Kurseinbrüche, Leerverkäufe, Klagen Die dunkle Seite des Spac-Booms

Milliardensummen fließen in den USA und zunehmend auch in Europa in Spac-Börsenmäntel. Doch zuletzt brachen die Aktienkurse der Papiere ein - Investoren wurden gleich von mehreren Seiten verunsichert.
Die dunkle Seite der Macht (Darth-Vader-Maske aus dem Film "Star Wars"): Nach dem Boom folgt die Verunsicherung

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Foto: HO/ REUTERS

Das hatte sich Martin Blessing (57) sicher anders vorgestellt. Der frühere Commerzbank-Chef startete vor wenigen Tagen mit einem der ersten Spacs Europas an der Börse in Amsterdam. Mit der Mantelgesellschaft European FinTech IPO Company 1 (EFIC1) will er in nächster Zeit ein aussichtsreiches Fintech-Unternehmen erwerben, das auf diese Weise unkompliziert zu einem Börsen-Listing kommen kann. Insgesamt 415 Millionen Euro hat Blessing zu dem Zweck bei Investoren eingesammelt. Doch das Börsendebüt von EFIC1 verlief nicht sehr vielversprechend: Der Aktienkurs geriet vom Start weg unter Druck und schloss schon am ersten Handelstag mit einem Minus von mehr als 2 Prozent. Bislang hat das Papier die Verluste nur zum Teil wieder aufgeholt.

Auch Klaus Hommels (54) erging es kaum besser. Der Venture-Capital-Investor aus Zürich , der früher mit Engagements bei Skype, Facebook oder Xing bekannt wurde, sorgte bereits vor Wochen für Schlagzeilen, als er 275 Millionen Euro für die seit Langem erste Spac Deutschlands mobilisierte. Seine Mantelfirma Lakestar Spac I, die sich seit dem IPO im Februar auf der Suche nach einem Übernahmeziel im Tech-Sektor befindet, startete mit einem Aktienkurs von 11,15 Euro. Einen guten Monat später notiert das Papier etwa 8 Prozent niedriger.

Die Beispiele haben Symbolwert. Das Geschäft mit Spacs, also mit Special Purpose Acquisition Companies, die als leere Firmenhülle an die Börse kommen, um erst danach ein operativ tätiges Unternehmen zu erwerben und so an den Aktienmarkt zu bringen, erhielt zuletzt einige Dämpfer. Und das mitten in dem derzeitigen Boom, den der Markt - der sich gerade aus den USA nach Europa ausdehnt - seit Monaten erlebt. Insgesamt 267 Spac-Emissionen mit einem Gesamtvolumen von 83 Milliarden Dollar gab es einer jüngsten Analyse des Beratungsunternehmens EY zufolge weltweit bereits im ersten Quartal dieses Jahres. Das ist mehr als im gesamten Jahr 2020, in dem es 255 Emissionen auf ein Volumen von 81,5 Milliarden Dollar brachten, so EY.

Doch kann es für all die Milliarden an Investorengeldern auch ausreichend attraktive Anlageziele geben, also Unternehmen, die per Spac an die Börse gehen? Das ist nur eine von zahlreichen Fragen, die sich offenbar immer mehr Akteure stellen. Zweifel, die mit anderen Warnsignalen einhergehen: Anlegerschützer äußern Bedenken oder reichen gleich Klagen ein, Finanzaufseher zeigen sich skeptisch, Shortseller haben die Marktnische für ihre Wetten auf fallende Kurse entdeckt.

Spac-Aktienkurse brechen um ein Viertel ein

Und Investoren erkennen offenbar zunehmend, dass sie auch bei diesem Anlagetrend sehr genau hinschauen müssen. Kein Wunder: Wer würde nicht hellhörig, wenn etwa ein Unternehmen wie der US-Bürovermieter Wework, dessen Versuch eines regulären Börsengangs 2019 zum Debakel wurde, nun ebenfalls ankündigt, per Spac einen zweiten Anlauf an den Aktienmarkt starten zu wollen.

So ging die Nachfrage nach Spac-Aktien zuletzt merklich zurück. Der IPOX SPAC Index beispielsweise, der die Aktienkurse von Spacs an der Wall Street nachzeichnet, ist seit einem Hoch im Februar um beinahe ein Viertel eingebrochen. In diesem Rückschlag spiegelt sich auch wider, welche Risiken Investoren insbesondere in den USA in den vergangenen Monaten eingegangen sind - und dass sie nun vielleicht einen Gang zurückschalten wollen. Einer Analyse der US-Bank Goldman Sachs zufolge befinden sich inzwischen etwa 50 Prozent der Ersparnisse von Amerikanern sowie der Engagements von dortigen Investment- und Pensionsfonds in Aktien. Das ist der höchste Wert seit der Tech-Blase vor 20 Jahren, so die Bank.

Hinzu kommt: Viele Investoren hebeln ihre Chancen noch mithilfe von Optionsscheinen in die Höhe - und steigern damit auch das Anlagerisiko zusätzlich. Welche fatalen Konsequenzen eine solche Investmentstrategie haben kann, zeigt sich gerade in diesen Tagen bei der Schieflage des US-Hedgefonds Archegos Capital, der mit gewaltigem Kredithebel ein Multi-Milliardenportfolio aufbaute, das ihm selbst und kooperierenden Banken nun um die Ohren fliegt.

