Versicherer "Umsatzgier kennt keine Schmerzgrenze"
mm.de: Herr Heinz, wie hoch ist in etwa der Marktanteil der von Ihren Verbandsmitgliedern abgesetzten Versicherungen?
Heinz: Das ist schwer zu beziffern. Unser Verband vertritt summa summarum die Interessen von etwa 40.000 hauptberuflich tätigen Versicherungsvertretern - seien es nun Einfirmenvertreter, Mehrfachagenten oder Makler. Wir schätzen, dass über diese Gruppe rund 35 bis 50 Prozent des Prämienaufkommens der deutschen Versicherungswirtschaft abgewickelt werden.
mm.de: Da nehmen sich Anzahl und Prämienvolumen der über Supermärkte abgesetzten Policen eher wie die berüchtigten Peanuts aus, oder?
Heinz: Was auf diesem Weg vertrieben wird, ist weniger als marginal. Wir könnten uns daher entspannt zurücklehnen.
mm.de: In dieser Frage hat der BVK in jüngster Zeit eher einen gegenteiligen Eindruck hinterlassen. Warum die Aufregung?
Heinz: Der Verband hat jahrelang gegen den Widerstand der Politik und der Versicherungswirtschaft an der Umsetzung der europäischen Vermittlerrichtlinie mitgewirkt. Verbraucherschutz, Qualifikation der Versicherungsvermittler, Klarheit und Wahrheit in ihrem Außenauftritt sowie Haftungsfragen sind entscheidende Aspekte des seit einem Jahr geltenden Gesetzes. Dem fühlen wir uns verpflichtet. Vertreiben Versicherer komplexe Produkte über Aldi, Penny, Plus oder andere Supermärkte, verstoßen sie damit in der Regel nicht nur gegen das für die Vermittlung von Versicherungen geltende Recht , sondern erklären Versicherungsprodukte auch zur Ramschware. Dagegen werden wir uns auch in Zukunft mit aller Macht zur Wehr setzen.
mm.de: Anscheinend mit Erfolg. Die Signal Iduna jedenfalls hat ihren Plan aufgegeben, über Aldi Versicherungen zu verkaufen.
Heinz: Ja, es gab diesen Plan, und wir haben das scharf kritisiert.
mm.de: Ob nun Arag, Axa oder Rheinland - Versicherer gehen immer wieder zeitlich begrenzte Kooperationen mit Discountern ein - allerdings mit schwachem Erfolg. Warum probieren es die Anbieter dennoch?
Heinz: Es ist mir schlicht ein Rätsel. Ich verstehe Versicherer nicht, die mit solchen Aktionen ihre über Jahrzehnte aufgebauten Vertriebsstrukturen unterminieren, ihre Vermittler hintergehen und Produkte ohne Beratung verhökern. Das ist verrückt, und es wird immer schlimmer.
mm.de: Das erklärt aber nicht, warum Versicherer es trotzdem tun.
Heinz: Die Gier nach Umsatz kennt keine Schmerzgrenze mehr. Jeder Anbieter sieht, dass es gemacht wird. Und viele glauben, sie müssten es kopieren, obwohl die meisten Aktionen in der Vergangenheit echte Rohrkrepierer waren.
"Ein unsäglicher Marketingtrick"
mm.de: Vielleicht ist es nur eine Frage der Zeit und Gewohnheit, bis die Menschen Versicherungsschutz vermehrt auch im Kaffeeladen oder Supermarkt einkaufen. Zudem scheinen die Produkte oftmals günstiger als bei meinem Vermittler zu sein.
Heinz: Vordergründig sieht das so aus. Der Kunde, der in einen Supermarkt geht und eine Unfall-, Haftpflicht- oder Rentenversicherung erwirbt, weiß aber nicht, dass dieses Produkt in der Regel minderer Qualität ist.
mm.de: Das müssen Sie erklären.
Heinz: Bedingungswerk und Garantien sind oft deutlich abgeschmolzen gegenüber herkömmlichen Produkten, die der Kunde bei seinem Vermittler bekommt. Sie laufen aber unter dem gleichen Label. Da darf es nicht verwundern, wenn der Versicherte bei seinem Vertreter aufschlägt und ihn nicht selten der Beutelschneiderei beschuldigt, weil er das vermeintlich gleiche Produkt im Supermarkt ja billiger erwerben könne.
mm.de: Nun sollten Sie schon mal ein Beispiel nennen.
Heinz: Nehmen wir die "DeutschlandRente" , die drei Finanzdienstleister derzeit anbieten. Der Idee nach sammelt der Kunde beim Einkauf bei rund 200 Vertragspartnern Bonuspunkte für eine private Rentenversicherung. Die Werbung dafür war und ist aber irreführend. Das beginnt bereits damit, dass das unabhängige Analysehaus Morgen & Morgen für dieses Produkt keinen Vergleich erstellt hat, wie man den Kunden vorzugaukeln versuchte.
