Börsenprofi Carsten Klude erklärt Ist die Erholung an den Aktienmärkten bereits vorbei?

Seit Jahresbeginn haben die Börsen weltweit zu einer Erholung angesetzt:So konnte der Dax seit Jahresbeginn um gut acht Prozent zulegen, wobei die Unternehmen mit der schwächsten Wertentwicklung im Jahr 2018 in diesem Jahr oft ganz oben im Ranking zu finden sind (HeidelbergCement, Continental, Covestro). Noch besser haben sich die Indizes in den USA entwickelt, aber auch chinesische Aktien konnten einen guten Teil ihrer Verluste aus dem Vorjahr wieder wett machen.
Die positive Entwicklung ist ein Indiz dafür, dass die starken Kursrückgänge, zu denen es vor allem im Dezember 2018 kam, im Nachhinein betrachtet eine Übertreibung dargestellt haben. Die spannenden Frage ist aber, ob der positive Trend anhält oder ob es sich hierbei nur um eine Zwischenerholung handelt. Hierzu werfen wir im Folgenden einen Blick auf die politischen und wirtschaftlichen Rahmenbedingungen sowie auf die aktuellen und erwarteten Unternehmensgewinne.

Carsten Klude ist Chefvolkswirt der Privatbank M. M. Warburg in Hamburg.
In den vergangenen Wochen spielte vor allem die Hoffnung auf eine Beilegung des Handelsstreits zwischen den USA und China eine wichtige Rolle für die bessere Stimmung am Aktienmarkt. Die gegenseitigen Besuche beider Verhandlungsdelegation in Peking und in Washington haben die Erwartung geschürt, dass der Konflikt zwischen den beiden größten Wirtschaftsmächten der Welt bald beigelegt werden könnte. Dies wäre eine wichtige Bedingung für eine Fortsetzung der Börsenerholung. Noch ist eine Einigung allerdings keine ausgemachte Sache.
Da US-Präsident Trump glaubt, bei den Verhandlungen am längeren Hebel zu sitzen, könnten die USA ihre Forderungen überziehen, sodass China befürchten könnte, keinen gesichtswahrenden Deal hinzubekommen und die Verhandlungen somit abbrechen könnte. China wiederum dürfte darauf setzen, dass der US-Präsident davon ausgeht, bessere Chancen auf eine Wiederwahl im Jahr 2020 zu haben, wenn sich die Börse und die Wirtschaft bis dahin positiv entwickeln, was eine größere Kompromissbereitschaft der USA in den Augen Chinas wahrscheinlicher macht und die Bereitschaft für ein Entgegenkommen reduzieren könnte. Ob dies so ist, wird sich in den kommenden Tagen zeigen.
Doch selbst wenn der Handelsstreit zwischen den USA und China beigelegt wird, droht an anderer Stelle neues Ungemach. So dürfte sich Trump als nächstes die Europäer vorknöpfen, mit denen er die Handelsbeziehungen ebenfalls neu ordnen möchte. Die offizielle Einschätzung, dass Auto-Importe für die USA eine Bedrohung ihrer nationalen Sicherheit darstellen, gibt dem US-Präsidenten die Möglichkeit, zukünftig Zölle einzuführen, die vor allem die deutschen Hersteller, aber auch Unternehmen aus Japan und Südkorea hart treffen würde.
Von daher gehen wir nicht davon aus, dass es beim Thema Handel zu einer vollständigen Entspannung kommen wird. Darüber hinaus gibt es eine Reihe weiterer ungelöster politischer Probleme, angefangen bei der schier endlosen Debatte um den Brexit, über die wirtschaftlichen und politischen Probleme in Italien bis hin zu den anstehenden (Neu-) Wahlen in Spanien und des EU-Parlaments.

Die politischen Unsicherheiten haben dazu geführt, dass sich die wirtschaftlichen Rahmenbedingungen im Laufe der vergangenen 12 Monate deutlich verschlechtert haben. Hiervon betroffen waren vor allem Länder, für die die Ausfuhren einen wichtigen Beitrag zum Wirtschaftswachstum leisten. So ist das Wachstum der globalen Exporte im letzten Quartal des Jahres 2018 zum Erliegen gekommen, und Zeitreihen aus dem Transportsektor (z.B. Schiffs- und Flugzeugfrachtraten) zeigen, dass diese negative Tendenz anhält. Die zunehmende Verunsicherung der Unternehmen und Privathaushalte führte zudem zu geringeren Investitionen, einer sinkenden Industrieproduktion und rückläufigen Einzelhandelsumsätzen.
