Kursrutsch nach Rekordhoch Was für Dax-Anleger jetzt wichtig wird

Dax auf Rekordhoch: Auf steigende Gewinne folgen steigende Kurse – doch viele Dax-Schwergewichte dürften es schwer haben, die Gewinnmargen im zweiten Halbjahr zu halten
Foto: picture-alliance/ dpaDieser Artikel gehört zum Angebot von manager-magazin+. Sie können ihn auch ohne Abonnement lesen, weil er Ihnen geschenkt wurde.
Die Rekordmeldung kam für viele überraschend: Der deutsche Leitindex Dax hat in der vergangenen Woche ein Rekordhoch von rund 16.300 Punkten erreicht. Trotz des Krieges in der Ukraine und trotz diverser Krisen wie Inflation, US-Schuldenstreit, drohender Rezession und teurer Energie. Zugleich hat der scheinbar krisenresistente Dax mit einem Kursplus von 15 Prozent seit Jahresbeginn auch die US-Indizes Dow Jones (+1 Prozent) und S&P 500 (+9 Prozent) klar hinter sich gelassen. Was ist da los? Sollten Anleger jetzt noch einsteigen oder eher Gewinne mitnehmen, zumal auf die Rekordmeldung vom Freitag prompt ein Kurs-Rücksetzer folgte?
Der folgende Überblick zeigt die sechs Punkte, die Anlegerinnen und Anleger wissen sollten. Für die Outperformance des Dax gab es gute Gründe (1-4) – doch der Dax dürfte Mühe haben, sein aktuelles Niveau zu halten (5 und 6).
1. Rekordgewinne und Rekorddividenden
Die Rekordrallye überrascht nur auf den ersten Blick. Kurse am Aktienmarkt folgen in der Regel den Gewinnen der Unternehmen – und sowohl bei den operativen Gewinnen wie auch bei den ausgeschütteten Gewinnen (Dividenden) haben die Dax-Unternehmen im Jahr 2022 ein Rekordniveau erreicht.
Der operative Gewinn der 40 Dax-Unternehmen stieg 2022 um 3,4 Prozent auf die Rekordsumme von 171 Milliarden Euro, wie die Beratungsgesellschaft EY errechnet hat. Die Dividenden, die deutsche Aktiengesellschaften in diesem Jahr an ihre Aktionäre ausschütten, werden laut Berechnungen der Deutschen Schutzvereinigung für Wertpapierbesitz (DSW) um 9 Prozent auf das Rekordniveau von 75 Milliarden Euro steigen. Die Autobauer Volkswagen (22 Milliarden Euro), Mercedes-Benz (20 Milliarden) und BMW (14 Milliarden) führen das Gewinnranking im Dax an, gemeinsam mit Deutscher Telekom (15 Milliarden) und Allianz (14 Milliarden). Einige Konzerne wie BMW, Deutsche Post, Siemens, Telekom oder Airbus haben 2022 sogar den höchsten Gewinn ihrer gesamten Konzerngeschichte erzielt.
2. Überraschend robust im ersten Quartal
Auch im ersten Quartal dieses Jahres ging die Party zunächst weiter. Zwar gingen die Gewinne der Dax-Unternehmen insgesamt wie erwartet zurück, die Umsätze kletterten jedoch um weitere 8 Prozent – auch dank des China-Comebacks nach drei Jahren Coronapandemie, von dem vor allem die zahlreichen zyklischen Aktien im Dax profitierten.
"Die Berichtssaison im ersten Quartal ist trotz eines Gewinnrückgangs im Vergleich zum Vorjahr deutlich besser ausgefallen als befürchtet", betont Ulrich Stephan, Anlagestratege bei der Deutschen Bank. In den Sektoren zyklische Konsumgüter, Grundstoffe und Versorger, zu denen Dax-Schwergewichte wie BASF, Bayer, RWE und Covestro zählen, lagen die Gewinne sogar im Schnitt 18 Prozent über den Erwartungen, so Stephan. Im Sektor Industrie (Siemens, Airbus) wuchsen die Gewinne sogar um 65 Prozent.
Die beiden Faktoren – weiteres Umsatzwachstum, dazu ein geringerer Gewinnrückgang als befürchtet – führen dazu, dass Dax-Aktien bei Investoren weiterhin gefragt sind. Das aktuelle Kurs-Gewinn-Verhältnis liegt aktuell knapp unter 12 – und damit im langfristigen Durchschnitt. Gemessen an den Gewinnen ist der Dax auch auf seinem aktuellen Rekordniveau nicht einmal besonders teuer – deutsche Aktien sind weiterhin günstiger bewertet als US-Papiere. Im S&P 500 liegt das KGV aktuell bei 23, und US-Technologieaktien sind mit einem KGV des Nasdaq 100 von 24 derzeit doppelt so teuer wie der Dax.
3. Dividenden als Renditeturbo im Performance-Index
Dass der Dax mit seiner jüngsten Rekordjagd auch den US-Index S&P hinter sich gelassen hat, hat einen ganz einfachen Grund: Der Dax ist ein Performance-Index. Das heißt: Die ausgezahlten Rekorddividenden werden einberechnet. Im S&P, einem reinen Kursindex, bleiben die Dividenden dagegen außen vor. "Dividenden sind für deutsche Aktienanleger ein Renditeturbo", sagt Mathias Beil, Leiter Private Banking bei der Sutor Bank. "Auf Sicht von 37 Jahren (seit 1986) hat sich der Dax inklusive der Dividenden verzehnfacht, als reiner Kursindex hingegen nur versechsfacht."