Diese Shopping-Rente bringt unter dem Strich auch weniger ein als viele andere Produkte. Und die über den Konsum auf dem Rentenkonto angehäuften Geldbeträge erhöhen die monatliche Rente in der Regel um kaum mehr als 10 bis 15 Euro. Das ist ein unsäglicher Marketingtrick. Eine Rentenversicherung ist kein Spaßobjekt, sondern ein Produkt, das intensiver Beratung des Versicherungsvermittlers bedarf.
mm.de: Welche Risiken sehen Sie für die Versicherer, sollten sie verstärkt versuchen, Versicherungen auf diesem Weg abzusetzen?
Heinz: Die Unternehmen laufen Gefahr, sich einen großen Imageschaden einzuhandeln. Denn ihre Stornoquoten werden zwangsläufig steigen, weil die Menschen schlecht oder gar nicht über das Produkt informiert und beraten wurden.
mm.de: Ihr Verband behauptet, der Versicherungsverkauf zwischen Dosenbier und Chips verstößt gegen geltendes Vermittlerrecht und die Informationsrechte des Verbrauchers. Wenn dem so ist, warum hat die Finanzaufsicht, deren Versicherungsbeirat Sie ja angehören, diese Geschäfte nicht schon längst unterbunden?
Heinz: Das ist so nicht richtig. Der Verkauf einer im vergangenen Jahr in Penny-Supermärkten vertriebenen Kinderschutz-Police ist nach einer Anfrage bei der Finanzaufsicht beendet worden.
mm.de: Da war die Verkaufsaktion aber schon längst gelaufen.
Heinz: Was sich damit erklärt, dass die Finanzaufsicht nur gegen einen Verstoß tätig werden kann. Dazu muss aber so eine Aktion erst einmal beginnen. Zudem bedarf es einer Beschwerde oder eines Hinweises von außen, denn die Finanzaufsicht und das entsprechende Fachministerium werden nicht von sich aus tätig. Bis der Hinweis bearbeitet und die Stellungnahme des Versicherers eingeholt ist, sind solche Verkaufsaktionen oft schon vorbei.
"Information und Beratung finden nicht statt"
mm.de: Sollte der Verkauf von Versicherungen und Anlageprodukten über Supermärkte, Bekleidungshäuser oder Kaffeeketten künftig genehmigungspflichtig werden?
Heinz: Das wäre wünschenswert. Es sollte zumindest sichergestellt sein, dass Menschen, die im Supermarkt Versicherungen verkaufen, nach der Vermittlerrichtlinie ausreichend qualifiziert sind.
mm.de: Da werden sich die Kassiererinnen und Regalpacker aber bedanken.
Heinz: Die werden natürlich keine Versicherung vermitteln. Das ist ja gerade das Problem. Information und Beratung finden in diesen Fällen vor Ort nicht statt. Und der Hinweis auf eine Callcenter-Nummer reicht nach unserer Rechtsauffassung definitiv nicht aus.
mm.de: Stünde neben jedem Policenstand bei C&A, Penny, Plus oder anderswo ein qualifizierter Vermittler, hätte Ihr Verband also damit kein Problem?
Heinz: Natürlich hätte ich damit ein Problem, weil Versicherungsprodukte und ein ganzer Berufsstand auf diese Weise beschädigt werden. Rechtlich ist dem aber schwer beizukommen. Es sei denn, es lässt sich nachweisen, dass der Anbieter etwa gegen die Informationspflichtenverordnung verstoßen hat. Ich sehe indes nicht, wie das funktionieren kann. Wie ein Versicherer bei Aldi, Penny oder Plus der Verpflichtung nachkommen will, zum Beispiel alle wichtigen Unterlagen und Informationsschriften vor Abschluss der Versicherung auszuhändigen, ist mir schleierhaft.
mm.de: Verbraucherschützer beurteilen das Thema mitunter anders. Den Vertrieb von weniger erklärungsbedürftigen Reiseversicherungen über den Discounter lassen sie gelten, den anderer Assekuranzprodukte an selber Stelle lehnen sie ab. Wo ziehen Sie da die Grenze?
Heinz: Exakt dort, wo sie der Gesetzgeber zieht, nachzulesen in der EU-Vermittlerrichtlinie und den entsprechenden deutschen Gesetzen und Verordnungen.
mm.de: Also wo?
Heinz: Beim Verkauf von Reiserücktritts-, Reisekranken-, Fahrraddiebstahl- oder Autoversicherungen zum Beispiel, sogenannten produktakzessorischen Versicherungen. Diese Versicherungen werden ergänzend zu einer Ware oder Dienstleistung verkauft. Das ist nicht zwingend an eine Qualifikation geknüpft, wie sie das Gesetz von einem Vermittler einfordert, der etwa eine Lebensversicherung absetzt.
"Kann der Vermittler noch in Monogamie leben?"
mm.de: Mangelnder Versicherungsschutz im Ausland kann den Reisenden ein Vermögen kosten. Was rechtfertigt dann den Verkauf entsprechender Policen im Reisebüro ohne Beratung?
