130/30-Trend Wenn Fonds zu Wettscheinen werden

Immer mehr Investmentfonds tragen das Kürzel 130/30 im Namen. Deren Manager wollen mit Termingeschäften die Rendite nach oben treiben und wetten dabei auch auf Kursverluste. Doch nicht jeder Portfolioverwalter eignet sich zum Hedgefondslenker.

Hamburg - Gute Idee oder nur ein Modetrend, der vorübergeht? Von beidem hat die Investmentfondswelt schon reichlich gesehen. Zurzeit taucht in immer mehr Fondsnamen die Formel 130/30 auf. Und wieder müssen sich die Anleger fragen: Worum geht es dieses Mal? Soll lediglich mit geschicktem Marketing Kapital aus der derzeitigen Unsicherheit an den Märkten geschlagen werden? Oder handelt es sich bei der 130/30-Anlagestrategie wirklich um eine Innovation, die zur Renditesteigerung beitragen kann?

Tatsächlich verbirgt sich hinter der Zahlenkombination ein Anlagekonzept, das in den USA und Großbritannien vor allem im institutionellen Bereich bereits seit einiger Zeit angewendet wird. Das Prinzip: Der 130/30-Ansatz baut auf den hierzulande bislang marktbeherrschenden Long-only-Strategien auf. Bei diesen kauft der Fondsmanager - einfach gesagt - Aktien und versucht später, diese mit Gewinn zu veräußern. Dabei bemüht er sich, den von ihm gemanagten Fonds mit besonders aussichtsreichen Aktien zu bestücken.

Auch bei der 130/30-Strategie erfahren Aktien, von denen das Fondsmanagement überzeugt ist, eine Sonderbehandlung. Im Unterschied zum Long-only-Ansatz gilt dies jedoch nicht nur für überdurchschnittlich aussichtsreiche Titel, sondern ebenso für ausgesprochen schwache Papiere.

Wetten auf Kursgewinne und -verluste

Bis zu einem Anteil von 30 Prozent am Gesamtportfolio bauen die Fondsmanager sogenannte Short-Positionen zu vermeintlich fallenden Aktien auf. Sprich: Sie wetten auf Kursverluste dieser Papiere. Die so erzielten zusätzlichen Erträge fließen in den Ausbau des Long-Portfolios - das dadurch auf bis zu 130 Prozent anwachsen kann. Echte Leerverkäufe, wie sie bei reinrassigen Hedgefonds üblich sind, dürfen die 130/30-Fonds dabei zwar nicht durchführen. Sie nutzen aber die Möglichkeit zum Einsatz von Derivaten wie Swaps und Futures, die ihnen vor einigen Jahren durch die Ucits-III-Richtlinie eingeräumt wurde.

"Durch die 130/30-Strategie besteht die Möglichkeit, die besonderen Fähigkeiten des Fondsmanagements sowie dessen Informationsvorsprung stärker zur Geltung zu bringen als bei herkömmlichen Fonds", sagt Ingo Ahrens, Leiter des Publikumsvertriebs für Deutschland und Österreich bei Goldman Sachs . "Ziel ist es, eine höhere Outperformance - man spricht vom sogenannten Alpha - gegenüber dem Vergleichsmaßstab zu erzielen, ohne dabei das Anlagerisiko, den Tracking-Error also, zu steigern."

Im Klartext heißt dies: Gute Fondsmanager können durch den Einsatz der 130/30-Strategie ihre Kenntnisse des Markts und einzelner Unternehmen in größere Zusatzerträge verwandeln, als bei einer reinen Long-only-Strategie. In einer Studie zeigt Goldman Sachs auf, dass dies machbar ist - jedenfalls theoretisch.

Profis kaum besser als Privatanleger

Nur wenige Fonds schlagen ihre Benchmark

In der Praxis ist es bislang allerdings noch den wenigsten Fondsmanagern gelungen, aufgrund ihres vermeintlichen Informationsvorsprungs einen Markt dauerhaft zu schlagen. "Die Manager kennen die Märkte zwar gut und haben in der Regel auch eine dezidierte Meinung zu einzelnen Werten", erläutert Jürgen Kurz von der Deutschen Schutzvereinigung für Wertpapierbesitz (DSW).

"Geht es aber darum, konkret kurzfristige Kursentwicklungen vorherzusagen, wird es sehr schwierig. Denn in der Regel sind diese stark von psychologischen Befindlichkeiten der Anleger abhängig - und die sind für die Manager meist genauso schwer einschätzbar wie für Privatanleger." Laut Kurz ist zudem prinzipiell Skepsis geboten, wenn eine Renditesteigerung ohne zusätzliches Risiko versprochen wird.

"In den USA managen wir einige Portfolios bereits seit rund drei Jahren nach dem 130/30-Ansatz", sagt dagegen Karsten Stroh, Leiter des Aktienteams in Deutschland bei JP Morgan Asset Management. "Die Ergebnisse, die wir damit erzielt haben, lagen bisher deutlich über unseren Erwartungen. Allein im Jahr 2006 konnten wir mit dieser Strategie die Benchmark, den S&P-500-Index, um rund 7,5 Prozent schlagen."

Das Angebot steigt

Fest steht: Die Ankündigung, von fallenden Kursen profitieren zu können, kommt bei vielen Anlegern zurzeit gut an. Seit Wochen knicken die Börsen weltweit immer wieder heftig ein. Die Frage, ob es sich bei den Turbulenzen lediglich um kurzfristige Korrekturen oder um den Beginn eines längeren Abschwungs handelt, treibt viele Marktteilnehmer um.

Immer mehr Fondsanbieter bringen daher 130/30-Produkte auf den Markt. Zum Vertrieb in Deutschland zugelassen sind unter anderem bereits Fonds von JP Morgan, der Deutsche-Bank-Tochter DWS sowie Goldman Sachs. Weitere Anbieter stehen in den Startlöchern.

