Geldanlage nach Kursrallye Was die aktuelle Berichtssaison für Anleger bedeutet

Der Dax ist der Wall Street seit Ende 2022 davongeeilt. Nun beginnen mit Vorlage der Konzernbilanzen die Wochen der Wahrheit am Aktienmarkt. Und etliche Profis bezweifeln, dass die Outperformance gerechtfertigt war.
Bulle und Bär: An der Börse hatten zuletzt die Optimisten das Sagen

Bulle und Bär: An der Börse hatten zuletzt die Optimisten das Sagen

Foto: Frank Rumpenhorst / dpa

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Wochen der Wahrheit – die Phrase für die Berichtssaison an der Börse klingt abgedroschen. Doch in diesen Tagen erscheint sie angebrachter denn je, vor allem am hiesigen Aktienmarkt. Der deutsche Leitindex Dax hat – ebenso wie sein europäisches Pendant, der EuroStoxx50 – einige sehr starke Monate hinter sich. Inmitten von geopolitischen Spannungen und Ukraine-Krieg, Energiekrise, Inflation und Rezessionssorgen legte der Dax seit Anfang Oktober um beinahe 30 Prozent zu. Eine ähnliche Rallye gelang dem EuroStoxx50 – während zugleich wichtige Indizes etwa an der Wall Street deutlich schwächer performten.

Nun werden die Konzernbilanzen und die zeitgleich präsentierten Geschäftserwartungen des Topmanagements zeigen, ob die Outperformance gerechtfertigt war. Oder ob die Unternehmen überbewertet sind. Aus dem Dax40 haben bislang nur SAP und Sartorius ihre Zahlen vorgelegt – in dieser Woche folgen mit Deutscher Bank, Infineon und Siemens Healthineers gleich drei weitere Konzerne; der Rest zieht in den Folgewochen nach, bis Ende März RWE und die Porsche SE den Abschluss bilden. Die Wochen der Wahrheit also.

Eine überraschend robuste Konzernwelt

Für die außergewöhnlichen Kursgewinne hiesiger Unternehmen gibt es verschiedene Gründe. Das Inflationsgespenst beispielsweise flößt Anlegerinnen und Anlegern keinen so großen Schrecken mehr ein; jüngst waren die Preissteigerungsraten bereits rückläufig. Die Energiepreise haben sich wieder eingependelt, die Frachtraten für Überseetransporte ebenso. Die globalen Lieferketten haben sich etwas entspannt. Zudem überzeugen Notenbanken wie die EZB oder die US-amerikanische Fed inzwischen in ihrem entschiedenen Vorgehen gegen die Inflation .

Hinzu kommt: Bereits während des gesamten Jahres 2022 hatten Pessimisten mit Rezessionssorgen für schlechte Stimmung gesorgt und damit die Aktienkurse gedrückt. Doch viele Unternehmen konnten immer wieder mit ihren Geschäftsergebnissen davon überzeugen, dass sie die Inflation und die Energiekrise gut wegstecken konnten. Zuletzt bestätigte das Statistische Bundesamt diese Sicht: Unter dem Strich legte die deutsche Wirtschaft im vergangenen Jahr um beachtliche 1,8 Prozent zu, trotz eines geschätzt leichten Rückgangs im Schlussquartal. Einen tiefen Konjunktureinbruch in diesem Jahr gebe es nicht, prognostizierte jüngst denn auch Wirtschaftsminister Robert Habeck (53, Grüne). Die schlimmsten Szenarien seien verhindert worden.

"Im vergangenen Jahr wurde praktisch in jedem Quartal vorhergesagt, dass die Gewinnmargen der Unternehmen durch hohe Kosten beeinträchtigt werden könnten", sagt Sven Streibel, Chef-Aktienstratege bei der DZ Bank. "Aber die großen deutschen Aktiengesellschaften konnten die Kosten gut weitergeben, die Gewinne sind im Jahresverlauf mehr als robust geblieben."

Zwar wurden die deutschen Unternehmen im vergangenen Jahr zwar merklich vorsichtiger in Bezug auf ihre Aussichten. So stieg einer Analyse der Beratungsgesellschaft EY zufolge die Zahl der Gewinn- oder Umsatzwarnungen von Unternehmen aus dem Dax, dem MDax und dem SDax im Laufe des Jahres 2022 im Vergleich zum Vorjahr von 35 auf 70. Allein im Dax ging die Zahl der Gewinnwarnungen demnach von sieben auf 18 nach oben.

