
Geldanlage mit Herzblut Fans pumpen Millionen in den Profifußball
Hamburg - Geht es um die Geldbeschaffung, war der FC St. Pauli schon immer kreativ. Als der Verein vor rund zehn Jahren am Abgrund stand, wurden zur Sanierung auf Reeperbahn und Fischmarkt die legendären "Retter"-T-Shirts verkauft. Selbst Bayern-Manager Uli Hoeneß trug eins, als er zum Benefizspiel ans Millerntor kam. Der Coup gelang, das Liquiditätsloch von fast zwei Millionen Euro wurde gestopft.
Inzwischen gehören solch exotische Methoden selbst am Hamburger Kiez der Vergangenheit an. St. Pauli ist seriös geworden. Benötigt der Kultclub Geld, so bemüht sein Management den Kapitalmarkt. Dort platzierte St. Pauli jüngst sehr erfolgreich eine Anleihe. Acht Millionen Euro wurden binnen kurzer Zeit in zwei Tranchen eingesammelt. Das Geld ist für den Umbau des Stadions und der Trainingsanlagen gedacht. Den Fans, die zum weitaus größten Teil ihre totenkopfverzierten Portemonnaies öffneten, winkt nun bis 2018 eine jährliche Verzinsung von 6 Prozent.
Andere Proficlubs können da schon neidisch werden. Die Lokalrivalen vom Hamburger Sportverein (HSV) etwa diskutieren das Thema derzeit öffentlich via örtlicher Presse. "Die Fan-Anleihe ist ein interessantes Instrument", stellte HSV-Boss Carl Jarchow vor wenigen Tagen im "Hamburger Abendblatt" fest. Zuvor hatte Ralf Bednarek, Chef der größten Fanorganisation des Vereins, eine solche Emission ins Gespräch gebracht.
Jüngstes Beispiel ist zudem der FC Schalke 04, der in dieser Woche bekanntgab, noch im ersten Halbjahr 2012 ein neues Papier auf den Markt zu bringen. Schon 2010 liehen Schalke-Fans ihrem Club auf ähnlichem Wege elf Millionen Euro.
Schalke will ans große Geld
Über das Volumen und den Zinscoupon der jetzt bevorstehenden Platzierung machen die Königsblauen zwar noch keine Angaben. Gut informierten Kreisen zufolge geht es diesmal jedoch um bis zu 50 Millionen Euro - ein Umfang also, der alles bislang in diesem Bereich da gewesene deutlich in den Schatten stellt.
Mit dem Geld will Schalke seinen Schuldenberg aber nicht vergrößern, etwa um neue Projekte zu starten oder Spieler zu kaufen. Geplant ist vielmehr eine Umfinanzierung: Alte Verbindlichkeiten werden durch neue ersetzt.
Zu dem Zweck, und das ist ein Novum, wendet sich der Verein mit seiner Offerte vor allem an institutionelle Investoren. Bisher galten Fußball-Anleihen - siehe die Beispiele aus Hamburg - in erster Linie als Geldanlage für Fans. Denn die können einen Verlust im Zweifel eher verschmerzen, immer in dem Bewusstsein, ihrem Club etwas Gutes zu tun.
Auf Schalke jedoch denkt man offensichtlich in anderen Kategorien. Die Anleihe soll an der Börse notiert werden, in Frankfurt, wie zu hören ist. Auch das gab es bislang noch nicht. Schalke wäre neben der Profisparte des Erzrivalen Borussia Dortmund, deren Aktien ebenfalls gelistet sind, erst der zweite Bundesligaverein mit einem Wertpapier im freien Handel. Die Aktionäre von Dortmund hatten bislang allerdings wenig Freude an ihrem Investment. Das Papier kam im Oktober 2000 zu elf Euro auf den Markt und kostet heute 2,35 Euro.
"Dass Schalke institutionelle Anleger erreicht, ist aufgrund der geplanten Börsennotierung durchaus möglich", sagt Markus Kern, der als Projektleiter bereits Emissionen der Königsblauen sowie die jüngste auf St. Pauli begleitet hat. "Denn ein liquider Handel und ein Rating sind für diese Investoren in der Regel Grundvoraussetzungen." Bei einer attraktiven Verzinsung traut der Experte dem Club eine erfolgreiche Emission daher durchaus zu. Für die meisten anderen Clubs komme ein solch großer Schritt aufgrund der anfallenden Emissionskosten jedoch kaum in Frage.
Otto Rehagel kennt das größte Anlagerisiko
Dabei sehen sich auch andere Vereine zunehmend gezwungen, den Kapitalmarkt anzuzapfen. Denn die Summen im Profifußball steigen von Jahr zu Jahr. So erzielten die 20 europäischen Topclubs nach einer Analyse der Wirtschaftsprüfungsgesellschaft Deloitte in der Saison 2010/11 ein Umsatzplus von 3 Prozent auf insgesamt 4,4 Milliarden Euro. Erst ein Jahr zuvor war erstmals die Vier-Milliarden-Euro-Grenze geknackt worden.
