehen zu knabbern. Ausreichend Zeit also für jede Menge Zinserhöhungen oder andere störende Ereignisse, wie etwa ein Jobverlust oder ähnliches.
Insbesondere ein Zinsanstieg kann es in sich haben. Schon bei einem Plus von 2 Prozentpunkten wüchse die monatliche Rate auf 2852,27 Euro an. Gehen die Zinsen um 4 Prozentpunkte nach oben, wären jeden Monat sogar 3736,18 Euro fällig.
Für Baufi24-Chef Scharfenorth steht fest: Wer sich die höheren Raten nicht leisten kann, sollte schon jetzt die Finger von der Immobilie lassen. Mehr noch, er rät Hauskäufern und Bauherren, schon im gegenwärtig günstigen Umfeld höhere Raten zu kalkulieren und eine höhere Anfangstilgung zu vereinbaren. "Grundsätzlich erachte ich eine Leistungsfähigkeit von mindestens 6 Prozent für notwendig, besser sind 7 Prozent", sagt Scharfenorth. "Das verkürzt die Laufzeit enorm und schafft Spielraum." Steigen die Zinsen, so der Experte, dann kann das jederzeit durch eine Reduzierung der Tilgung abgefedert werden.
Immobilienkäufern drohen Nachforderungen durch die Bank
Immobilieninteressenten sollten sich die Warnung zu Herzen nehmen. Denn eine künftige Zinserhöhung wirkt sich längst nicht nur auf die eigene Kreditrate aus. Gleichzeitig dürfte sie auch die Nachfrage nach Immobilien beeinträchtigen, was vielerorts zu einem Preisverfall führen könnte.
Für diejenigen, die zum gegenwärtigen Zeitpunkt kaufen, hätte das zweierlei Folgen. Erstens: Ein Verkauf des Objektes brächte womöglich nicht den erhofften Gewinn. Im schlimmsten Fall müssten sogar Einbußen gegenüber dem Kaufpreis hingenommen werden.
Und zweitens: Die finanzierende Bank könnte einen Preisrückgang zum Anlass nehmen, um die Kreditsicherheiten - sprich die Immobilie - neu zu bewerten. Stellt sie dabei fest, dass sich die Relation von Fremdkapital und Objektwert, der Beleihungswert also, zu sehr verschlechtert hat, so kann sie den Käufer erneut zur Kasse bitten. Nicht jeder dürfte in der Lage sein, das dann geforderte zusätzliche Kapital aus dem Stand aufzubringen.
Komplexe Probleme also, die in der Zukunft vielerorts auftreten können. Gegenwärtig allerdings scheint sich daran noch kaum jemand zu stören. Im Gegenteil, das Immobiliengeschäft läuft nach wie vor auf Hochtouren. Triple-A-Chef Martínez etwa hat beim Projekt "Lux" in Berlin schon fast die Hälfte seiner geplanten 64 Wohneinheiten verkauft, teilt seine Vertriebsfirma Ziegert mit. Dabei wurde noch nicht einmal der erste Spaten in den Baugrund gestochen.
Derzeit wird das geschichtsträchtige Grundstück im Bereich der 1673 gegründeten Dorotheenstadt noch von Archäologen untersucht, die dort bereits Wohnanlagen aus dem 19. Jahrhundert gefunden haben. Frühestens im Mai wird Martínez mit dem Bau des "Lux" beginnen können - und wenn alles glatt läuft, können die Käufer der Luxuswohnungen im Frühjahr 2014 ihre neue Bleibe beziehen.