Börsenprofi Thomas Grüner erklärt Warum die deutsche Wirtschaft wirklich leidet

Containerterminal Bremen
Foto: Carmen Jaspersen/ dpaRezessionsängste prägen das fundamentale Bild der deutschen Wirtschaft, spätestens seitdem das Wachstum des Bruttoinlandsprodukts im zweiten Quartal 2019 mit minus 0,1 Prozent negativ ausfiel. Während der Haushaltskonsum zwar um 0,1 Prozent zulegte und auch die Staatsausgaben um 0,5 Prozent stiegen, sorgten insbesondere abnehmende Exporte mit minus 1,3 Prozent für die negative Entwicklung. Und auch für das dritte Quartal sehen die Prognosen nicht viel besser aus. Sollten sich diese bestätigen, so wäre die Definition einer Rezession in Deutschland erfüllt. Diese umfasst zwei Quartale mit einem negativen Wachstum. Steht der große Abschwung also noch bevor?

Thomas Grüner ist Gründer und Vice Chairman des Vermögensverwalters Grüner Fisher Investments (www.gruener-fisher.de ) mit Sitz in Rodenbach bei Kaiserslautern.
Gründe für die schwache Entwicklung des Bruttoinlandsprodukts in Deutschland gibt es ausreichend. So ist zum einen die exportabhängige, deutsche Industrie stark von Abnehmern der globalisierten Welt abhängig. Hierbei kam nun negativ zum Tragen, dass im letzten Jahr die chinesischen Schattenbanken durch staatliche Stellen reguliert wurden, was dazu führte, dass breite Schichten des chinesischen Mittelstands von Kreditlinien abgeschnitten wurden. Als Ergebnis sieht man inzwischen eine globale industrielle Rezession, was insbesondere auch negativ für die deutsche Industrie ist.
Das zweite große Problem der deutschen Wirtschaft ist die Automobilbranche, seit Jahrzehnten Garant für die starke Entwicklung in Deutschland. Während sich in der aktuellen Phase das Kreditumfeld verschlechtert, sorgt dies für sinkende Autokäufe auf globaler Ebene, da Neuwagen tendenziell auf Kredit gekauft werden. Neben verschärften Abgasvorschriften trifft der Wandel der Antriebstechnologie die Branche nun zusätzlich. Beide Entwicklungen sind kapitalintensiv und versprechen erst in naher Zukunft den dazu passenden Ertrag. Die Kombination der drei Faktoren sorgt für eine schwache Entwicklung der Autobauer und Zulieferer.
Als drittes großes Problem lässt sich der Brexit ausmachen. Deutschlands Ex- und Importe werden in beachtlichen Mengen mit Großbritannien vollzogen. Diese fielen jedoch im zweiten Quartal immens, was seinen Grund in der Verschiebung des Austrittsdatums hatte. Britische Firmen erwarteten, dass der Brexit zum 29. März 2019 vonstatten gehen würde - mit oder ohne Vertrag. Um für jeden Fall gewappnet zu sein, baute man im ersten Quartal immense Lagerbestände auf, um notfalls eine gewisse Zeit der Unsicherheit mit Waren versorgt zu sein. Unter anderem fand diese Entwicklung Ausdruck in einer Steigerung des deutschen Bruttoinlandsprodukts von 0,4 Prozent im ersten Quartal. Als dann der Brexit verschoben wurde, verbrauchte man nun im zweiten Quartal zunächst die Lagerbestände - ein kurzfristig negativer Effekt.
Staatsüberschuss auf Rekordhoch
Während die fundamentale Entwicklung schwächelt, gibt es jedoch auch "gute" Nachrichten zu vermelden. Die jahrelange Sparpolitik der deutschen Entscheidungsträger trägt nun Früchte. So konnte das Statistische Bundesamt verkünden, dass Bund, Länder, Gemeinden und Sozialversicherungen im ersten Halbjahr rund 45,3 Milliarden Euro mehr einnehmen konnten als sie ausgaben. Während Haushaltsüberschüsse tendenziell für ein gutes Gefühl bei Beobachtern sorgen, sehen wir diese Entwicklung kritisch. Haushaltsüberschüsse bedeuten in der Realität, dass dem Wirtschaftskreislauf Geld entzogen wird. Schon in der Vergangenheit haben positive Staatsbilanzen der wirtschaftlichen Entwicklung einer Region eher geschadet als geholfen. Schließlich bildet eine gesunde Schuldenquote die Basis unseres Wohlstands. Könnte man kein Fremdkapital aufnehmen, auf Firmen-, Staats- oder auch auf privater Ebene, wäre also der Transfer von Geld durch die Zeit nicht möglich, gleichzeitig auch der Wohlstand der westlichen Welt in dieser Form.
