Goldpreis rutscht ab Nervenkrieg am Goldmarkt

Glänzend: Gold notiert in der Nähe seines Rekordhochs von etwa 2070 Dollar je Unze
Foto: Rick Wilking / REUTERSDieser Artikel gehört zum Angebot von manager-magazin+. Sie können ihn auch ohne Abonnement lesen, weil er Ihnen geschenkt wurde.
Goldfans brauchen derzeit starke Nerven. Der Preis des Edelmetalls stieg seit Oktober 2022 stetig an und hat sich wieder seinem Rekordhoch von rund 2070 Dollar je Unze aus dem August 2020 genähert. Doch seit Anfang Februar geht es plötzlich in die andere Richtung: Der Goldpreis ist von mehr als 1950 Dollar je Unze auf gegenwärtig 1880 Dollar zurückgefallen. Ist die Rallye bereits beendet?
Für ein solches Urteil ist es zu früh. Schließlich sind Rücksetzer wie der jüngste am Goldmarkt keine Seltenheit nach starken Aufwärtsphasen. "Wir vermuten, dass es hier Gewinnmitnahmen gegeben hat", erläutert Raphael Scherer, Geschäftsführer des österreichischen Edelmetallhändlers Philoro, gegenüber dem manager magazin. "2022 war ein gutes Goldjahr, wie es sich aus den Kursverläufen ablesen lässt. Viele Marktteilnehmer und Investoren haben sich dabei im Jahresverlauf mit Gold eingedeckt. Davon ist nun ein Teil zu einem guten Preis verkauft worden."
Einerseits. Andererseits macht sich einmal mehr der starke Einfluss des US-Dollar auf den Goldpreis bemerkbar. Die Kehrtwende am Goldmarkt ging einher mit der Veröffentlichung starker Zahlen vom US-Arbeitsmarkt. Dort wurden laut offiziellem Bericht im Januar 517.000 neue Stellen geschaffen. Experten hatten lediglich mit etwa 185.000 neuen Stellen gerechnet. Es folgte eine Überlegung, die in den vergangenen Monaten schon häufig für Bewegung an den Finanzmärkten gesorgt hat: starke US-Jobdaten = robuste US-Konjunktur = mehr Spielraum der US-Notenbank Fed für weitere Zinserhöhungen.
So lässt sich der Anstieg des US-Dollar seit Anfang Februar erklären. Denn die Aussicht auf weitere Zinserhöhungen steigert die Attraktivität des Dollar-Raums für Investoren und lenkt Kapitalströme dorthin.
Steigen die US-Zinsen, steigt meist auch der Dollar
Der Goldpreis dagegen schlägt häufig die entgegengesetzte Richtung zum Dollar ein: Eine starke US-Währung verteuert das Edelmetall außerhalb des Dollar-Raums und drückt damit auf die Nachfrage. Umgekehrt steigt der Goldpreis mit fallendem Dollar. Für Investoren aus dem Euroraum kann Gold insofern eine Absicherung gegen Währungsschwankungen sein.
Wie es mit dem Goldpreis weitergeht, hängt allerdings nicht nur von Dollar und Euro ab. Die Inflation, die Weltkonjunktur und viele andere Einflussfaktoren spielen eine Rolle. Nach Ansicht von Philoro-Geschäftsführer Scherer kommt es darüber hinaus vor allem auf drei Fraktionen an: die Schmuckindustrie, die privaten Käufer und Investoren sowie die Zentralbanken. Diese drei Gruppen haben den größten Einfluss auf die Goldpreisbildung, so der Experte.
2022 etwa sorgten vor allem Investoren und Zentralbanken für Bewegung am Markt. Die allgemeine Unsicherheit angesichts des Krieges in der Ukraine, der Energiekrise und der Rezessionssorgen lockte Anleger in das Edelmetall, das einen Ruf als "sicherer Hafen" genießt. So war nach Angaben der Branchenvereinigung World Gold Council (WGC) die weltweite Nachfrage nach Gold 2022 auf den höchsten Stand seit 2011 gestiegen. Ausschlaggebend war zum einen eine große Nachfrage privater Investoren, die ihr Vermögen absichern wollten. Zudem haben insbesondere Notenbanken im vergangenen Jahr große Mengen Goldes erworben.
Folge: Die Gesamtnachfrage nach Gold stieg 2022 laut WGC auf weltweit 4741 Tonnen. Das ist beinahe das Niveau von 2011 und ein Plus von 18 Prozent gegenüber dem Vorjahr. "Der Wunsch nach Vermögensschutz in einem globalen Inflationsumfeld blieb ein Hauptmotiv für den Kauf von Goldanlagen", heißt es im Bericht des WGC.
Zentralbanken stocken Bestände auf
Vor allem die Notenbanken spielten in letzter Zeit eine bemerkenswerte Rolle am Goldmarkt. Viele Zentralbanker in weniger US-affinen Staaten wurden offenbar von den Sanktionen des Westens gegen Russland aufgeschreckt und bemühen sich, ihre Devisenreserven in Sicherheit zu bringen. Im Rahmen der Strafmaßnahmen für den Angriff Russlands auf die Ukraine hatten westliche Länder unter anderem den Zugriff der russischen Zentralbank auf große Teile der Devisenreserven des Landes im Ausland gekappt .