Zugleich schlossen hiesige Konzerne das vergangene Jahr jedoch stark ab, was auch der neue Dividendenrekord zeigt: Insgesamt 55 Milliarden Euro schütten einer Analyse der DekaBank zufolge die Unternehmen des Dax an ihre Anteilseigner aus. Inklusive MDax beträgt die Summe sogar 62,5 Milliarden Euro.

"So viel verdient wie noch nie"

"Die Unternehmen sind trotz Pandemie, die zu erheblichen Verzerrungen in den Produktionsketten der globalen Wirtschaft geführt hat, erstaunlich gut durch die Krisen gekommen und haben ihre Erträge gesteigert", fasst es Joachim Schallmayer, Leiter Kapitalmärkte und Strategie bei der DekaBank, zusammen. "Die Dax-Konzerne haben 2022 so viel Geld verdient wie noch nie.“

Kein Wunder, dass sich vor dem Hintergrund in den vergangenen Wochen der Eindruck breitmachte, Europa sowie Deutschland könnten der schon sicher geglaubten Rezession doch noch entgehen. Für Hoffnung in diese Richtung sorgte auch das Ende der Null-Covid-Politik und die damit verbundene Aussicht auf wirtschaftliche Erholung in China, einem der wichtigsten Absatzmärkte hiesiger Großkonzerne. Positive Konjunktursignale aus den USA spielen exportstarken deutschen Firmen ebenso in die Karten.

All dies zusammen erklärt die starken Kursgewinne in Dax und EuroStoxx50 in den vergangenen Monaten. Aber rechtfertigt es sie auch? Die Fallhöhe, auf die Investoren beispielsweise den wichtigsten deutschen Börsenindex gehievt haben, erscheint jedenfalls ziemlich groß. Aktienexperte Streibel von der DZ Bank rechnet vor: Ein Dax-Stand von 15.000 Punkten entspricht seiner Kalkulation zufolge bereits einem Gewinnwachstum der Dax-Konzerne von durchschnittlich 10 Prozent im laufenden Jahr. Analysten jedoch erwarten für die erste deutsche Börsenliga 2023 im Konsens lediglich ein Gewinnplus von weniger als 2 Prozent.

"Beim aktuellen Stand von Dax und Eurostoxx50 haben Investoren die Rezession praktisch ausgepreist", sagt Streibel. "Mehr noch: Ein Gewinnplus von 10 Prozent hat schon nichts mehr mit einem normalen Börsenjahr zu tun. Das ist nicht nur das Auspreisen von überhöhtem Pessimismus, sondern bereits das Einpreisen eines positiven Wirtschaftsschocks. Und den sehen wir im Moment nicht."

Folge: Sehr wahrscheinlich müsste in nächster Zeit eine Korrektur anstehen. Die gerade beginnende Berichtsaison könnte also zu einer heißen Zeit für Investoren werden.

Die Erkenntnisse von den US-Börsen

In den USA, wo die "Earning Season" traditionell früher startet, wurden bereits einige Geschäftsergebnisse veröffentlicht. Große Banken wie Goldman Sachs oder JP Morgan etwa meldeten vor wenigen Tagen Gewinneinbußen, blieben damit jedoch im Großen und Ganzen innerhalb der Erwartungen. Das passt ins Gesamtbild: Insgesamt haben mehr als zwei Drittel der US-Unternehmen, die im laufenden Zyklus bereits berichtet haben, die Erwartungen erfüllt oder übertroffen, sagt Streibel. Größere Kurseinbrüche blieben daher bislang weitgehend aus.

Besonderer Fokus liegt dabei traditionell auf der Tech-Branche, die mit Konzernen wie Microsoft, Amazon oder Apple die US-Börse dominiert. Von den Geschäftsergebnissen der Big Player hängt viel ab. Doch auch da gibt es bislang Entwarnung: "Tech-Firmen wie Microsoft, die bereits berichtet haben, melden zwar teils Gewinnrückgänge, diese bleiben jedoch meist innerhalb der Erwartungen oder besser", sagt Streibel.