DAX- und BIP-Entwicklung
Jahr | DAX-Entwicklung | BIP-Entwicklung |
---|---|---|
1992 | -2,1% | 1,5% |
1993 | 46,0% | -1,0% |
2002 | -43,9% | 0,0% |
2003 | 37,1% | -0,7% |
2008 | -40,4% | 0,8% |
2009 | 23,8% | -5,6% |
2018 | -18,3% | 1,5% |
2019 | ? | ? |
Doch nicht nur der Staatsüberschuss wird häufig fehlinterpretiert. Auch der Zusammenhang zwischen den Aktienmärkten und der wirtschaftlichen Entwicklung sorgt tendenziell für Anlagefehler. Märkte schauen in die Zukunft und preisen alle möglichen Entwicklungen ein. Wenn die fundamentale wirtschaftliche Lage schwächelt, sieht man dies tendenziell in den vorgelagerten Zahlen der Aktienmarktindizes. Somit wäre der falsche Schluss einer negativen Entwicklung des Bruttoinlandsprodukts, aus den Aktienmärkten auszusteigen. Viel eher hilft es, als Anleger ähnlich zu den Märkten zu agieren, indem man zwölf bis 18 Monate in die Zukunft schaut.
Das Problem der großen Zahlen
Der menschliche Verstand hat ein grundsätzliches Problem im Umgang mit großen Zahlen. Erst wenn man diese in Verhältnissen betrachtet, kann man jedoch die tatsächlichen Auswirkungen erkennen. Durch diesen Zusammenhang ist erklärbar, dass nicht nur bei der Nennung der absoluten Schulden der Bundesrepublik Deutschland regelmäßig ein Aufschrei ertönt. Dass Staaten im Euroraum jedoch prinzipiell in der Lage sind, sich zu rekordgünstigen Konditionen zu verschulden und die Vermögenswerte gleichzeitig erheblich gewachsen sind, lässt man gerne unter den Tisch fallen. Märkte werten die Schuldensituation aktuell nicht als besorgniserregend. Wie wäre ansonsten zu erklären, dass der zehnjährige Zins Italiens inzwischen unter 1 Prozent gefallen ist? Eine eingepreiste Insolvenz sieht anders aus.
Entzieht der Staat dem Wirtschaftskreislauf Geld, fehlt dieses als Stimulator für die weitere wirtschaftliche Entwicklung. Beispielsweise wäre es durchaus sinnvoll, das "Autoland Deutschland", wie kürzlich in einem Interview durch den CEO von Blackrock, Larry Fink, vorgeschlagen, flächendeckend mit der notwendigen Infrastruktur auszustatten, um den Wandel hin zur Elektromobilität für die Industrie zu erleichtern. Investitionsmöglichkeiten gibt es viele - wichtig ist lediglich, dass diese durchgeführt werden und der Weg für eine gesunde wirtschaftliche Entwicklung freigemacht wird.
Fazit
Die deutsche Wirtschaft leidet unter vielen Problemen, die tendenziell eher kurzfristiger Natur sind. Was jedoch der wirtschaftlichen Entwicklung wirklich dauerhaft schadet, sind geringe Investitionen des Staats. Ändern die Verantwortlichen ihre Politik nicht, fällt Wachstum grundsätzlich schwer. Sinnvolle Investitionen in Bildung, die Infrastruktur oder andere zukunftsweisende Themen wie den Umweltschutz ermöglichen es, sich als Gesellschaft weiterzuentwickeln und dauerhaft den Wohlstand zu sichern, den wir heute genießen. Die Aktienmärkte relativieren die falsche Vorstellung bereits, dass ein Haushaltsüberschuss gut für die wirtschaftliche Entwicklung sein könnte. Daran sollte sich die Politik ein Beispiel nehmen und die notwendigen Investitionen, passend zu den Herausforderungen unserer Zeit, durchführen.