Schufa Die unheimliche Macht der Datendealer
Hamburg - Harald Siegling (Name von der Redaktion geändert) staunte nicht schlecht, als er bei seinem Autohändler saß, um die Finanzierung eines neuen Mittelklassewagens durchzusprechen. Leasing? Nicht mit dieser Schufa-Auskunft, so der Verkäufer achselzuckend. Da sei leider nichts zu machen.
Unmöglich, sagte sich Siegling, der seit Jahren in fester Anstellung im öffentlichen Dienst arbeitet und finanziell auf soliden Beinen steht. Seine Recherche brachte schnell Aufklärung: Eine simple Verwechslung. Der, dessen Informationen die Schufa verschickt hatte, hieß zwar ebenfalls Harald Siegling. Sein Geburtsdatum war aber ein anderes - und seine Bonität offenbar deutlich weniger positiv einzuschätzen, als die des "richtigen" Siegling.
Was in diesem Fall noch recht glimpflich ausging, bereitet anderswo mitunter erhebliche Probleme. Der neue Handyvertrag, die Onlinebestellung eines Flachbildfernsehers, die Baufinanzierung - in Deutschland geht scheinbar nichts mehr, ohne dass zuvor die Schufa um Auskunft gebeten wird. Selbst wer eine Wohnung mieten will, muss schon damit rechnen, dass ein Schufa-Bescheid den Vertragsabschluss vereitelt.
4500 Unternehmen sind der "Schutzgemeinschaft für allgemeine Kreditsicherung" inzwischen angeschlossen. Deren Kreis ist längst nicht mehr auf das eigentliche Kreditgewerbe beschränkt. Mobilfunkanbieter gehören ebenso selbstverständlich zu den Schufa-Nutzern wie Versandhäuser und Onlinehändler. Die Auskunftei mit Hauptsitz in Wiesbaden bildet das Herzstück eines Informationsnetzwerks, das die deutsche Wirtschaft quer über alle Branchengrenzen hinweg verbindet. Selbst Wohnungsgesellschaften und Handwerkskammern sind schon dabei - und mit der Assekuranz kreist eine weitere millionenschwere Branche bereits in der Warteschleife.
Immer mehr Wirtschaftszweige erkennen den Reiz des Geschäftsmodells: Die teilnehmenden Firmen versorgen sich bei der Schufa mit Informationen über die Kreditwürdigkeit potenzieller Kunden - und stellen der Zweckgemeinschaft diese Daten im Gegenzug auch zur Verfügung. Nach eigenen Angaben hat die Schufa auf diese Weise inzwischen 433 Millionen Datensätze zu etwa 65 Millionen Personen zusammengetragen - zu praktisch allen über 18-Jährigen hierzulande hat die 1927 gegründete Gesellschaft also etwas archiviert.
Aber was? "Neben den personenbezogenen Daten wie dem Namen, dem Geburtsdatum und der aktuellen sowie etwaigen vorherigen Anschriften speichern wir Informationen zu Kreditgeschäften", sagt eine Schufa-Sprecherin gegenüber manager-magazin.de. Konten beispielsweise, die jemand bei Geldinstituten oder Handelshäusern führt, werden ebenso registriert, wie Kreditkarten-, Darlehens- oder Handyverträge. Mit anderen Worten: Jede Information, die möglicherweise darauf schließen lässt, wie zuverlässig eine Person in Bezug auf die Begleichung einmal gewährter Kredite oder Vorleistungen ist, ist relevant - und wird gespeichert.
Die Schufa nennt keine Fehlerquote
Die Schufa nennt keine Fehlerquote
"Nicht bekannt sind dagegen beispielsweise die Einkommenssituation oder die Vermögenslage", sagt die Schufa-Sprecherin. "Ratenkredite bleiben noch drei Jahre nach Tilgung der letzten Rate gespeichert. Dauerhafte Vertragsbeziehungen wie ein Girokonto oder eine Kreditkarte bleiben solange gespeichert, wie sie bestehen. Um gelöscht zu werden, muss allerdings das beteiligte Unternehmen die Auflösung melden."
