Osteuropafonds Milliarden westlicher Anleger, tiefgefroren in Moskau

Börse Moskau: Weil westliche Firmen am russischen Aktienmarkt nicht handeln können, sind mehrere Dutzend Investmentfonds mit einem Milliardenvolumen seit einem Jahr geschlossen
Foto: MAXIM SHEMETOV/ REUTERSDieser Artikel gehört zum Angebot von manager-magazin+. Sie können ihn auch ohne Abonnement lesen, weil er Ihnen geschenkt wurde.
Irgendwann im Herbst vergangenen Jahres dämmerte es den Verantwortlichen in der Frankfurter Investmentfonds-Szene: Wir haben ein Problem, um das wir uns kümmern müssen, denn es wird so schnell nicht von allein verschwinden. "Im Oktober 2022 wurde uns klar, dass wir etwas tun müssen", erzählt ein leitender Produktmanager einer Fondsgesellschaft im Hintergrundgespräch. "Es wurde damals immer deutlicher, dass der Krieg keineswegs so schnell vorüber sein würde, wie zunächst gedacht." Weiteres Abwarten und Stillhalten war keine Option, eine Lösung musste her. Nur gibt es die bis heute nicht.
Die Anteile von mehreren Dutzend Investmentfonds mit dem Fokus auf Osteuropa und Russland sind seit nunmehr rund einem Jahr eingefroren. Nahezu alle namhaften deutschen Fondsgesellschaft hatten kurz nach Kriegsausbruch entsprechende Fonds dichtgemacht, sei es die Deutsche-Bank-Tochter DWS, die Sparkassen-Tochter Deka, die genossenschaftliche Union Investment oder der Allianz-Ableger Allianz Global Investors. Gleiches gilt für eine Vielzahl internationaler Fondsanbieter wie etwa den weltgrößten Vermögensverwalter Blackrock, die französische Investmentgesellschaft Amundi, die Schweizer UBS oder HSBC aus Großbritannien. Seit inzwischen rund einem Jahr können Anlegerinnen und Anleger keine neuen Anteile dieser Fonds mehr erwerben, und vor allem: Sie können sie auch nicht an die Fondsgesellschaften zurückgeben. Sie hängen fest.
Der Grund für die anhaltende Massenschließung: Die Fondsgesellschaften können nicht mehr auf den russischen Aktienmarkt zugreifen. Bereits kurz nach dem Angriff Russlands auf die Ukraine war der Zugang zur Moskauer Börse für sie versperrt. Zunächst wurde der Handel dort vorübergehend ausgesetzt. Später hinderten westliche Sanktionen, die nach wie vor gültig sind, die Fondsmanager am Kauf und Verkauf von Aktien in Moskau. Zudem schließt Russland westliche Fondsanbieter inzwischen seinerseits als "unfreundliche Investoren" vom heimischen Aktienmarkt aus.
Die Folge: Schätzungsweise mehrere Tausend private Anlegerinnen und Anleger kommen seither nicht an Gelder, die sie in die fraglichen Fonds gesteckt haben. Zwar handelt es sich bei Osteuropa und Russland lediglich um Randgebiete des privaten Kapitalanlageuniversums. Die Fachzeitschrift "Fonds Professionell" aber etwa veröffentlichte kurz nach Kriegsbeginn eine Liste mit mehr als 40 Investmentfonds, die eingefroren worden waren. Das Gesamtvolumen der aufgelisteten Investmentvehikel bezifferte die Zeitschrift seinerzeit auf rund 5,7 Milliarden Euro. Dabei wurden allerdings die Volumina angesetzt, die von den Fondsfirmen nach der Schließung veröffentlicht worden waren – da waren die russischen Aktien in den Portfolios bereits herausgerechnet worden, weil für sie kein realistischer Wert mehr angegeben werden konnte. Diese Maßnahme hatte bei den Fonds zumindest auf dem Papier zu Verlusten von 40, 50 oder gar 60 Prozent geführt. Insgesamt, so erscheint es daher realistisch, dürfte Anlegergelder in zweistelliger Milliardenhöhe auf Eis liegen.
Stichproben ergeben, dass die weitaus meisten dieser Fonds nach wie vor geschlossen sind. Wie also lässt sich das Problem lösen?
"Dafür gibt es keine Blaupause"
Darüber zerbrechen sich die Fondsfirmen in Frankfurt spätestens seit dem Herbst vergangenen Jahres den Kopf. Die Beratungen laufen seit Monaten. "Für einen solchen Fall gibt es keine Blaupause", sagt der Fondsmann. Die Anbieter sprechen mit Anwälten, mit Steuerexperten, mit Finanzaufsehern. Alle, die Expertise beisteuern können, seien willkommen, heißt es. Selbst untereinander halten sich die Wettbewerber über dieses schwierige Thema regelmäßig auf dem Laufenden.