Im Umkehrschluss heißt das aber auch: Würde man beim US-Index S&P 500 die gezahlten Dividenden ebenfalls einbeziehen, sähe die Performance des S&P deutlich besser aus als die des Dax, so Beil. Der Index der 500 wertvollsten US-Unternehmen hat sich seit 1986 versiebzehnfacht und liegt mit dieser Entwicklung weit vor dem deutschen Leitindex.
4. Weniger Last durch den Tech-Einbruch
Anders als der Dax sind die US-Indizes S&P 500, Dow Jones und Nasdaq 100 noch deutlich von ihren Rekordniveaus entfernt. Neben der Einberechnung der deutschen Dividenden, spielt dabei noch ein weiterer Faktor eine Rolle: die Zusammensetzung des Index. Im Dax sind mit SAP, Infineon und Deutsche Telekom relativ wenige Tech-Werte vertreten, der Index litt im vergangenen Jahr demnach nicht so stark unter dem Einbruch von Big Tech – musste also nicht so viel aufholen, um das neue Rekordniveau zu erreichen.
Dagegen war die Kursrallye der US-Indizes bis Januar 2022 vor allem durch die Kursgewinne der Tech-Schwergewichte Amazon, Apple, Microsoft, Tesla, Nvidia und Meta getrieben. Diese Titel hatten im Börsenjahr 2022 jeweils rund 50 Prozent oder mehr an Wert verloren, lediglich Microsoft (minus 30 Prozent) und Apple (minus 20 Prozent) konnten ihre Verluste begrenzen. Nun, da die Sorge vor weiteren deutlichen Zinserhöhungen der US-Notenbank nachlässt, legt auch der Nasdaq 100 wieder zu und hat seit Jahresbeginn 2023 mit 28 Prozent auch deutlich stärker zugelegt als der Dax (15 Prozent).
Aus der Zusammensetzung des Dax ergeben sich aber auch Risiken. Die vielen exportorientierten Unternehmen im Dax – vor allem aus den Branchen Automobil, Maschinenbau, Chemie – hängen stärker von der globalen Konjunktur und der weltweiten Nachfrage ab. Angesichts der unsicheren Aussichten ein Risiko.
5. Gewinnmargen geraten unter Druck – neue Qualitäten gefragt
Das größte Risiko hängt aber wohl an einer Frage: Werden die meisten Dax-Unternehmen, die in den vergangenen Monaten trotz multipler Krisen bestens verdient haben, ihre Gewinnmargen halten können? Vieles spricht dagegen, denn die Gewinnparty war lange Zeit durch Sonderfaktoren geprägt. Beispiel Autoindustrie: Volkswagen, Mercedes und BMW konnten wegen Teilemangels und eines knappen Angebots die Preise hochhalten, da die Wartelisten für Neuwagen lang waren. Inzwischen haben sich die Lieferketten stabilisiert, die Produktion weltweit läuft wieder hoch, und es kündigt sich die nächste Rabattschlacht an. Sogar Tesla stellt derzeit Umsatz vor Gewinn , sodass sich auch die deutschen Autobauer auf sinkende Gewinnmargen einstellen müssen. Der Volkswagen-Konzern hat mit seinem radikalen Sparprogramm für die Kernmarke VW bereits das Signal gegeben : Nun geht es um Sanierung und Restrukturierung, um weiter erfolgreich mitzuspielen.
"Die Produktionskosten vieler Unternehmen sind weiterhin hoch. Zudem droht bei vielen ein Anstieg der Personalkosten", sagt Markus Wallner, Marktanalyst bei der Commerzbank. Nicht nur bei den deutschen Autobauern, sondern auch bei "defensiven" Unternehmen wie Henkel und Fresenius dürften die Margen unter Druck stehen. "Dies erhöht den Druck zu Restrukturierungen, die Unternehmen wie BASF bereits angekündigt haben", sagt Wallner. Vor allem Unternehmen wie FMC, Adidas, Covestro oder Siemens Energy hätten die Chance, durch eine erfolgreiche Restrukturierung ihren operativen Ertrag rasch zu verbessern. Ob dies auch Riesen wie VW ebenso rasch gelingen wird, ist offen.
6. Die Makrorisiken bleiben
Fest steht: Für die Mehrzahl der Dax-Unternehmen ist das Umfeld 2023 rauer geworden. Es wird im laufenden Jahr deutlich schwieriger werden, die aktuell erreichten Gewinnmargen zu verteidigen. Zumal in den USA weiterhin eine Rezession droht und eine Einigung im US-Schuldenstreit noch nicht besiegelt ist. Auch die an der Börse bereits eingepreiste Erwartung, dass die US-Notenbank die Zinsen in der zweiten Jahreshälfte nur noch maximal zweimal erhöht, muss sich erst noch bestätigen.
Um sich auf dem aktuellen Rekordniveau zu halten, wird sich die Mehrzahl der Dax-Unternehmen nicht mehr als Gewinn-Meister, sondern als Restrukturierungs-Meister erweisen müssen.