Klare Regeln, größtmögliche Transparenz - so erscheint die Schufa auf den ersten Blick. Auch der Hinweis, dass das Unternehmen bei seiner Tätigkeit vom Regierungspräsidium Darmstadt amtlich überwacht wird, passt ins Bild. Hinzu kommt: Wer wissen möchte, was die Schufa über ihn gesammelt hat, kann sich eine "Eigenauskunft" erstellen lassen. Die Auflistung kostet derzeit noch 7,80 Euro, soll aber nach dem Willen des Bundesinnenministeriums künftig einmal jährlich kostenlos sein.
Die Schufa-Welt, eine heile Welt also? Nicht ganz. So reibungslos, wie es scheint, läuft die Maschinerie des Datenhandels nicht. Verbraucherschützer in ganz Deutschland können ein Lied davon singen: Der Handyanbieter, der eine noch strittige Forderung regelwidrig an die Schufa meldet, der längst ausgelaufene Kreditkartenvertrag, der noch nicht aus dem Bestand gelöscht wurde, Namensverwechslungen wie jene von Harald Siegling - in unschöner Regelmäßigkeit treten solche teils banalen Fehler auf - und machen Tausenden Menschen landauf, landab das Leben schwer.
"Berechtigtes Interesse zweifelhaft"
Zuletzt sorgte Anfang dieses Jahres "FINANZtest" für Schlagzeilen. Die Zeitschrift hatte aufgedeckt, dass die Mehrheit der Bankberater offenbar regelmäßig Fehler bei der Abfrage von Informationen bei der Schufa macht. Anstatt eine Anfrage nach "Kreditkonditionen" an die Auskunftei zu richten, wenden sich viele Berater - bewusst oder unbewusst - mit einer dezidierten "Kreditanfrage" dorthin. Kleiner Unterschied, große Wirkung: Folgt auf Letztere kein Darlehensabschluss, wird dies bei der Schufa negativ vermerkt - und sorgt bei einer weiteren Kreditanfrage des Kunden bei einer anderen Bank für schlechtere Konditionen.
Die Schufa selbst macht zur Fehlerquote bei ihrer Arbeit und der ihrer Mitgliedsunternehmen keine Angaben. Man sei aber selbstverständlich stets bemüht, Fehler zu vermeiden, so die Sprecherin. Ganz ausschließen ließen sie sich jedoch naturgemäß nicht. Immerhin: Die Korrektur erkannter Ungereimtheiten kostet zwar in der Regel etwas Zeit, erfolgt jedoch meist ohne Probleme.
Das Scoring erhitzt die Gemüter
Scoring erhitzt die Gemüter
Damit aber nicht genug: Verbraucher- und Datenschützer äußern immer wieder grundlegende Kritik an der Schufa und ihrem Umgang mit dem massenhaften Aufkommen an personenbezogenen Informationen. Der Bundesbeauftragte für den Datenschutz, Peter Schaar, etwa, beklagt auf seiner Internetseite, dass immer mehr Unternehmensgruppen als Partner aufgenommen werden, deren "berechtigtes Interesse an den Schufa-Daten zweifelhaft ist, da sie keine typischen Kreditrisiken zu tragen haben." Als Beispiele nennt Schaar die Wohnungswirtschaft, die Handwerker, den Inkassobereich und die Assekuranzen.
"Hinsichtlich der Wohnungswirtschaft halte ich es für sehr bedenklich, dass ein bei der Schufa anfragender Vermieter dort nicht nur Auskünfte über nichtvertragsgemäßes Verhalten des Betroffenen bezogen auf andere oder frühere Mietverhältnisse erhält", schreibt Schaar. "Vielmehr bekommt er Auskünfte über jegliches nichtvertragsgemäße Verhalten des betreffenden Mietinteressenten."
