Rekordjagd an den US-Börsen - trotz sinkender Gewinne In den USA sinken die Firmengewinne - na und?

Die globale Berichtssaison zum zweiten Quartal 2019 läuft und insbesondere in den USA befürchten viele Marktbeobachter schlechte Neuigkeiten. So war das Gewinnwachstum im marktbreiten S&P 500 bereits im ersten Quartal negativ, was vielstimmig mit den globalen Unsicherheitsfaktoren begründet wurde. Wenn nun in den kommenden Wochen die schlimmsten Befürchtungen eines rückläufigen Gewinnwachstums im zweiten Quartal wahr werden, könnte schon bald die Definition einer Gewinnrezession erfüllt sein. Gemeint sind hiermit zwei Quartale in Folge mit sinkenden Unternehmensgewinnen im Vergleich zum Vorjahresquartal.

Thomas Grüner ist Gründer und Vice Chairman des Vermögensverwalters Grüner Fisher Investments (www.gruener-fisher.de ) mit Sitz in Rodenbach bei Kaiserslautern.
Sinkende Gewinne und Höchststände im S&P 500 - wie passt das zusammen? Ist der seit 2009 laufende und insbesondere vom US-amerikanischen Markt geprägte Bullenmarkt also bald vorbei?
Gewinnentwicklung im Zeitablauf
Gewinne entwickeln sich nie gleichmäßig. Viele Faktoren spielen hierbei eine Rolle. So werden sie von den aktuellen gesamtwirtschaftlichen Entwicklungen des Angebots und der Nachfrage genauso beeinflusst, wie von der Steigerung der Produktivität, Personal- und Rohstoffkosten oder von anfallenden Steuern. Im langfristigen Bild ist die Tendenz jedoch eindeutig. So konnten die Unternehmen im amerikanischen S&P 500 ihre Gewinne seit 2000 je Aktie mehr als verdreifachen.

