Geschäfte im Graumarkt Wie der TÜV die Kapitalanleger narrt
Hamburg - Millionen Menschen vertrauen dem TÜV. Sei es das GS-Zeichen auf Sportgeräten und Kinderspielzeug, die CE-Kennzeichnung für den Güterverkehr in Europa oder die unverzichtbare Plakette am Auto - was der Technische Überwachungsverein abgesegnet hat, ist in Ordnung, so die gängige Meinung.
Was allerdings nicht alle wissen: Seit einiger Zeit zertifiziert der TÜV - genauer: der TÜV Nord - auch Kapitalanlageprodukte. Beinahe ein Dutzend Anbieter haben bereits TÜV-Urteile zu ihren Offerten (meist geschlossene Fonds) publik gemacht. Die Ergebnisse können sich durchweg sehen lassen. Nur die Noten "gut", "sehr gut" und "ausgezeichnet" wurden veröffentlicht.
Die Anbieter der Fonds und ihre Vertriebsleute können also zufrieden sein. Und auch die Anleger müssten profitieren. Eine glaubwürdige Instanz wie der TÜV im grauen Kapitalmarkt - das kann doch nur von Vorteil sein.
Ob das tatsächlich auch so ist, ist aber fraglich. Vielmehr sind die TÜV-Analysen offenbar nur mit Vorsicht zu genießen - und zwar nicht nur für Anleger, sondern auch für Finanzberater, die sie bei ihren Verkaufsgesprächen einsetzen. Und wenn der TÜV nicht aufpasst, kann ihn sein Treiben zudem noch teuer zu stehen kommen. Die Gefahr, die darüber schwebt, nennt sich Haftungsfalle. Eventuelle Schadensersatzforderungen können dabei schnell in die Millionen gehen.
Problematisch ist schon das Geschäftsmodell, das der TÜV gewählt hat. Fondsanbieter können die Analysen gegen Honorar in Auftrag geben. Ob sie das Ergebnis letztlich auch veröffentlichen, bleibt ihnen überlassen. Passt es ihnen nicht, wandert es in die Schublade oder gleich in den Papierkorb.
Das Prinzip ist nicht neu. Andere am grauen Markt verdienen schon lange Geld auf diese Weise. Sie schreiben meist positive Fondsurteile, die die Emittenten dann ihren Vertriebsleuten mit auf den Weg geben. Die so genannten Ratings landen so auf den Wohnzimmertischen der Anleger. Aus einem simplen Marketinginstrument wird in den Augen der ahnungslosen Investoren dann schnell die wertvolle Einschätzung eines unabhängigen Dritten.
In diesem Gewerbe mischt nun also auch der TÜV mit. Und wer würde sich besser für die Rolle des glaubwürdigen Ratgebers eignen, als der angesehene Prüfverein. Rund 30.000 Euro kostet Anlageanbieter nach Informationen von manager-magazin.de das "Zertifizierungsverfahren TÜV geprüfte Fondsplausibilität".
Was dabei herauskommt, ist Branchenbeobachtern schon länger ein Grund zum Naserümpfen. Ein aktuelles Gutachten, das der Finanzberaterverband AfW - Bundesverband Finanzdienstleistung in Auftrag gegeben hat, und das manager-magazin.de exklusiv vorliegt, zeigt jetzt, woran es bei den TÜV-Aktivitäten offensichtlich hapert.
Ein Prüfverfahren, das schwere Fehler enthält
Das Gutachten, das der Fachautor und Fondsexperte Werner Siepe für den AfW verfasst hat, kommt zu einem verheerenden Ergebnis. Der TÜV (oder die von ihm beauftragte Firma Mesotron Commerz GmbH) habe "ein Prüfverfahren entwickelt, das schwere Fehler enthält", steht in der Zusammenfassung. Weder die Gesamtnoten noch die Einzelnoten der TÜV-Zertifizierung seien nachvollziehbar. "Insgesamt sind die TÜV-Noten deutlich geschönt und führen potenzielle Anleger in die Irre", so das Fazit.
Anhaltspunkte für die Vorwürfe finden sich im Gutachten, aber auch jenseits davon. Beispiel "Renditefonds 6" vom Emissionshaus SHB Innovative Fondskonzepte AG. Die Fonds von SHB "sehen so viele Komponenten vor, dass kaum jemand genau durchblickt", schrieb einmal das Fachblatt "Immobilienzeitung". Und auch der TÜV kommt in der Zusammenfassung seines Prüfberichts zu dem Schluss, ein Anleger habe "Schwierigkeiten in der Verständlichkeit der Ausführungen". Zur Entscheidungsfindung benötige der Investor daher "Unterstützung von dritter Seite".