Tatsächlich, so bestätigt die Schufa-Sprecherin, haben gewerblich tätige Wohnungsgesellschaften, die mehr als 100 Einheiten vermieten, die Möglichkeit, am Datenaustausch mit der Schufa teilzunehmen. Auf Anfrage erhalten sie die sogenannte Auskunft für Nichtbanken, eine abgespeckte Informationsweitergabe durch die Schufa, in der ausschließlich Negativmerkmale enthalten sind. Die Schufa-Sprecherin bestätigt allerdings ebenfalls, dass dabei branchenübergreifende negative Informationen mitgeteilt werden.
Kaum jemand weiß, wie die Scoring-Werte entstehen
Das Szenario, dass jemand als Mieter abgelehnt wird, weil er zum Beispiel seine Handyrechnung nicht rechtzeitig bezahlt hat, ist demnach durchaus realistisch. "Bei den heute ohnehin schwierigen Verhältnissen auf dem Wohnungsmarkt und dem hohen Wert des Gutes 'Wohnung' ein inakzeptables Ergebnis", meint Datenschützer Schaar. Auch gegen den möglichen Anschluss der Versicherungsbranche richtet sich seine Kritik: "Versicherungen können bei Nichtzahlung der Versicherungsprämie den Vertrag kündigen mit der Folge, dass dadurch der Versicherungsschutz erlischt", schreibt er. Ein Kreditrisiko sei für die Branche in der Regel nicht gegeben.
Mehr noch als um die Frage, an wen die Schufa ihre Informationen weitergibt, dreht sich die Kritik vielfach jedoch darum, in welcher Form dies geschieht. Das Stichwort, an dem sich die Gemüter dabei erhitzen, lautet Scoring. Gemeint ist jene mathematisch-statistische Methode, mit der Kreditgeber die Masse an verfügbaren Informationen zu einem potenziellen Kunden zu einem einzigen Wert - dem "Scorewert" - verdichten. Dieser soll anzeigen, wie wahrscheinlich es ist, dass ein Kredit auch tatsächlich zurückgezahlt wird.
Sind Postler mehr wert als Makler?
Ist der Postler mehr wert als die Maklerin?
Dieses Scoring ist bei zahlreichen Unternehmen in Handel und Kreditgeschäft längst gang und gäbe. Bei Informationshändlern wie der Schufa gehört es erst recht zum täglichen Geschäft. Die Wiesbadener Auskunftei etwa erstellt neben dem persönlichen Scorewert, den jedermann auf seiner Eigenauskunft wiederfindet (Maximalwert 100), auch sogenannte Branchen-Scores, individuell etwa für Banken oder Telekommunikationsdienstleister.
Banken und andere Kreditgeber wiederum nutzen Score-Werte heute beispielsweise zur exakten Justierung von Kreditkonditionen. Das Problem ist jedoch: Kaum jemand weiß, wie diese wichtigen Entscheidungshilfen eigentlich zustande kommen. Die Schufa etwa hütet ihre Kalkulation ebenso wie die exakte Aufstellung und Gewichtung aller einfließenden Informationen wie andere Unternehmen auch als Geschäftsgeheimnis.
So kommt es, dass etwa ein Postbeamter einen besseren Schufa-Score haben kann als ein Verwaltungsfachangestellter, der wiederum besser dasteht als die Abteilungsleiterin eines Callcenters oder eine fest angestellte Immobilienmaklerin - und kaum jemand kann erklären, warum das so ist. Es ist ein offenes Geheimnis, dass neben vermeintlich vernünftigen Einflussgrößen wie etwa Kontoinformationen und vergangenen Darlehensverträgen mitunter auch zweifelhafte Daten in das Scoring einfließen.