Heinz: Ich teile Ihren Einwand, und es kann unter Umständen verheerende Folgen haben, wenn ein Krankenhausaufenthalt im Ausland durch die Versicherung nicht oder nur unzureichend abgedeckt ist. Aber das hat der Gesetzgeber nun einmal so bestimmt. Die Vermittlerrichtlinie gibt genau vor, was ein Versicherer über welche Vertriebswege verkaufen darf und welche Qualifikation die Verkäufer haben müssen. Wir können nicht mehr verlangen, als dass die Versicherer diesen Verpflichtungen auch nachkommen.
mm.de: Versicherer setzen verstärkt Policen über Internet, Telefon und Post ab. Auch das geht zulasten des personenbezogenen Vertriebs - Ihrer Klientel - und wird laut Experten immer mehr an Bedeutung gewinnen
Heinz: richtig
mm.de: und warum läuft der BVK nicht gegen diesen Vertriebsweg Sturm?
Heinz: Wenn ein Versicherer diesen Vertriebsweg wählt, erfreut uns das nicht. Solange aber gesetzeskonform informiert und beraten wird, können wir nur begrenzt dagegen angehen. Nicht nur Verbraucherschützer, auch unser Verband steht da vor einer enormen Herausforderung.
mm.de: Wie sieht die aus?
Heinz: Versicherer praktizieren seit Jahrzehnten das Modell der Ausschließlichkeitsvermittler, die nur ihre Produkte verkaufen dürfen. Mit dieser Monogamie waren alle zufrieden. Jetzt suchen die Anbieter verstärkt neue Vertriebswege über Autohäuser, Banken, Internet, Kaffeeketten, Supermärkte - wer weiß, vielleicht auch irgendwann die Bahnhofsmission. Wenn jetzt ein Versicherer - um im Bilde zu bleiben - dem Vermittler alle Freiheiten des Fremdgehens nimmt, wie kann der Vermittler da noch in der Monogamie leben? Diese Frage müssen wir klären.
mm.de: Das ist die eine Seite. Experten erwarten zudem, dass das neue Versicherungsrecht samt Vermittlerrichtlinie und Informationspflichtenverordnung vielen Vertretern in Deutschland zusehends die Existenzgrundlage entzieht. Zählt der Versicherungsvermittler bald zur einer aussterbenden Spezies?
Heinz: Ja und nein. Kleine und schwächere Agenturen werden aber enorme Probleme haben, zu überleben. Das hat weniger mit dem Direktvertrieb als mit den neuen Gesetzen zu tun. So bekommt künftig nicht jeder eine Zulassung für das Vermittlungsgeschäft, und für viele andere wird es wirtschaftlich untragbar. Der Markt wird sich also bereinigen.
"Das ist moderner Sklavenhandel"
mm.de: Ihr Verband will in Reaktion auf die sich wiederholenden Verkaufsaktionen über Supermärkte ein Unternehmensranking erstellen. An welchen Kriterien orientiert sich der BVK, welches Ziel verfolgen Sie damit?
Heinz: Die Idee ist noch vergleichsweise jung, daher liegen die Kriterien im Detail noch nicht fest. Vertragstreue der Versicherer, Geschäftsgebaren gegenüber den Vermittlern sowie die Einhaltung rechtlicher Vorgaben, die sich aus den neuen Gesetzen ergeben, werden vermutlich dazugehören. Das Ziel ist aber deutlich umrissen: Wir wollen den Vermittlern klar aufzeigen, worauf sie sich einlassen, wenn sie sich in das Bett eines Versicherers legen.
mm.de: Glauben Sie, Vermittler schmeißen die Brocken einfach hin, wechseln zur Konkurrenz, nur weil ihr Versicherer in dem Ranking schlecht abschneidet?
Heinz: Uns würde es schon genügen, wenn ein Vermittler seinem Vertragspartner gegenüber klar formuliert, wo die Probleme liegen und die Unternehmen dann verbraucher- und vermittlerfeindliche Regelungen abstellen.
mm.de: Wie gehen Versicherer mit Kritik und Anregungen aus ihren Vertriebsorganisationen um?
Heinz: Ich will es so formulieren: Es gibt Versicherer, die können sich vor Zulauf an Vermittlern und Agenten kaum retten. Warum ist das so? Weil sie ein Unternehmermodell fahren, das den selbstständigen Vermittlern weitreichende Unabhängigkeit zusichert.
Andere verlieren dagegen permanent Vertreter. Warum ist das so? Weil die Konzerne mit restriktiven Ziel- und Rahmenvorgaben arbeiten, in manchen Segmenten die Provisionen der Vermittler unzulässigerweise beschneiden, den Bankschaltervertrieb forcieren und am liebsten noch andere Anbieter dazukaufen würden. Das ist kein Versicherungsvertrieb, das ist moderner Sklavenhandel.