Börse statt Party Generation U30 zieht es an die Aktienmärkte

Richtig fotografiert entstehen vage Erinnerungen an einen Dancefloor: Der Handelsraum der Frankfurter Börse (Archivbild)
Foto: diego_cervo / Getty Images/iStockphotoDurch geschlossene Geschäfte, Clubs und Kneipen sowie Reise- und Kontaktbeschränkungen hat es jungen Menschen in der Pandemie nicht nur an Gelegenheiten gefehlt, Geld auszugeben. "Plötzlich war auch mehr Zeit da, sich mit den eigenen Finanzen zu beschäftigen", sagt Christine Bortenlänger (55), ehemalige Geschäftsführerin der Bayerischen Börse, heute Multi-Aufsichtsrätin und Geschäftsführende Vorständin des Deutschen Aktieninstituts (DAI). Das Resultat zeigt sich in einer aktuellen Studie des Instituts: Allein im vergangenen Jahr gab es in Deutschland etwa 49.000 neue Aktionäre, die jünger als 30 Jahre alt waren. Die Zahl der U30-Aktienbesitzer steigt damit auf knapp 1,5 Millionen.
Die Aktionäre U30 streuen ihr Geld dabei überwiegend breit und in speziellen Indexfonds. Einige legten ihr erstes Aktiendepot an, andere erstellten Sparpläne mit Fonds oder ETFs. Angefeuert wird der Trend von Neobrokern wie Trade Republic oder Just Trade. Über intuitive Smartphone-Apps können sie mit ein paar Fingertipps an den Aktienmarkt gehen. "Die Aktie ist quasi in der Hosen- oder Handtasche griffbereit", sagt Bortenlänger.
Aber auch Volksbanken und Sparkassen melden Hunderttausende neue Fondssparpläne. Insgesamt haben 2021 etwa zwölf Millionen Menschen ihr Geld in Aktien, Aktienfonds oder aktienbasierte ETFs angelegt. Viele Eltern haben zudem ETF-Sparplandepots für ihre minderjährigen Kinder angelegt - und das entsprechende Depot auf den Namen der Kinder angemeldet, um deren Freibeträge steuerlich zu nutzen. Damit handelt rund jeder Sechste der Deutschen ab 14 Jahren am Aktienmarkt – der dritthöchste Stand seit 1997. Besonders überraschend sind die Zahlen für das DAI nicht. "Das Börsenjahr lief ja sehr gut", sagt Bortenlänger.
Christine Laudenbach (38), Professorin für Finance an der Universität Bonn und Mitglied der Forschungseinrichtung ECONtribute, sieht in dem Ansturm von jüngeren Menschen an der Börse mehrere Gründe. "Diese sind aber bisher noch schwer empirisch zu belegen", sagt sie.
Als ersten Punkt sieht sie einen erleichterten Zugang zum Kapitalmarkt. "Früher konnte man Aktien nur zu bestimmten Uhrzeiten kaufen, nie war es so leicht wie jetzt", sagt Laudenbach. Neben normalen Aktien könnten auch ETFs, Bitcoins oder Kryptowährungen mit einem Klick bezahlt werden. Zudem würden junge Erwachsene heute deutlich offener über Geld reden, als noch vor einigen Jahren. "Sie reden miteinander darüber, was sie verdienen oder was für Vertragsangebote sie haben", sagt Laudenbach. Dadurch werde auch die Hemmschwelle kleiner, sich mit dem Thema zu befassen. Auch wenn Partys in der Pandemie seltener waren, seien Finanzen oder Geldanlagen sogar ein Thema für das Bier an der Bar. "Der Aktienmarkt ist grundsätzlich präsenter geworden, es wird nicht mehr als so langweilig betrachtet."
Auch die Pandemie selbst habe ihren Teil zu den aktuellen Zahlen beigetragen. "Der Aktiencrash war nicht sehr typisch, er ging schnell runter aber auch wieder schnell hoch", sagt Laudenbach. Das habe die Wahrnehmung von Börsencrashs geprägt, da viele eher positive Gewinne durch die Pandemie mitgenommen haben.