Heftig diskutiert wird etwa, ob die bloße Kenntnis darüber, in welcher Gegend jemand lebt, Rückschlüsse auf dessen Zuverlässigkeit in Gelddingen zulässt. Kritiker bezweifeln das. Zumindest für die Schufa betont die Sprecherin, dass das Unternehmen nicht über Informationen zur Wohngegend oder auch zur Religion verfügt und diese auch nicht in das Scoring einfließen.
"Die Prognosefähigkeit von Score-Werten ist nicht belegt", nennt der Scoring-Experte Dieter Korczak jedoch ein aus seiner Sicht weiteres wesentliches Manko. "Es handelt sich lediglich um die Ergebnisse mathematischer Berechnungen, die in keinem nachgewiesenen Zusammenhang mit dem tatsächlichen Verhalten stehen." Als Leiter der Münchener GP Forschungsgruppe hat Korczak kürzlich im Auftrag des Verbraucherzentrale Bundesverbands (VZBV) ein Gutachten über den Umgang der Banken mit Scoring-Werten erstellt. Sein Fazit: "Es ist nicht nur nicht nachvollziehbar, wie einzelne Score-Werte entstehen. Sie stehen auch in keinem erkennbaren Verhältnis zu den später gewährten Kreditkonditionen."
10 Prozent vom Umsatz in Gefahr?
10 Prozent vom Umsatz in Gefahr?
Korczaks Kritik richtet sich nicht allein gegen die Schufa, sondern gegen das Scoring an sich. Auch am derzeit diskutierten Entwurf für ein neues Bundesdatenschutzgesetz, mit dem das Innenministerium die Verbraucherrechte beim Thema Scoring verbessern will, hat der Experte einiges auszusetzen. "Es ist zwar Kritik aufgegriffen worden", so Korczak. "Die wesentlichen Punkte bleiben aber nach jetzigem Stand der Dinge ungeklärt."
Wichtigster Schwachpunkt nach seiner Meinung: Auch künftig können Scoring-Anbieter die Öffentlichkeit mit Verweis auf das Geschäftsgeheimnis darüber im Unklaren lassen, wie sie zu ihren Scoring-Werten kommen. Ebenso wird laut Korczak nicht definiert, wer Scoring nutzen darf und welcher Verwendungszweck für die Kennzahlen statthaft ist. Lediglich die geplante Einführung einer kostenlosen Eigenauskunft pro Jahr begrüßt der Fachmann ausdrücklich.
Diese Neuerung wiederum dürfte in Wiesbaden wenig Freude auslösen. Die Schufa erteilte allein im Jahr 2007 etwa 1,2 Millionen Eigenauskünfte. Bei einem Einzelpreis von 7,80 Euro machte das Unternehmen, das bundesweit eigenen Angaben zufolge 768 Mitarbeiter beschäftigt, damit im vergangenen Jahr mehr als 10 Prozent seiner Gesamtumsätze (89 Millionen Euro).
Und noch ein Problem hat die Schufa offenbar, das möglicherweise viel schwerer wiegt: Ihre Datenbank scheint trotz der schieren Masse an gespeicherten Informationen alles andere als vollständig zu sein. "Die Schuldner, die zu uns kommen, sind immer wieder überrascht, wie wenig über sie bei der Schufa bekannt ist", sagt Reiner Saleth, stellvertretender Leiter der zentralen Schuldnerberatung in Stuttgart, gegenüber manager-magazin.de.
Nach Angaben des Experten kommt es nicht selten vor, dass von 20 bestehenden Forderungen lediglich drei in der Schufa-Datenbank eingetragen sind. "Viele der Auskünfte, die wir zu sehen bekommen, zeichnen nicht annähernd ein realistisches Bild über die tatsächliche Verschuldungssituation der Personen", so sein Fazit.
Sollte Saleths Beobachtung auf die gesamte Datenbank der Schufa übertragbar sein, so wäre der Marktbedeutung des Unternehmens wohl ein Großteil ihrer Basis entzogen.