Vor allem drei mögliche Lösungen kristallisieren sich heraus:
Abwarten und nichts tun
"Eine Frist besteht für die Suspendierung nicht", teilt beispielsweise Union Asset Management auf Anfrage mit. Heißt: Theoretisch könnten die Anbieter die Fonds eingefroren lassen, solange die Gründe dafür weiter vorliegen. "Eine Fristvorgabe seitens des Gesetzgebers / Regulators gibt es diesbezüglich nicht", teilt auch Allianz Global Investors mit. "Im Interesse der Anleger strebt AllianzGI allerdings eine Wiederaufnahme der Anteilsscheinausgabe und -rücknahme an, so schnell dies sinnvollerweise möglich ist."Der Verkauf von Aktien über Dritte
Wie immer, wenn in der Wirtschaft jemand in der Bredouille steckt, gibt es auch jemanden, der daraus Profit zu schlagen versucht. Er habe bereits Offerten von Zwischenfirmen erhalten, die ihm die illiquiden russischen Aktien abnehmen wollen, erzählt etwa Sebastian Kahlfeld, Fondsmanager für Osteuropa und Russland bei der DWS. Nur würden dabei Kurse mit erheblichem Discount geboten. Solche Unternehmen säßen in der Regel an neutralen Orten wie den Kaiman Inseln, Jersey oder Dubai, die nicht unter westliche Sanktionen fielen. Allerdings sei meist unklar, wer wirklich hinter diesen anonymen Unternehmen stecke. Zudem sei kaum zu beurteilen, ob ein Handel mit solchen Unternehmen nicht doch gegen Sanktionen verstoßen würde. Für die DWS kämen solche Deals daher nur nach tief greifender, individueller Analyse infrage – und solange der erzielbare Kurs ein gutes Geschäft sei.
Methode "Sidepocket"
Diesen dritten Weg scheinen die meisten Anbieter zu favorisieren, und von einzelnen Gesellschaften wie beispielsweise Schroders in Großbritannien wurde er auch schon beschritten: Die Aufteilung des Fondsbestandes in einen liquiden und einen illiquiden Teil, von denen einer in eine neu zu schaffende Anteilsklasse ausgelagert wird ("Sidepocket"). Auf diese Weise ließe sich der liquide Teil des Fondsportfolios wieder geschäftsfähig machen.Bei der DWS beispielsweise laufen Überlegungen unter anderem in diese Richtung. Fondsmanager Kahlfeld kennt somit auch die zahlreichen Hürden, die zunächst überwunden werden müssen. Was ist beispielsweise mit Dividendenzahlungen, die auflaufen? Was kommt in einem solchen Fall steuerlich auf Anleger zu? "Wir haben die russischen Aktien in den Portfolios zwar aktuell mit fast null bewertet, weil sie momentan nicht liquide sind", sagt er. "Sie sind aber selbstverständlich nicht wertlos. Sie haben vielmehr einen Wert, der irgendwann vermutlich auch wieder erzielbar sein wird."Auch Dieter Aigner, Geschäftsführer der österreichischen Raiffeisen Capital Management, kann sich die Methode vorstellen: "Was den Raiffeisen-Osteuropa-Aktien betrifft, arbeitet Raiffeisen Capital Management derzeit intensiv an einer geeigneten Lösung für die betroffenen Anleger und Anlegerinnen und prüft auch die Möglichkeit eines Side-Pocketing", sagt er.
Eine gute Nachricht gibt es in all der Ungewissheit immerhin: Eine Fondsauflösung müssen die Anleger derzeit in der Regel nicht befürchten. Dafür wäre es erforderlich, den gesamten Portfoliobestand zu Geld zu machen – was ja im Falle der russischen Aktien momentan nicht möglich ist. "Ob und zu welchem Zeitpunkt eine Liquidation erfolgen könnte, ist aus heutiger Sicht nicht abschätzbar", sagt vor dem Hintergrund Raiffeisen-Geschäftsführer Aigner.
Ohnehin zeigen sich die Anlegerinnen und Anleger bei dem Problem offenbar überaus geduldig. Verschiedene Fondsgesellschaften geben auf Anfrage an, keinerlei Beschwerden vonseiten der Investoren zu erhalten. Unendlich ist die Geduld aber wohl nicht. Spätestens in sechs Monaten soll eine Lösung auf dem Tisch liegen, heißt es im Hintergrundgespräch mit einer Fondsgesellschaft aus Frankfurt. "Wir machen einen 400-Meter-Lauf und sind über die 250 Meter hinweg. Jetzt kommen allerdings noch ein paar Hürden, die wir nehmen müssen."