Dies sei in den vorherigen Generationen anders gewesen. "Man betrachte allein das Misstrauen in den Aktienmarkt nach dem Crash der Telekom-Aktie", sagt Laudenbach. Schon damals gelang es junge Menschen vermehrt an den Kapitalmarkt zu locken. Der ehemalige Telekom-Chef Ron Sommer versuchte Ende der 90er-Jahre den skeptischen Deutschen mit der "Volksaktie" zu überzeugen. Der Tatort-Schauspieler Manfred Krug umwarb in zahlreichen Werbesendungen sichere Sache. Insgesamt konnte der Konzern 1,9 Millionen Menschen überzeugen, die Aktie zu kaufen. Der Wert schnellte Anfang 2000 in eine Höhe von 103,50 Euro. Doch zwei Jahre später kam der große Crash. Ron Sommer trat aufgrund zu teurer Zukaufe des Unternehmens zurück, die Telekom-Aktie fiel auf einen Tiefststand von 8,16 Euro.
Seit 2008 haben sich vier Millionen Menschen an den Aktienmarkt gewagt
Für viele Deutsche seien die damaligen Ereignisse noch immer ein Grund die Finger vom Kapitalmarkt zu lassen. Doch die Werbespots mit Krugs sanfter Stimme sind in der jüngeren Generation längst vergessen. Seit der Finanzkrise 2008 haben sich laut DAI fast vier Millionen neue Kapitalanleger an den Aktienmarkt gewagt, darunter rund eine Million im Alter von unter 30 Jahren. "Die Leute haben heute ein realistischeres Bild vom Aktienmarkt", sagt Laudenbach.
Die Risiken sollten Anleger dennoch im Blick behalten. "Auch wenn der Zugang sehr einfach geworden ist, können Preisangebote oft noch sehr undurchsichtig und unterschiedlich sein", sagt die Kapitalmarktforscherin. So sei die Entscheidung, in was investiert werden solle genauso schwer, wie bereits vor einigen Jahren. Über das Smartphone sei jedoch die Gefahr größer, mit einzelnen Aktien zu zocken. Das könnte ein falsches Bild vom Aktienmarkt geben. "Wenn ich meine Aktien breit streue, ist das Geld ja nicht direkt weg."

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Grundsätzlich sei es aber eine sehr positive Entwicklung, dass sich junge Leute mehr mit Aktien auseinandersetzen würden. Dabei ginge es nicht um den Ansturm auf die Aktien selbst. Junge Menschen lernen dadurch finanzielle Unabhängigkeit zu erreichen", sagt Laudenbach. Wichtig sei erst einmal nicht der Betrag, den U30-Jährige investieren, sondern dass sie das Gefühl der finanziellen Eigenständigkeit und das Selbstbewusstsein zu entwickeln, eigene Finanzentscheidungen treffen zu können. "Dann ist es auch nicht entscheidend, ob ich zum Ende des Monats ein bisschen mehr oder weniger Rendite erziele."
Nur ein Drittel der Anleger ist weiblich
Doch trotz der steigenden Zahlen zeigen sich auch weiterhin Gewohnheiten auf dem Aktienmarkt, wie das unterschiedliche Anlageverhalten von Frauen und Männern. Nur ein Drittel aller Aktienanleger ist weiblich. "Wir erheben seit Langem, dass Frauen deutlich weniger am Aktienmarkt engagiert sind als Männer", sagt Laudenbach. In der Altersklasse der unter 30-Jährigen ist der Unterschied der Geschlechter sogar größer, als bei den über 60-Jährigen.
"Erstaunlicherweise zeigt sich dieser Unterschied relativ unabhängig von Schulabschluss, Einkommen und Alter. Wir hätten vermutet, dass junge Frauen und junge Männer sich ähnlicher verhalten, als es noch in der Generation ihrer Großeltern der Fall war", sagt Christine Bortenlänger vom DAI. Die Zahlen bestätigen das jedoch nicht. Hier müsse in der jungen Generation noch bessere Aufklärungsarbeit geleistet werden.