Vor allem in der Eurozone hat sich die wirtschaftliche Dynamik deutlich abgeschwächt. Neben Italien, das aufgrund anhaltender struktureller Probleme bereits in die Rezession gerutscht ist und wo unwillige (oder unfähige?) politische Entscheidungsträger dafür sorgen, dass die fehlende Wettbewerbsfähigkeit des Landes zementiert wird, hat sich auch in Deutschland die konjunkturelle Talfahrt der Industrie fortgesetzt.
Der Einkaufsmanagerindex im verarbeitenden Gewerbe ist mit zuletzt 44,7 Punkten auf das niedrigste Niveau seit Sommer 2012 abgerutscht und sorgte mit dafür, dass auch in der gesamten Eurozone der Index für die Industrieunternehmen mit 47,7 Punkten das niedrigste Niveau seit Dezember 2012 erreichte. Besser sieht es dagegen bei den Dienstleistungsunternehmen aus, die noch von besseren Geschäften profitieren. Dennoch gehen wir für dieses Jahr nur noch von einem Wirtschaftswachstum von 0,7 Prozent in Deutschland und von 0,9 Prozent in der Eurozone aus.
Im Unterschied zum Rest der Welt hält sich die US-Wirtschaft nach wie vor deutlich besser. Dies liegt vor allem an der geringen Exportabhängigkeit und den nachlaufenden Effekten der Steuerreform. So haben die Unternehmen auch zu Beginn des Jahres 2019 viele neue Jobs geschaffen. Vereinzelt waren zwar auch schwächere Konjunkturdaten zu beobachten - so sanken die Einzelhandelsumsätze und die Industrieproduktion zuletzt deutlich - doch gab es neben guten Arbeitsmarktdaten auch bei einigen Frühindikatoren eine positive Entwicklung.
Die für die zukünftige Aktienmarktentwicklung entscheidende Frage ist jedoch, ob und wie lange sich die US-Konjunktur vom Rest der Welt abkoppeln kann bzw. ob es der Eurozone, Japan und den meisten Schwellenländern gelingt, im Laufe der Zeit wieder wirtschaftlich Fuß zu fassen. Unsere Konjunkturmodelle, mit denen wir eine Vielzahl globaler Wirtschaftsdaten auswerten, raten im Moment weiter zur Vorsicht, weil noch keine konjunkturelle Trendwende zum Besseren erkennbar ist. Viele Marktteilnehmer scheinen jedoch der Auffassung zu sein, dass die globale Schwächephase ähnlich wie Anfang 2016 oder im Sommer 2012 nur von kurzer Dauer sein wird. Deswegen schaut man durch den Konjunkturabschwung quasi hindurch und setzt auf eine bevorstehende Erholung.
Auf Bewertungskennzahlen ist zu achten
Diese könnte durch ein Ende der Handelsstreitigkeiten unterstützt werden. Meistens war es jedoch die Geld- und manchmal die Fiskalpolitik, die eine konjunkturelle Trendwende eingeläutet hat. Angesichts von Nullzinsen in der Eurozone und der deutlich gestiegenen Staatsverschuldung in den USA (wie auch in anderen Ländern) ist der wirtschaftspolitische Werkzeugkasten jedoch deutlich schlechter bestückt als in der Vergangenheit. Zudem gibt es im Moment noch keine Hinweise darauf, dass beispielsweise die Notenbanken in den USA, Japan oder in der Eurozone eine deutlich expansivere Geldpolitik planen.
Während die US-amerikanische Federal Reserve, die immerhin etwas Zinssenkungspotenzial hat, gerade erst vom verbalen Autopilotmodus auf den Sinkflug umgeschaltet hat, ist es für die EZB und die Bank of Japan wesentlich schwieriger, expansive Impulse zu setzen, da ihre Zinspolitik immer noch auf der Nulllinie verharrt. Die von der Europäischen Zentralbank beschlossenen neuen Langfristtender mögen den Banken und der Stabilität des Finanzsystems zugutekommen, der Konjunktur werden sie aber nur bedingt unter die Arme greifen.