Am Spac-Markt wurde die Anlegerflucht zuletzt durch Meldungen beschleunigt, wonach die US-Finanzaufsicht verschiedene Anbieter angeschrieben und kritische Fragen gestellt habe. Mit ihrer Skepsis sind die US-Aufseher dabei keineswegs allein: Auch die Schweizer Finanzaufsicht Finma bremst gerade den ersten Spac-Börsengang bei den Eidgenossen aus, weil sie Fragen zum Anlegerschutz hat.

Weitere Warnhinweise gibt es vielfach. Der Universität Stanford zufolge beispielsweise wurden in den USA seit Jahresbeginn acht Klagen im Zusammenhang mit Spac-Deals eingereicht. Dabei werfen die Kläger den Blankoscheck-Firmen vor, Schwächen der Übernahmeziele verheimlicht zu haben. Eine weitere Sorge ist das erhöhte Risiko von Insiderhandel zwischen dem Zeitpunkt des Börsengangs einer Spac und der Bekanntgabe des Übernahmeziels.

Als wäre all das noch nicht genug, sind längst auch Shortseller auf diese Marktnische aufmerksam geworden. Sie erachten offenbar verschiedene Spac-Übernahmen als überbewertet - und wetten nach bewährtem Muster auf fallende Kurse. Bekanntestes Beispiel ist der Elektroautobauer Nikola, ebenfalls ein Unternehmen, das per Spac an den Aktienmarkt kam. Schon im vergangenen Jahr trat der US-Leerverkaufsspezialist Hindenburg Research auf den Plan und attackierte Nikola mit Vorwürfen, falsche Angaben zum Fortschritt seiner Geschäfte gemacht und damit Investoren in die Irre geführt zu haben. Folge: Nikola-Gründer Trevor Milton (38) musste als Executive Chairman des Unternehmens abtreten und der Aktienkurs brach massiv ein. Bis heute hat sich das Papier von den Verlusten nicht wieder erholt.

Spacs kaufen nicht nur junge Wachstumsfirmen

Ebenfalls im Visier von Hindenburg Research befindet sich das Elektroauto-Start-up Lordstown - auch in dem Fall ging es mit dem Aktienkurs bereits rasant abwärts. Zudem spekulieren Leerverkäufer Berichten zufolge gegen das Fintech Social Finance sowie gegen die Spac CCIV.

Es liegt auf der Hand, dass solche Entwicklungen kaum dazu geeignet sind, zusätzliche Investoren für den Spac-Markt zu begeistern. Doch wer das Geschäft bereits abschreibt, springt womöglich zu weit. Oliver Scharping etwa, Portfoliomanager beim Investmentunternehmen Bantleon, hält die jüngsten Kursrückgänge bei Spac-Papieren lediglich für eine "gesunde Korrektur" in einem Markt, in dem die Aktien im Schnitt bereits mit einem Aufschlag von 25 Prozent auf ihren eigentlichen Wert gehandelt wurden. "Ruhe bewahren ist das Beste, was Anleger jetzt tun können", schreibt Scharping in einer aktuellen Markteinschätzung.

Der Profi betont auch, dass Spacs keineswegs ausschließlich auf stark wachsende, aber noch unprofitable Tech-Start-ups fokussiert seien. "Das Spektrum reicht vom Spac des bekannten Value-Investors Bill Ackman (54, Pershing Square Tontine Holdings) bis hin zum ersten Bergbau-Spac (African Gold Acquisition Corp.)", schreibt er vielmehr.

Experte rät von Direktinvestments ab

Insbesondere die USA seien Vorreiter, wenn es darum gehe, nicht nur Wachstumsunternehmen, sondern auch "echte Value-Opportunitäten" per Spac an die Börse zu bringen. Als Beispiel nennt Scharping wiederum Hedgefonds-Promi Bill Ackman, der schon vor Jahren eine Spac-ähnliche Struktur genutzt habe, um die Fastfood-Kette Burger King zurück an die Börse zu holen. Etwas Ähnliches dürfte "der notorische Tech-Kritiker" Ackman mit seinen zwei jetzigen Spacs vorhaben, glaubt der Mann von Bantleon.

Die Volkswagen-Tochter Porsche , der Uber-Rivale Grab, der Münchener Solarauto-Entwickler Sono Motors , das Flugtaxi-Start-up Lilium - Kandidaten für kommende Börsengänge gibt es bereits reihenweise, und nicht wenige dieser Unternehmen dürften sich für den Weg an den Aktienmarkt via Spac entscheiden. Es wird also auch künftig vielfältige Anlagemöglichkeiten für Investoren auf diesem Gebiet geben.

Investmentprofi Scharping jedoch rät Privatanlegern von Direktinvestments im Spac-Markt ab. Nur Profiinvestoren haben das Know-how für die komplexe rechtliche Analyse dieser Vehikel, meint er. Privatleute sollten seiner Ansicht nach lieber auf spezielle "Event-Driven-Fonds" setzen. Deren Manager kennen sich mit dem Geschäft besser auch, glaubt Scharping.

cr
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