Börsenprofi Thomas Grüner erklärt Handelskonflikt - so trickst die Wirtschaft die Politik aus

Container im Hafen von Portsmouth, USA: Der Handelskonflikt besorgt die Börsianer - zum Großteil zu unrecht.
Foto: DPADie Schrecken des globalen Handelskriegs
Mit jeder Meldung, welche auf eine weitere Eskalation des globalen Handelskriegs schließen lässt, entstehen neue Unsicherheiten. Auch wenn die daraus resultierende Volatilitätszunahme an den Märkten aufgrund eines einsetzenden Gewöhnungseffekts inzwischen tendenziell nachgelassen hat, gilt es trotzdem, die fundamentale Entwicklung im Blick zu halten.
Die Entwicklungen sind vielfältig und vor allem global. So geht es einmal um die illegale Zuwanderung mexikanischer Einwanderer in die USA, um unfaire Handelspraktiken der Europäischen Union bei Autozöllen, um indischen Protektionismus seit der Unabhängigkeit oder um die prominentesten Themen zwischen China und den USA. Doch was sind die tatsächlichen Folgen dieser Diskussionen? Und welche Auswirkungen entstehen an den Märkten? Was ist der Handelskrieg und was ist er nicht?
Bärenmarkt voraus?
Handelskriege können Bärenmärkte auslösen. Der Welthandel hat in den vergangenen Jahrzehnten im Zuge der Globalisierung immens an Bedeutung für die Weltwirtschaft gewonnen und ist aus den heutigen Wachstumszahlen nicht mehr herauszudenken. Das Ganze lässt sich auf die einfache Formel bringen: Ohne Handel kein globales Wachstum. Ein fundamental getriebener Bärenmarkt an den Aktienmärkten geht jedoch normalerweise mit einer Rezession einher. Das bedeutet, dass das Ausmaß eines negativen Ereignisses noch immer einen direkten oder indirekten Schaden von mehr als 2 Billionen US-Dollar auslösen müsste, um einen fundamental getriebenen, globalen Bärenmarkt hervorzurufen.

Abgeleitet aus dieser Diskussion stellt sich die Frage, welche fundamentalen Entwicklungen sich bereits aus dem Handelsstreit ergeben haben. Die erste wichtige Erkenntnis ist: Der globale Handel boomt ungestört von Handelskriegs-Rhetorik und eingeführten Zöllen weiter. Das amerikanische Handelsvolumen steigt. In den ersten vier Monaten erreichten die Exporte der USA an Waren und Dienstleistungen einen saisonal adjustierten Wert von 835,3 Milliarden US-Dollar, was einem Plus von 1 Prozent gegenüber dem Vorjahreswert und einer Steigerung von 8,6 Prozent gegenüber dem Exportvolumen von Januar bis April im Jahr 2017 entspricht. Auch die Importe konnten zulegen. Mit 1,04 Billionen US-Dollar wurde der Importwert des Vergleichszeitraums aus 2018 um 1,2 Prozent gesteigert, der Wert aus 2017 sogar um 9,5 Prozent gesteigert.
Das Handelsvolumen der USA mit Indien, einem weiteren Streitfall Donald Trumps, stieg im Jahr 2018 trotz gekappter Handelsvorteile für Indien um 12,6 Prozent gegenüber dem Vorjahreswert. Das Nordamerikanische Freihandelsabkommen (NAFTA) zwischen den USA, Mexiko und Kanada wurde neu verhandelt und Ende 2018 unterzeichnet. Auch außerhalb der USA entwickelt sich der globale Handel positiv. Zum 1. Februar 2019 trat beispielsweise das Freihandelsabkommen zwischen der Europäischen Union und Japan in Kraft, welches in etwa 30 Prozent des globalen Bruttoinlandsprodukts und 40 Prozent des globalen Handels einschließt und somit die größte Freihandelszone der Welt generiert. Handelsprobleme? Fehlanzeige!
So können Zölle umgangen werden
Zölle sind negativ. Freihandel schafft Wohlstand. Diese volkswirtschaftlich weithin anerkannten Überzeugungen verlieren ihre Bedeutung auch nicht durch populistisch angehauchte Trump-Tweets. Firmen reagieren jedoch auf Zollbarrieren. So tragen einige Firmen die Kosten selbst und nehmen diese zu Lasten ihrer Margen in Kauf. Nicht substituierbare Güter werden einfach teurer. Der Verbraucher trägt die Last. Multinationale Konzerne verlagern Produktionen. Die Historie zeigt jedoch, dass die häufigste Reaktion der Handel über einen Tertiärstaat ist, welcher keinen Zollbelastungen unterliegt.