So weit stimmt es also mit dem Realitätsbezug. Eigenartig nur, dass an der Stelle, wo im Prüfbericht die Anlegerverständlichkeit des Fonds bewertet wird, von solchen Vorbehalten keine Rede ist. "Die Ausführungen sind jedem interessierten Anleger verständlich", steht da. Mit der Gewichtung "sehr stark" fließt letztlich die Note "sehr gut" aus diesem Abschnitt in die Gesamtnote für den Fonds (ebenfalls ein "sehr gut") ein.
Die fragwürdige Beurteilung weicher Faktoren wie der Qualität des Managements oder der Fondskonzepte ist aber nur das eine. Unstimmigkeiten bei der Würdigung harter Fakten das andere.
"Der TÜV beziehungsweise die von ihm beauftragten Prüfer rechnen doppelt falsch", behauptet Gutachter Siepe. "Es gibt Fonds, die in der Bewertung schlechter abschneiden als andere, letztlich aber bessere Gesamtnoten bekommen." Ein Beispiel sei der "Capital Garant Ratenfonds" aus Neubiberg bei München. Der Fonds hat nach Siepes Angaben in der TÜV-Feinbewertung zwar weniger Punkte erhalten als etwa ein Fonds der DSS Vermögensverwaltungs AG, ebenfalls München. Er wird aber in der Gesamtschau besser beurteilt.
Siepes zweiter Vorwurf: "Die gesamte vom TÜV verwendete Formel, der so genannte Bewertungsindex, mit dem die Einzelergebnisse aus verschiedenen Prüffeldern letztlich zur Gesamtnote verdichtet werden, ist mathematisch falsch." Es handele sich um eine Formel aus der universitären Mathematik. "Für die Berechnung von durchschnittlichen Gesamtnoten ist die überhaupt nicht geeignet", sagt Finanzmathematiker Siepe, der nach eigenen Angaben als Handelslehrer über drei Jahrzehnte lang das Fach Mathematik unterrichtet hat.
Dem Finanzvertrieb droht die ultimative Gefahr überhaupt
Vom TÜV war zu den Vorwürfen auf Anfrage keine Stellungnahme zu bekommen. Dass das kritische Gutachten ausgerechnet im Namen des AfW erscheint, ist indes nicht ohne. Mit rund 1300 Mitgliedsunternehmen und etwa 30.000 freien Finanzberatern in seinen Reihen ist der Verband wohl die größte Lobbyorganisation für Finanzvertriebler in Deutschland.
Damit wendet sich ausgerechnet jene Berufsgruppe gegen den TÜV, deren Arbeit der Prüfverein angeblich unterstützen will. Die Prüfer schreiben auf der eigenen Website, sie gäben Finanzdienstleistern "ein starkes Marketingargument an die Hand, das ihnen die Kundenberatung erleichtert und ihren Auftritt bei den Endkunden verbessert." Von 500 befragten Vertriebsmitarbeitern seien mehr als 80 Prozent überzeugt, die Plausibilität eines Fonds mit einem TÜV-Zertifikat beim Kunden leichter darstellen zu können, heißt es weiter.
Die Realität sieht aber wohl anders aus. Anlageberater, die die TÜV-Gutachten tatsächlich im Verkauf einsetzen, begeben sich damit möglicherweise auf sehr dünnes Eis. Was ihnen droht ist nicht weniger als die ultimative Gefahr im Finanzvertrieb überhaupt: die Haftungsfalle. "Der Bundesgerichtshof hat Finanzberatern auferlegt, dass sie Anlageangebote rechtlich, steuerlich und wirtschaftlich auf Plausibilität prüfen müssen, bevor sie sie verkaufen", erläutert Johannes Fiala, Anwalt und Fachmann für Kapitalanlagerecht. "Tun sie dies nicht, so laufen sie Gefahr, später für eventuelle Verluste haftbar gemacht zu werden."
Die vom BGH geforderte Plausibilitätsprüfung, mit der sich der Berater davor absichern kann, kann das TÜV-Gutachten laut Fiala nicht ersetzen.
Der AfW hat diese Gefahr erkannt. Norman Wirth, Berliner Rechtsanwalt und Vorstand des Beraterverbandes, verweist zudem auf eine ohnehin längst etablierte Praxis der Fondsbegutachtung. "Das Maß aller Dinge bei der Prospektprüfung ist der IDW S4, der Prüfstandard der Wirtschaftsprüfer also", sagt Wirth. "Der TÜV rückt mit seinen Aktivitäten in Konkurrenz dazu, bleibt inhaltlich aber weit dahinter zurück." Anleger und Vermittler bekommen nach Ansicht des Experten dadurch ein trügerisches Gefühl von Sicherheit. "Das vorliegende Gutachten ist jedenfalls eindeutiger Beleg dafür, dass ein Finanz-TÜV durch den TÜV nicht zielführend ist", sagt Wirth.
