Bundestagswahl 2009 Das staatlich geförderte Rentenloch
Hamburg - Rund zwölf Millionen Riester-Verträge gibt es in Deutschland. Für sie gab der Staat allein 2008 zwei Milliarden Euro aus. Doch die Folgen der Finanzkrise drohen dieses Gefüge ins Wanken zu bringen. Und der Staat tut nichts, wiewohl die Bedrohung offensichtlich ist.
"Im Moment spielt die Rentendiskussion eine eher untergeordnete Rolle", diagnostiziert Monika Queisser, Leiterin der Abteilung Sozialpolitik der Organisation für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung (OECD). "Die kurzfristigen Probleme wie Arbeitslosigkeit, Finanzmarktrisiken und die unmittelbaren Wege aus der Krise stehen jetzt im Vordergrund."
Doch genau diese Probleme schlagen auch auf die Altersvorsorge durch. Zum Beispiel die demografische Entwicklung. "In Deutschland beginnt gerade die Zeit, bei der mehr Menschen aufgrund ihres Alters in den Ruhestand gehen als junge neu ins Erwerbsleben nachrücken", sagt Brigitte Miksa, die den Bereich "International Pensions" bei Allianz Global Investors verantwortet. "Die wirtschaftliche Krise verdeckt derzeit die Tatsache, dass wir schon in naher Zukunft einem demografiebedingten Arbeitskräftemangel entgegensehen müssen."
Aber auch die Arbeitslosigkeit ist es, die das System Riester bedroht. Denn ebenso wie die staatliche Rente lebt die Riester-Rente von den stetigen Einzahlungen von Arbeitnehmern. Anders gesagt - wer einen Arbeitsplatz hat, kann riestern und Punkte bei der staatlichen Rente sammeln. Wer seinen Job verliert, kann genau das nicht mehr. Er kann oder will seine Beiträge zur Riester-Versicherung nicht mehr zahlen und wird den Vertrag in der Regel beitragsfrei stellen. Er muss also nichts zahlen, allerdings steigen seine Anwartschaften auch nicht weiter an.
Unter der Entwicklung leiden auch das staatliche Rentensystem und jeder einzelne Empfänger. "Es entsteht automatisch eine Rentenlücke, die er bei einer durchgängigen Erwerbstätigkeit nicht hätte", erklärt Miksa. "Kurzfristig sind solche Lücken durchaus aufzufangen, können sie doch bei einer anziehenden Konjunktur bei dann wieder steigenden Beiträgen ausgeglichen werden. Mittel- oder langfristig sind allerdings andere Maßnahmen zu treffen - höhere staatliche Zuschüsse, höhere Beiträge der übrigen Beitragszahler oder Senkung des Rentenniveaus."
"Gefahr sehr geringer Renteneinkommen"
Alles müßige Gedankenspiele? Nein. Denn der Verlust des Arbeitsplatzes ist ein Szenario, das durchaus wahrscheinlich ist. Bereits jetzt gibt es in Deutschland vier Millionen Arbeitslose. Und die Zahl wird steigen. Wie hoch, darüber streiten die Experten noch.
Das Nürnberger Institut für Arbeitsmarkt- und Berufsforschung (IAB) zum Beispiel glaubt daran, dass es 2010 in etwa 4,1 Millionen Arbeitslose geben wird. Kein Wunder, denn unter anderem läuft die Kurzarbeit aus. Allein Bosch will bis zu 10.000 Stellen streichen. Und das verarbeitende Gewerbe insgesamt hat im Juli so viele Beschäftigte wie seit zwölf Jahren nicht mehr verloren, hat heute das Statistische Bundesamt bekannt gegegeben. Keine gute Aussicht also für die Rente, sei es Riester oder die des Staats.
Der Staat selbst gibt sich lakonisch: "Vor dem Hintergrund der Leistungskürzungen in der gesetzlichen Rentenversicherung und in der Beamtenversorgung sollten möglichst alle davon Betroffenen zur Sicherung ihres Lebensstandards im Alter zusätzliche Altersvorsorge betreiben. Welchen Weg sie dabei wählen, ist den Beschäftigten grundsätzlich selbst überlassen", heißt es auf Anfrage. "Doch schon heute nehmen noch nicht genügend Arbeitnehmer am Riester-Programm teil und laufen damit Gefahr, sehr geringe Renteneinkommen zu bekommen", sagt Miksa. Das Rentenloch wird also weiter wachsen.