Neben dem absoluten Gewinn spielt natürlich auch die amerikanische Mentalität von Aktienrückkäufen eine Rolle, welche die Anzahl der verfügbaren Aktien tendenziell sinken lässt. Im ersten Quartal 2019 allein wurden von den Unternehmen im S&P 500 0,8 Prozent der gesamten Marktkapitalisierung zurückgekauft, ein Wert der nur geringfügig unter dem Rekordquartal des 4. Quartals 2018 lag. Unbeachtet davon hat sich jedoch auch der durchschnittliche absolute Firmenwert im Zuge von immensen Effizienzsteigerungen und einem gleichzeitig ablaufenden strukturellen Wandel hin zu einer Dienstleistungskultur erheblich erhöht.
In der jüngeren Vergangenheit wurden die amerikanischen Gewinne jedoch besonders von einem Ereignis beeinflusst. Durch die Steuerreform Donald Trumps im Jahr 2018 konnten die amerikanischen Unternehmen ihre Steuerlast senken und gleichzeitig ihre Gewinne erheblich steigern. Durch diesen Einmaleffekt kann man nun einen Basiseffekt beobachten, da Gewinnsteigerungen immer mit dem Vorjahreswert verglichen werden. Erweitert man seine Betrachtung auf einen 2-Jahres-Zeitraum, ist die Welt eine völlig andere.
Firmenchefs drücken die Erwartungen
Wir halten einzelne Unternehmenszahlen für nicht wirklich aussagekräftig. Trotzdem gilt es, einen besonderen Punkt bei der Interpretation der kommenden Entwicklung zu beachten. Wenn die Unternehmen ihre Bücher für das vergangene Quartal öffnen, zählt nämlich meist vor allem der Vergleich zu den erwarteten Kennzahlen der Analysten. Da sich auch die Unternehmenslenker dieser Tatsache bewusst sind, investieren sie eine Menge Zeit in den Versuch, die Analystenerwartungen nach unten zu drücken. Wenn dann die tatsächlichen Zahlen besser als erwartet sind, hat dies eine positive Marktentwicklung zur Folge, was direkt mit der Leistung der Firmenchefs verknüpft ist.
In den vergangenen Monaten wurden die Erwartungen der Analysten mehr und mehr nach unten gedrückt. So erwarten die Analysten gemäß einer Auswertung des Research-Dienstleisters FactSet, dass die Gewinne im Durchschnitt um 2,9 Prozent im zweiten Quartal gegenüber dem Vorjahreswert gesunken sind. 114 der im S&P 500 enthaltenen Unternehmen, die eine aktuelle Gewinnschätzung formuliert hatten, gaben zu 77 Prozent auch tatsächlich einen negativen Ausblick für das vergangene Quartal, was ein stimmiges Gesamtbild ergibt. Die Entwicklung im ersten Quartal 2019 war jedoch ähnlich. So waren die Erwartungen vor Bekanntgabe der Quartalszahlen im ersten Quartal auf eine erwartete Gewinnveränderung von minus 4,2 Prozent gesunken. Und das Ergebnis? Die Gewinne verzeichneten tatsächlich einen Rückgang, allerdings nur um 0,3 Prozent. Hervorragend, wie diese Art der Firmenpolitik funktioniert!
Der globale Blickwinkel zählt
Grundsätzlich glauben wir daran, dass eine hervorragende Geldanlage am Aktienmarkt durch ein globales Portfolio zu erreichen ist. Wer jedoch ein globales Depot aufgebaut hat, sollte sich auch nicht ausschließlich auf die Betrachtung eines Teilmarkts konzentrieren. Insofern ist nicht nur der Einmaleffekt durch die US-Steuerreform 2018 zu beachten, sondern der Fokus auf die globale Ebene zu heben, um den richtigen Blickwinkel zu erlangen.
Gerade im exportorientierten und industriell fokussierteren Europa erwarten wir im Jahr 2019 deutlich größere Gewinnsteigerungen als in den USA. Neben der niedrigeren Basis sollte Europa insbesondere von den chinesischen Wirtschaftsanreizen profitieren, welche darauf ausgelegt sind, den kurzfristig von Krediten abgeschnittenen Mittelstand wieder zurück zur gewohnten Expansion zu führen. Insofern ist die Frage, wie sich die amerikanischen Gewinne im abgelaufenen Quartal entwickelt haben, die falsche. Die richtige Frage wäre die nach den globalen Umsätzen und Gewinnen. Und eben diese sind weiterhin steigend.
Der Bulle und das Wachstum
Doch auch hier gibt es aktuell eine breite, durch die Finanzmedien geförderte Skepsis. Das Wachstum wird gebremst von den globalen Unsicherheiten, so die negativen Kommentare. Doch Wachstum bleibt Wachstum und die Historie zeigt, dass es zum einen schon immer starke und schwache Wachstumsmomente in expansiven Phasen gab. Zum anderen gibt es keinen direkten Zusammenhang zwischen einem starken wirtschaftlichen Wachstum und der Stärke der Aktienmarktentwicklung. Gründe dafür gibt es viele. Beispielsweise, dass Aktienmärkte etwa 12 bis 18 Monate nach vorne schauen und nicht das aktuelle, sondern das zukünftige Wachstum bewerten und alternative Anlageklassen miteinander konkurrieren.
Natürlich ist Wirtschaftswachstum gut für Aktien - keine Frage. Trotzdem ist der Zusammenhang zwischen dem Wachstum des Bruttoinlandsprodukts und der Aktienmarktrendite statistisch gesehen nahe Null. Ausgedrückt wird es mit dem statistischen Maß R-Quadrat, welches misst, wie stark eine Variable die Andere beeinflusst. Einen Zusammenhang gibt es tatsächlich zwischen der Aktienmarktrendite und dem Wachstum der Wirtschaft im kommenden Jahr. Das allerdings ist nicht wirklich hilfreich für die Vorhersage der kurzfristigen Aktienmarktentwicklung.
Zurückgehende Gewinne als Basiseffekt der Steuerreform - doch entscheidend ist der globale Blick
Natürlich kann es sein, dass wir in wenigen Wochen offiziell eine Gewinnrezession für die im S&P 500 gelisteten Unternehmen konstatieren müssen. Diese Entwicklung ist jedoch vor allem durch einen Basiseffekt der Steuerreform 2018 ausgelöst und ist für die Bestimmung der Marktphasen irrelevant. Neben dem notwendigen globalen Blick ist nicht die kurzfristige Gewinnentwicklung eine entscheidende Komponente, sondern der Ausblick und die nächsten Schritte der Manager.
Lassen Sie sich also nicht von einem oder möglicherweise zwei schwachen Quartalen der amerikanischen Unternehmensgewinne von Ihrem Weg abbringen. Entscheidend ist der globale Blick. Und in dieser Betrachtung zeigt sich die fundamentale Stärke der Weltwirtschaft. Diese wächst laut Internationalem Währungsfonds (IWF) noch immer mit mehr als 3 Prozent in diesem Jahr. Gleichzeitig wird die fundamentale Lage weiterhin völlig unterschätzt. Das sind ideale Voraussetzungen für eine weitere Fortsetzung des laufenden Bullenmarkts und eben nicht das Ende!