Zum Hintergrund: Die im Institut der Wirtschaftsprüfer (IDW) organisierten Revisoren begutachten Emissionsprospekte seit Jahren nach dem selbst entwickelten Standard IDW S4. Schätzungsweise 70 bis 80 Prozent aller geschlossenen Fonds, die in Deutschland vertrieben werden, durchlaufen diesen Prospektcheck. Dabei werden sowohl die wirtschaftlichen als auch die rechtlichen und steuerlichen Aspekte einer Beteiligungsofferte gründlich durchleuchtet. "Wurde ein IDW S4-Gutachten für einen Fonds erstellt, so sind weitere Prüfgutachten eigentlich überflüssig", sagt Wolfgang Kemsat, selbst Wirtschaftsprüfer und Leiter des entsprechenden Arbeitskreises beim IDW.
"Der TÜV kann in Haftung genommen werden"
Für die Initiatoren hat die Sache allerdings einen Haken. Die Wirtschaftsprüfer vergeben nicht nur keine werbewirksamen Noten für die Produkte. Die Anbieter dürfen vielmehr mit den Wirtschaftsprüfergutachten gar nicht werben. Tatsächlich dürfen sie gegenüber Anlegern nicht einmal die Existenz der Testate erwähnen. Institutionen wie der TÜV, deren Prüfergebnisse für die Vermarktung geradezu gemacht sind, laufen bei Fondsanbietern daher offene Türen ein.
Der entscheidende Punkt ist aber: Die Wirtschaftsprüfer haben gute Gründe für ihre Zurückhaltung. Auch sie fürchten sich vor der Haftungsfalle, in die sie geraten könnten, wenn Anleger Schadenersatzforderungen nicht nur gegen Initiatoren oder deren Vertriebsleute richten, sondern auch gegen die Gutachter. Aktuelle Beispiele aus den USA, wo Investoren Klagen gegen Moody's, Standard & Poor's und andere Agenturen eingereicht haben, belegen die Relevanz dieses Themas.
Die IDW-Prüfer grenzen ihr Haftungsrisiko daher ein. Nur wer dieser Begrenzung vorher per Unterschrift zustimmt, darf eines ihrer Gutachten einsehen. Nach Angaben von Wirtschaftsprüfer Kemsat bewegt sich der Anteil der Investoren, die davon Gebrauch machen, allerdings "im Promillebereich".
Experten sehen den Prüfverein in der Haftungsgefahr
Anders läuft es beim TÜV. Dessen Stempel drucken die Initiatoren gern recht groß in ihre Verkaufsbroschüren. Und im Internet ploppt das TÜV-Siegel oft schon auf der Startseite der Emissionshäuser hoch.
Und prompt: Experten schließen nicht aus, dass sich der Prüfverein in die Haftungsgefahr begibt. Das aktuelle Siepe/AfW-Gutachten lässt zudem erahnen, wie groß dieses Risiko offenbar ist. Zur Erinnerung: Bei Anlageprozessen gehen die Ansprüche schnell in den höheren Millionen-Euro-Bereich.
"Nach der BGH-Rechtssprechung kann eine Institution wie der TÜV eindeutig in Haftung genommen werden, wenn sich ihre Analyseergebnisse als fehlerhaft erweisen und Anlegern daraus später Schaden entsteht", sagt etwa IDW-Experte Kemsat.
"Es gibt zahlreiche juristische Ansätze, die dafür sprechen", meint auch Anwalt Fiala. Nach seiner Ansicht dienen so genannte Ratings wie jene des TÜV vor allem dazu, die Kritik der Anleger und Vermittler zu reduzieren. "Damit geraten Agenturen wie der TÜV in eine Haftung", sagt der Experte. "Man kann sogar der Meinung sein, dass solche Prospektprüfungen nicht dem Standard des IDW S4 entsprechen und daher unlauter sind." Der TÜV äußerte sich dazu auf Anfrage von manager-magazin.de ebenfalls nicht.
Für Anleger irreführend, für Vertriebsleute und den TÜV selbst brandgefährlich - das Fazit scheint klar: Dieses noch junge Geschäftsfeld des TÜV ist ein höchst zweifelhaftes. Der Prüfverein selbst schreibt auf seiner Website, besonderer Vorteil einer Zertifizierung sei das hohe Ansehen des TÜV in der Öffentlichkeit und die Glaubwürdigkeit im In- und Ausland. Es stellt sich die Frage, wie lange das noch so bleibt.