Selbst der massive Stellenabbau, den die Branche in den vergangenen Monaten angekündigt hat, ist für den Anlageexperten kein Grund zur Sorge. "Die Unternehmen bauen zum Großteil Überkapazitäten ab, die sie während der Corona-Pandemie aufgebaut haben." Die Unternehmenslenker betonten bisher, dass das Kerngeschäft oder die Wachstumsfelder kaum oder gar nicht betroffen seien.

Nicht zu vergessen: Es gab sogar positive Ausreißer. Der Autobauer Tesla etwa meldete in der vergangenen Woche ein Rekordergebnis  und schickte die lange Zeit gebeutelte Aktie damit auf Höhenflug.

Die Lehren für Deutschland

Als Richtschnur für die hiesige Börse taugt der Blick auf die Wall Street nur bedingt. Schließlich ist der US-Aktienmarkt in den vergangenen Monaten längst nicht so stark gestiegen wie der europäische.

Was steht also in der Berichtssaison hierzulande bevor? Anlageprofis äußern sich angesichts der unsicheren Wirtschaftslage zurückhaltend. Viele von ihnen sehen angesichts der stark gestiegenen Aktienkurse hohe Kursrisiken. Der Markt sei nicht gerade günstig bewertet, sagt etwa Burkhard Weiss, Managing Partner bei Rhein Asset Management in Düsseldorf. Der Kostendruck und die Zinslast würden dazu führen, dass sich "in dieser Berichtssaison die Spreu vom Weizen trennt", meint Georgios Passameras von der GAP Vermögensverwaltung in Köln. Und Rainer Göritz von B&K Vermögen, ebenfalls in Köln, rechnet "nach dem sehr freundlichen Jahresauftakt im Laufe der Berichtssaison wieder mit einer deutlich höheren Volatilität".

Die gute Nachricht ist allerdings: Ein wenig Schonfrist bleibt Investorinnen und Investoren hierzulande wohl noch. Die ersten Dax-Konzerne legen ihre Geschäftsergebnisse zwar bereits in diesen Tagen vor. Entscheidend wird es nach Angaben des DZ-Bank-Experten Streibel für den Dax aber erst Mitte Februar. "Der Kursaufschwung der vergangenen Monate wurde vor allem von zyklischen Werten getragen", sagt er. "Also von Unternehmen wie Siemens, Allianz, Bayer, BASF, Telekom, Airbus, Mercedes." Erst wenn diese Konzerne ihre Geschäftsergebnisse und Ausblicke veröffentlichen, so Streibel, wird sich zeigen, ob die Kursanstiege der vergangenen Wochen Bestand haben werden – oder nicht.

Wann die Dax-Konzerne ihre Zahlen für 2022 veröffentlichen:

SAP und Sartorius haben ihre Bilanzen bereits am 26. Januar vorgelegt.

Deutsche Bank: 2. Februar

Infineon: 2. Februar (Ergebnisse 1. Geschäftsquartal 2023)

Siemens Healthineers: 2. Februar (Ergebnisse 1. Geschäftsquartal 2023)

Linde: 7. Februar

Qiagen: 7. Februar

Siemens Energy: 7. Februar (Ergebnisse 1. Geschäftsquartal 2023)

Deutsche Börse: 8. Februar

Siemens: 9. Februar (Ergebnisse 1. Geschäftsquartal 2023)

MTU: 14. Februar

Airbus: 16. Februar

Allianz: 17. Februar

Mercedes-Benz: 17. Februar

Fresenius: 22. Februar

Fresenius Medical Care: 22. Februar

Deutsche Telekom: 23. Februar

HeidelbergCement: 23. Februar

Munich Re: 23. Februar

BASF: 24. Februar

Bayer: 28. Februar

Beiersdorf: 1. März

Covestro: 2. März

Merck: 2. März

Henkel: 7. März

Zalando: 7. März

Adidas: 8. März

Brenntag: 8. März

Continental: 8. März

Symrise: 8. März

Deutsche Post: 9. März

Hannover Rück: 9. März

Daimler Truck: 10. März

Porsche: 13. März

Volkswagen: 14. März

BMW: 15. März

Eon: 15. März

Vonovia: 17. März

RWE: 21. März

Porsche Automobil Holding: 23. März

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