Das hat womöglich andere Länder aufgeschreckt, für die es nun heißt: Raus aus dem Dollar, rein ins Gold. So stockten Zentralbanken rund um den Globus ihre Goldbestände insbesondere in der zweiten Hälfte des vergangenen Jahres kräftig auf. Allein im letzten Quartal 2022 erwarben Zentralbanken insgesamt 417 Tonnen Gold, so der WGC. Das war beinahe zwölfmal so viel wie im Schlussquartal des Vorjahres. Insgesamt betrugen die Zentralbankkäufe damit 1136 Tonnen, mehr als doppelt so viel wie im Vorjahr.
"Die Zentralbanken haben den Vorteil auch antizyklisch kaufen und handeln zu können", sagt Philoro-Chef Scherer. "Ebenso haben diese Institute immer einen langfristigen und strategischen Anlagefokus. Sie können so bestimmte Situationen wie zum Beispiel niedrigere Goldpreise besser aussitzen."

Bestätigung in ihrer Skepsis gegenüber Dollar-Reserven erhielten die Notenbanker womöglich in dieser Woche, als bekannt wurde, dass Russland nun tatsächlich auf seine Devisen- und Goldreserven zugreifen muss, um ein Milliardenloch im Staatshaushalt zu stopfen. Nach Angaben der russischen Nachrichtenagentur Tass, die sich auf eine Mitteilung des russischen Finanzministeriums bezieht, hat Moskau im Januar 2,27 Milliarden chinesische Yuan (umgerechnet rund 309 Millionen Euro) am Devisenmarkt verkauft. Zudem veräußerte Russland demnach 3,6 Tonnen Gold aus der staatlichen Reserve, was einem Wert von rund 200 Millionen Euro entspricht. "Die dadurch erzielten Mittel wurden zur Deckung des Defizits auf das Konto des Staatshaushalts überwiesen", heißt es in der Mitteilung.
Zur Orientierung: Insgesamt betrug das Haushaltsdefizit Russlands laut staatlichen Angaben im Januar 1,76 Billionen Rubel (23 Milliarden Euro). Die Ausgaben des Landes schnellten zuletzt in die Höhe, vermutlich wegen der Kosten des Krieges in der Ukraine.
Auf den Goldpreis wirken sich diese Verkäufe von russischer Seite kaum aus, meint Experte Scherer. Die Notenbanken insgesamt spielen jedoch eine mächtige Rolle. Die "kolossalen" Käufe der Zentralbanken seien ein "Riesenantrieb", sagte Krishan Gopaul, Senior-Analyst beim WGC, laut "Financial Times" . "Seit 2010 sind Zentralbanken Nettokäufer, nachdem sie zuvor zwei Jahrzehnte lang Nettoverkäufer waren", so Gopaul . Als Grund für das Interesse der Zentralbanken sieht der Fachmann das Fehlende "Counterparty-Risk", anders als bei ausländischen Währungen, hinter denen jeweils eine Regierung stehe.
Größter Goldkäufer unter den Notenbanken war das Institut in der Türkei. Die türkische Zentralbank erwarb 2022 allein 148 Tonnen und erhöhte ihre Bestände dadurch auf 542 Tonnen. Auch die Nachfrage der Türken nach Goldschmuck stieg um mehr als 30 Prozent, wie Bloomberg schreibt . Gold werde von türkischen Haushalten als Schutz gegen die Inflation und gegen den Wertverlust der türkischen Lira verwendet, so der Bericht. Die Inflationsrate stieg in der Türkei 2022 zeitweise auf bis zu 85 Prozent.
Die Frage ist nun: Wie geht es am Goldmarkt weiter. Nach Ansicht von WGC-Analyst Gopaul werden die Zentralbanken im laufenden Jahr kaum auf gleichem Niveau weiterkaufen, denn das Wachstum der Devisenreserven insgesamt lasse ebenfalls nach. Die zuletzt besseren Wirtschaftsaussichten lassen zudem offenbar bereits das Interesse von Privatanlegern an Goldinvestments sinken. So ließen die Zuflüsse in Gold-ETCs nach Angaben des Emittenten Wisdom Tree in den vergangenen Wochen bereits nach. Auch bei Lang & Schwarz sind die Investmentvehikel, die dem Goldpreis folgen, derzeit nicht mehr so gefragt, teilt die Börse Frankfurt mit.
Dazu passt das Ergebnis einer Analyse von Spectrum Markets, eines europäischen Handelsplatzes für verbriefte Derivate mit Sitz in Frankfurt. Demnach fiel die Stimmung unter Anlegern in Bezug auf Investments in Gold im Januar dieses Jahres auf den niedrigsten Wert seit Beginn der Beobachtung im Jahr 2019. Die Privatanleger scheinen eine positive Sichtweise auf die gesamtwirtschaftliche Entwicklung einzunehmen, meint Michael Hall, Head of Distribution bei Spectrum Markets. Das zeige sich ihrer zunehmend pessimistischen Haltung gegenüber Gold.
Philoro-Geschäftsführer Scherer gibt sich dennoch "bullish". "Grundsätzlich sehen wir für 2023 die Rahmenbedingungen für Gold als positiv an", sagt er. "Den Trend zur Inflation sehen wir noch nicht endgültig als gestoppt an. Daher sehen wir weiter allgemeine und besonders auch geopolitische Unsicherheiten in der Konjunkturentwicklung." Philoro zufolge kann der Preis für die Feinunze Gold im laufenden Jahr die Marke von 2000 Dollar wieder durchbrechen.