Das japanische Analysehaus Nomura hat hierzu kürzlich in einem Report die Folgen des Handelskriegs analysiert und eben diese Staaten ausfindig gemacht, welche primär von verlagerten Handelswegen profitieren. So konnte Vietnam in Relation die größten Vorteile aus dem Handelskrieg ziehen, indem es geschätzt 7,9 Prozent seines Bruttoinlandsprodukts an zusätzlichen Exporten nach China und den USA generieren kann. Auch Taiwan und Chile verzeichnen mit 2,1 Prozent, bzw. 1,5 Prozent des nationalen BIPs erhebliche zusätzliche Exporte.
Die Bandbreite der Handelsverlagerung wird jedoch erst deutlich, wenn man mit Argentinien, Malaysia und Hongkong die weiteren Profiteure lokalisiert, die allesamt vermutlich mehr als 1 Prozent des eigenen BIPs an Exporten zulegen können. Während amerikanische Importeure hierbei vorrangig auf andere asiatische Länder ausweichen, um insbesondere elektronische Produkte, Möbel und Reiseartikel zu importieren, nutzen chinesische Importeure besonders Staaten in Nord- und Südamerika, um Sojabohnen, Flugzeugteile, Getreide und Baumwolle einzukaufen, so der Bericht.
Europäische Staaten profitieren hierbei kaum. Entscheidend ist jedoch, dass der Ausweichmechanismus ähnlich zu historischen Erfahrungen hervorragend funktioniert. Eine solche Entwicklung ist idealtypisch und funktioniert eben so lange, bis neue Hindernisse geschaffen werden, die ein Umgehen von Zöllen verhindern. Mit beginnendem Wahlkampf in den USA sollte das Interesse der amerikanischen Politik jedoch sehr gering sein, Produkte für amerikanische Verbraucher tatsächlich in breiter Masse teurer zu machen. Die reine Rhetorik ohne tatsächlich schädliche Auswirkungen für Konsumenten ist viel hilfreicher, um bei leidgeplagten Wählern das Image als Heilsbringer zu festigen.
Warum die Sorgen an der Börse übertrieben sind
Was jedoch insbesondere negativ ist, ist die Unsicherheit. Sowohl an den Aktienmärkten als auch in der Realwirtschaft werden neue Investitionen vor allem dann getätigt, wenn eine gewisse Planungssicherheit besteht. Risiken geht man ein, wenn man die hieraus resultierenden Chancen und die generierbaren Erträge sinnvoll abschätzen kann. Entsteht neue Unsicherheit, werden Investitionen insbesondere in riskantere, neue Projekte zurückgehalten.
Nicht ohne Grund attestiert Nomura in seinem Bericht dem Großteil der vor allem in den Emerging Markets angesiedelten Tertiärstaaten, über welche der Handel aktuell abgewickelt wird, einen voraussichtlich negativen Nettoeffekt aus den Handelsstreitigkeiten. Auch der Binnenkonsum in den USA und China kann leiden, wenn Verbraucher und Firmen von erhöhten Kosten durch Zölle belastet werden. Ähnlich lasten Handelssorgen auf den Börsen. Das Sentiment wird gedrückt. Nähert sich die Stimmung wieder mehr der Realität an, kann dies für erhebliches Aufholpotenzial an den globalen Aktienmärkten sorgen.
Fazit
Wie bereits zu Beginn der Handelskriegs-Diskussionen vermutet, stellen protektionistische Maßnahmen wie Zölle keinen automatischen "Verlust" für den globalen Handel in Höhe der verkündeten Strafzahlungen dar. Der Welthandel boomt, allen Diskussionen zum Trotz. Zölle werden auf unterschiedlichen Wegen umgangen: Durch den Handel über einen Tertiärstaat, die Verringerung der eigenen Marge, einer Produktionsverlagerung oder durch die Nutzung von Substituten.
Um den globalen Bullenmarkt an den Aktienmärkten zu beenden, bedürfte es eines "Keulenschlags", welcher einen Schaden in Höhe des aktuellen Weltwirtschaftswachstums anrichtet. Dieses bewegt sich auf Basis der aktuellen IWF-Schätzungen noch immer deutlich oberhalb von zwei Billionen US-Dollar für 2019. Auch wenn Märkte natürlich in die Zukunft der kommenden zwölf bis 18 Monate schauen, zeigen die vielfältigen Beispiele von primären Gewinnerstaaten und wachsenden Handelsvolumina, dass die aktuellen (Markt-) Sorgen überzogen sind. Die entstehende Unsicherheit kann für abgeschwächte Investitionen sorgen und ist durchaus negativ - ein Ende des laufenden Bullenmarkts auf Grund von protektionistischen Handelsmaßnahmen ist jedoch nicht in Sicht.