Die OECD hat einmal nachgerechnet, wie aktiv der Einzelne werden müsste, um das Loch zu stopfen. "Für Deutschland kommen wir zu folgendem Ergebnis: Wer mit 20 anfängt zu sparen und das bis 65 durchhält, muss ungefähr 5 Prozent seines Einkommens zur Seite legen, um in der Rente den OECD-Durchschnittswert von knapp 60 Prozent des vorigen Einkommens zu erreichen", erklärt Queisser.
"Wer allerdings die ersten zehn Jahre versäumt - und das passiert schnell, weil man erstens weniger Geld zur Verfügung und auch andere Prioritäten haben mag - muss schon rund 7 Prozent sparen, und wer erst mit 40 beginnt, muss ganze 10 Prozent des Einkommens sparen." Kein Wunder, dass Ifo-Chef Hans-Werner Sinn bereits 2006 forderte, Riester zur staatsbürgerlichen Pflicht zu erklären.
Ministerium will nicht drauflegen
Abseits einer Pflicht bliebe nur die Erhöhung der Förderung. Doch der finanzielle Spielraum des Staats dürfte durch die Finanzkrise bereits jetzt nahezu ausgeschöpft sein. Und es kommt noch härter.
So hat der Europäische Gerichtshof erst im September dieses Jahres entschieden, dass Riester-Sparer ihr angespartes Kapital auch für den Kauf von Immobilien im Ausland nutzen dürfen. Wer das bislang machte, hatte sein Geld einer "schädlichen Verwendung" zugeführt, so der Paragraf 93 des Einkommensteuergesetzes. Mit der Folge, dass er die Förderung zurückerstatten musste. Das ist nun anders. Dem Staat bleibt damit unter dem Strich für die bislang abgeschlossenen Riester-Rentenverträge ein Minus von 470 Millionen Euro, rechnet das Centrum für Europäische Politik (CEP) vor. Viel Luft bleibt da nicht.
"Eine Erhöhung der Riester-Förderung - Zulagen wie Sonderausgabenabzug - ist vor dem Hintergrund, dass die letzte Förderstufe erst 2008 erreicht wurde, zuletzt die Kinderzulage für neugeborene Kinder kräftig auf 300 Euro angehoben und ein Berufseinsteigerbonus von 200 Euro eingeführt wurde, derzeit ebenfalls nicht aktuell", erklärt das Bundesministerium für Arbeit und Soziales auf Anfrage von manager-magazin.de.
Abgesehen davon - wissenschaftliche Erhebungen wie eine Studie der Universität Bonn aus dem Jahr 2007 lassen zumindest Zweifel daran aufkommen, ob die schiere Förderung der richtige Weg ist. Die Studie spricht von erheblichen Mitnahmeeffekten und von dem Anreiz, "nicht subventionierte gegen subventionierte Anlageformen zu substituieren."
Eines hat Deutschland mit der Riester-Rente immerhin geschafft, gibt Queisser zu bedenken, "was viele Länder noch nicht erreicht haben, nämlich die große Beteiligung gerade unterer Einkommensgruppen am Alterssparen. Insofern hat die Praxis direkte Zuschüsse anstelle von Steuererleichterungen zu einer erhöhten Altersvorsorge geführt."
Und weiter: "Im Prinzip kann man sagen, dass Riester-Sparen durchaus geeignet ist, die Absenkung des Rentenniveaus auszugleichen", sagt Miksa. Und Monika Queisser fügt hinzu: "Ermutigend finde ich, dass wir bisher noch keine großangelegten Frühverrentungsprogramme und Ähnliches gesehen haben, was in früheren Krisen als Maßnahme eingesetzt wurde. Insofern scheint das Bewusstsein für die längerfristigen Herausforderungen nicht verloren gegangen zu sein."
Den Betroffenen bleibt derweil nur eines in den Augen der Fachleute: "Die Arbeitnehmer müssen direkt beginnen, solche Verträge zu besparen", so Miksa. "Und das ist mitunter ein Problem, denn oft ist das den Arbeitnehmern nicht bewusst."
Ob Zwang, Köder oder Freiwilligkeit, "letztlich ist es eine politische Entscheidung, ob und in welcher Höhe der Staat die Lücke in der gesetzlichen Rente schließen will", sagt Thiemo Jeck vom CEP. "Die Entscheidung zur Rentengarantie kann jedoch als Signal verstanden werden, dass von staatlicher Seite durchaus eine Bereitschaft besteht, auch hohe Summen zur Förderung der Rente - auch der privaten Vorsorge - aufzubringen." Um so irritierender ist es, dass die Politik gerade im Wahlkampf schweigt. Oder um so bezeichnender?
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