Vereine wie Real Madrid, der FC Barcelona oder Manchester United bringen es an der Spitze des Rankings jährlich auf dreistellige Millionenumsätze - häufen dabei allerdings ebenso gigantische Schuldenberge an.
Der erfolgreichste deutsche Verein dagegen folgt mit einem Umsatz von 321,4 Millionen Euro auf Platz vier - und ist zumindest wirtschaftlich so etwas wie der Musterknabe im internationalen Fußball: Der FC Bayern München ist seit Jahren schuldenfrei und profitabel. "Wir wirtschaften wie ordentliche Kaufleute", bringt es Pressesprecher Markus Hörwick mit Stolz in der Stimme auf den Punkt. "Wir geben nur Geld aus, das wir auch eingenommen haben." Den Gang an den Aktien- oder Anleihenmarkt brauchten die Bayern daher bislang nicht anzutreten. Den Münchenern stehen allerdings mit Audi und Adidas, die beide knapp 10 Prozent der Aktien halten, auch ohnedies potente Investoren zur Seite.
In solch komfortabler Lage befindet sich jedoch kaum ein anderer deutscher Verein. Zwar haben die hiesigen Proficlubs, vor allem jene in der ersten Liga, ihre wirtschaftliche Lage zuletzt verbessert. Das Eigenkapital (EK) der Vereine etwa stieg von 2008 bis 2011 laut "Bundesliga-Report 2012" von zusammen 430,2 Millionen auf 752,8 Millionen Euro, die Eigenkapitalquote erhöhte sich zuletzt um mehr als 10 Prozentpunkte auf 45,3 Prozent.
"Geld schießt keine Tore"
Erstmals übersteigt das EK inzwischen sogar die Gesamtschulden der Vereine. Die belaufen sich mit beinahe 700 Millionen Euro allerdings immer noch auf eine stattliche Summe. Und es gibt nach wie vor Einzelfälle wie den 1. FC Köln, deren finanzielle Situation dramatisch erscheint.
Im vergangenen Jahr waren die Kölner noch der erste Verein, dem es gelang, eine Anleihe vollständig zu tilgen. Die Zeichner erhielten ihre fünf Millionen Euro allerdings gerade noch rechtzeitig zurück. Denn nach dem Abstieg in die zweite Liga, den die Bayern mit ihrem 4 zu 1 am vergangenen Samstag besiegelten, liegt die Zukunft des mit kolportierten 30 Millionen Euro hochverschuldeten Clubs inzwischen im Ungewissen.
Dem Bundesliga-Report 2012 lässt sich indes auch die Höhe der Verbindlichkeiten entnehmen, die bei den Erstliga-Clubs auf Anleiheemissionen beruhen: Zum 30. Juni 2011 waren es genau 46,92 Millionen Euro.
Insgesamt neun Profivereine aus Liga eins und zwei, so berichtete zudem jüngst das Fachmagazin "Sponsors", haben in den vergangenen Jahren Anleihen platziert. Von ursprünglich geplanten beinahe 70 Millionen Euro kamen dabei insgesamt knapp 50 Millionen Euro zusammen, so das Blatt. Unter den Emittenten befinden sich namhafte Adressen, wie Hertha BSC Berlin, der 1. FC Nürnberg oder 1860 München. Der versprochene Zinssatz, so "Sponsors", lag im Schnitt bei 5,9 Prozent und damit deutlich über dem, was zurzeit mit Tagesgeld, Festgeld oder deutschen Staatsanleihen zu holen ist.
Allerdings sind auch die Risiken der Fußball-Papiere wesentlich größer. Das wirtschaftliche Wohl eines Vereins hängt unmittelbar mit dem sportlichen Erfolg zusammen - und der ist, wie viele Beispiele zeigen, auch mit großen Summe kaum planbar. Der Spruch "Geld schießt keine Tore" von Trainer-Altmeister Otto Rehhagel klingt wohl vielen noch im Ohr. Eindrucksvoll unter Beweis stellte das zuletzt der HSV. Die Hamburger kämpften bis kurz vor Saisonende gegen den Abstieg, obwohl sie im Deloitte-Umsatzranking der europäischen Topclubs immerhin auf Platz 18 geführt werden. In Deutschland erzielen nur die Bayern, Schalke und Borussia Dortmund höhere Erlöse.
Rendite kann fallen wie Robben am Strafraum
"Es muss beachtet werden, dass die Fan-Anleihen in der Regel nicht börsennotiert und damit kaum handelbar sind", gibt zudem Experte Kern möglichen Investoren mit auf den Weg. "Ein Verkauf vor Laufzeitende könnte damit schwierig werden." Das Ausfallrisiko hält er jedoch für geringer als es ein klassisches Finanzrating ausdrücken würde, da es im Fußball Interessengruppen gebe, die die Clubs am Leben hielten. "Dazu zählt auch die öffentliche Hand", sagt Kern. "Faktisch gab es in der 1. und 2. Liga noch keine Insolvenzen - auch dank des Lizensierungsverfahrens der Deutschen Fußball Liga."