Trotz einer skeptischen Konjunktureinschätzung können Aktien dennoch eine interessante und vielversprechende Anlageklasse sein, wenn die negativen wirtschaftlichen Perspektiven bereits in ausreichendem Maße in den niedrigeren Aktienkursen enthalten sind. Von daher ist es sinnvoll auf Bewertungskennzahlen zu achten, die signalisieren, ob man als Anleger ein Schnäppchen machen kann. Traditionell stehen dabei die Unternehmensgewinne bzw. die Gewinnerwartungen im Fokus des Interesses.
Dax mit KGV von 12 derzeit auf langjährigem Durchschnitt
Der Dax weist derzeit ein Kurs-Gewinn-Verhältnis von gut zwölf auf. Dieses basiert auf den Gewinnerwartungen für die kommenden 12 Monate und entspricht damit ungefähr dem Durchschnittswert der vergangenen Jahre. Deutsche Aktien scheinen somit weder besonders teuer, noch besonders billig zu sein. Einen Haken gibt es allerdings an dieser Betrachtungsweise: die Genauigkeit der Gewinnerwartungen. So kann im Moment niemand mit Sicherheit sagen, wie sich diese für die 30 Dax-Unternehmen in den nächsten beiden Jahren entwickeln werden.
Auffällig ist, dass die Gewinnerwartungen seit Sommer vergangenen Jahres kontinuierlich nach unten revidiert werden, und zwar sowohl für das abgelaufene Jahr 2018, als auch für 2019 und 2020. Das scheint zunächst dafür zu sprechen, dass die Analysten mittlerweile skeptisch genug geworden sind, sodass die Unternehmen - trotz der bestehenden politischen und ökonomischen Risiken - in der Lage sein sollten, die Gewinnerwartungen zu übertreffen.
Wäre dies der Fall, wären die Aktien nämlich optisch teurer als es tatsächlich der Fall ist, weil die im Nenner stehenden Gewinne höher und damit das KGV niedriger wäre als ausgewiesen.
Viele rechnen mit sinkenden Gewinnen
Leider ist aber genau das Gegenteil der Fall. Denn die Revisionen der Analysten betreffen bei genauerem Hinsehen in erster Linie das Jahr 2018. Die Ertragserwartungen für die Jahre 2019 und 2020 sind dagegen nur parallel nach unten verschoben worden. Dies lässt sich an den erwarteten Zuwachsraten der Unternehmensgewinne erkennen. So sind die Firmenerträge im Jahr 2018 um rund sechs Prozent gegenüber dem Vorjahr gesunken. Für die Jahre 2019 und 2020 werden hingegen seit Sommer vergangenen Jahres unverändert Zuwächse in Höhe von jeweils zehn Prozent erwartet. Dies scheint angesichts der schwierigen wirtschaftlichen Rahmenbedingungen eine recht ambitionierte Vorstellung zu sein.
Von daher spricht vieles dafür, dass die Gewinnerwartungen in der nächsten Zeit weiter nach unten revidiert werden müssen - und das nicht nur für den Dax, sondern auch für viele andere Indizes. Schaut man sich den Verlauf der Gewinnrevisionsquotienten im Vergleich zur Kursentwicklung der vergangenen Monate an, so beschleicht uns ein ungutes Gefühl, da die meisten Aktienmärkte gar nicht auf die negativen Gewinnerwartungen reagiert haben.
Deutsche Aktien sind derzeit kein Schnäppchen
Geht man für den Dax von bescheideneren Gewinnsteigerungsraten von jeweils fünf Prozent in den kommenden beiden Jahren aus, sinkt die im Nenner stehende Zahl, sodass das Kurs-Gewinn-Verhältnis auf dreizehn ansteigt. Eine derartige Bewertung gab es zuletzt Anfang 2018, als die Welt aus Anlegersicht noch in Ordnung war. Anfang 2016, als unser Konjunkturzyklusmodell auf einem vergleichbar niedrigen Wert lag, war das KGV jedoch etwas niedriger, allerdings bei deutlich geringeren erwarteten Gewinnsteigerungsraten.
Im Sommer 2012 auf dem Höhepunkt der europäischen Schuldenkrise lag das Dax-KGV sogar nur bei neun. Ein wirkliches Schnäppchen sind deutsche Aktien derzeit also nicht. Von daher steht die Erholung an den Aktienmärkten auf einem schwachen Fundament solange sich die Wirtschaftsdaten nicht verbessern.