Investmentprofis sind dennoch vorsichtig. "Im Ausland, in den USA etwa, sind viele Vereine breiter aufgestellt und eher vergleichbar mit mittelständischen Unternehmen", sagt etwa Allan Valentiner, Geschäftsführer beim Anleihespezialisten Johannes Führ Asset Management. "Sie erzielen also auch einen maßgeblichen Teil ihrer Umsätze mit TV-Aktivitäten, Merchandising und ähnlichem." Hierzulande, so der Experte, gibt es das bislang kaum - abgesehen vielleicht vom FC Bayern und wenigen anderen.
Investoren, die sich nicht zutrauen, die sportliche Entwicklung vorherzusehen, sollten laut Valentiner daher lieber die Finger von deutschen Fußball-Anleihen lassen. Es sei denn, sie wären Fans. "Dann kann ich das vollkommen verstehen", sagt der Fachmann, der sich selbst gerne die Spiele ansieht.
"Es gibt mehrere Erfolgsfaktoren", sagt selbst St.-Pauli-Geschäftsführer Michael Meeske, und zählt auf: "Einen klaren Investitionszweck, der zudem in hohem Maße Fan-Interessen entspricht, eine komfortable wirtschaftliche Situation des Vereins sowie eine effektive Kommunikation."
Kampf auf der "Alm"
Vor allem der Verwendungszweck des Geldes sollte Fachleuten zufolge klar definiert sein. Im Idealfall sind Sachwertinvestitionen geplant, beispielsweise ins Stadion. Gilt es dagegen lediglich die allgemeine sportliche Zukunft zu gestalten, so ist oft Vorsicht geboten. Denn wenn das Geld erst in Spielerkäufe fließt, kann der Gegenwert bekanntlich so schnell fallen, wie Arjen Robben an der Strafraumgrenze.
Wie ernst Investoren die Anlagerisiken nehmen sollten, zeigen einige Beispiele. Alemania Aachen etwa stand im vergangenen Jahr kurz vor der Pleite. Lediglich eine 5,5-Millionen-Euro-Bürgschaft der Stadt Aachen verhinderte das Schlimmste. Auch die Rückzahlung der 2008 zur Finanzierung des neuen Stadions herausgegebenen "Tivoli-Anleihe" konnte nur auf diese Weise abgesichert werden.
Spitz auf Knopf stand es auch bei Arminia Bielefeld. 2006 legte der Verein ein Fünf-Millionen-Euro-Papier mit 7,5 Prozent Verzinsung auf, um das Stadion, die legendäre Bielefelder "Alm", umbauen zu können. Fünf Jahre später, pünktlich zur Rückzahlung der Schulden, war aus dem ambitionierten Bundesligaverein ein horrend verschuldeter Drittligist geworden, mit der unschönen Aussicht, sich schon bald in Richtung Regionalliga zu verabschieden.
Ein neues "Retter"-Shirt für Uli Hoeneß?
Die Pleite der Arminen verhinderten im Herbst 2011 lediglich deren Fans, die einen Großteil der fälligen Summe stundeten und zudem gleich noch ein neues Papier zeichneten. Manche verzichteten sogar komplett auf ihre Forderungen. Und ob der Rest jemals etwas von seinem Geld wiedersieht, erscheint im Moment so ungewiss wie der Ausgang des DFB-Pokalfinales am kommenden Samstag zwischen Dortmund und Bayern.
So etwas ist wohl nur möglich, wenn wirklich Herzblut im Spiel ist. Das gilt auch für die Rettung von Hansa Rostock. Noch 2011 versprach der Ostverein den Zeichnern der "Hansa Fan-Anleihe" einen 2-Prozentpunkte-Bonus, falls die Mannschaft in die erste Liga aufsteigen sollte. Davon ist inzwischen jedoch bekanntlich keine Rede mehr. Das Team spielt in der kommenden Saison in Liga drei, und das auch nur, weil es wohl gelungen ist, die Pleite des mit 8,5 Millionen Euro Miesen belasteten Vereins abzuwenden. Am gestrigen Mittwochabend stimmte die Rostocker Bürgerschaft dem Rettungspaket zu, das dem Club das Überleben vorerst sichern dürfte.
Ohnehin ist bei der Hansa-Anleihe das Kind noch nicht ganz in den Brunnen gefallen, denn viele Anleger wären von einem Ausfall noch nicht betroffen. Von den angepeilten fünf Millionen Euro hat Rostock erst rund 400.000 eingesammelt. Viel mehr dürfte es angesichts der prekären Lage wohl auch kaum werden. Vielleicht sollte der Verein allmählich über den Verkauf von "Retter"-T-Shirts nachdenken. Ein Benefizspiel jedenfalls hat Bayern-Grande Hoeneß schon in Aussicht gestellt.
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