Die Fonds investieren zum Großteil in Standardaktien. Das Segment der mittleren und kleineren Werte kann über 130/30-Fonds aber ebenfalls abgedeckt werden. Zwei Produkte von JP Morgan Asset Management etwa, der US Select 130/30 (ISIN LU0292454872) und der Europe Select 130/30 (ISIN LU0281486075), folgen den Bluechip-Indizes S&P 500  und MSCI Europe. Beim Management des DWS Deutsche Aktien 130/30 (ISIN DE000DWS0D19) dagegen blickt das Fondsmanagement stets mit einem Auge auf den HDax als Benchmark. Darin befinden sich neben den Dax-30-Werten auch die 50 mittelgroßen Titel des MDax  sowie die 30 Papiere des TecDax .

"Auch die schlechten Aktien finden"

Erhebliche Unterschiede im Management

Vor dem Erfolg der Fonds steht allerdings die Leistung des Managements. Und die fällt bei diesem Fondstyp wesentlich schwerer ins Gewicht als bei anderen. Schließlich ist nicht jeder, der bisher erfolgreich Long-only-Portfolios gemanagt hat, per se auch gut im Shorting, dem Wetten auf fallende Kurse also.

"Ein klassischer Fondsmanager kennt aus einem zugrundeliegenden Index-Universum von 600 Aktien etwa 200. Rund 100 davon hat er in seinem Portfolio", sagt Stefan Günther, Leiter der Produktentwicklung bei Cominvest. "Die Aufmerksamkeit ist dabei naturgemäß weitgehend auf den oberen Teil der Performance-Skala beschränkt." Über brauchbare Prognosen zu schlechter laufenden Werten dagegen verfügen die Portfolioverwalter in der Regel eher selten.

Im Vorteil sind da laut Günther computergestützte Analysesysteme, wie sie zum Management der meisten 130/30-Fonds eingesetzt werden. Auch Cominvest setzt auf einen solchen sogenannten quantitativen Ansatz. "Unsere Software bewertet seit Jahren laufend rund 1000 Titel nach Kriterien wie Wachstumsaussichten, Bewertung sowie dem Gewinn- und Kursmomentum", erläutert der Cominvest-Mann. "Entscheidend ist, dass sich darunter nicht nur die gut laufenden Titel, sondern auch die schlechten befinden."

Ausnahme: Ein Manager aus Fleisch und Blut

Um das Portfolio des Fonds aufzufüllen, geht das Management laut Günther das entstandene Ranking von oben nach unten durch. "Die Werte für die Short-Positionen identifizieren wir nach der gleichen Methode - allerdings am unteren Ende der Bewertungsskala", so der Experte. Dabei werden starke Abweichungen auf Länder-, Sektor- und Größenklassenebene vermieden.

Anders macht es Fortis. Dort wird lediglich der "Long-only"-Part des Portfolios quantitativ verwaltet. Beim darüber hinausgehenden Long-Short-Bereich verlässt sich Fondsmanagerin Claire Méhu weitgehend auf die Urteilskraft, die ihr Kollege Gilles Meshaka in fünf Jahren Management von Hedgefonds aufgebaut hat.

Zu den wenigen Gesellschaften, die sich bei der Portfolioverwaltung ausschließlich auf das Know-how eines Fondsmanagements aus Fleisch und Blut verlassen, zählt die DWS. "Mit dem HDax als Benchmark haben wir einen Korb von 110 Aktien permanent im Auge und beobachten darüber hinaus auch weitere interessante Aktien außerhalb der Benchmark", sagt Christoph Ohme aus dem Managementteam des DWS Deutsche Aktien 130/30.

"Shorting-Kompetenz entscheidend"

"Entscheidend ist die Kompetenz im Shorting"

"Das ist im Vergleich zu anderen, beispielsweise europaweit anlegenden Fonds überschaubar und stellt kein Problem dar", so Ohme weiter. Die Manager der DWS haben allerdings ebenfalls ein eigenes Screening aufgebaut, mit dessen Hilfe eine Vorauswahl getroffen werden kann. Dabei werden zum Beispiel fundamentale Kriterien wie die Preis- und Kostensituation in einem bestimmten Absatzmarkt überprüft.

Nicht nur viele Fondsmanager betreten mit der 130/30-Strategie jedoch Neuland. Auch bei den Fondsgesellschaften kann die Eignung dafür nicht ohne weiteres vorausgesetzt werden. Dabei ist Erfahrung im Umgang mit Derivaten von großem Vorteil.

Denn klar ist: Ein eingespielter Apparat mit reibungslosen Abläufen verursacht wesentlich geringere Transaktionskosten als diese bei einem Newcomer in dem Geschäft entstehen. Um nicht eine Abteilung für den Derivatehandel komplett neu aufbauen zu müssen, hat daher beispielsweise Cominvest diesen Bereich an die US-Investmentbank Morgan Stanley  ausgelagert.

"Gerade die Kompetenzen und Kapazitäten im Shorting sind von besonderer Bedeutung für den Erfolg beim Einsatz des 130/30-Ansatzes", erläutert Günther. Denn nicht nur die positiven Qualitäten des Fondsmanagements kommen bei dieser Strategie stärker zur Geltung als anderswo. Fehleinschätzungen führen vielmehr ebenfalls in stärkerem Maße zu Verlusten - und dies eben vor allem auf der Short-Seite des Portfolios.

Risiko Kursexplosion

Der Grund: Wenn sich eine Aktie, zu der eine Short-Position aufgebaut wurde, entgegen den Erwartungen als Überflieger entpuppt, so wird dadurch nicht nur die Short-Position zum Verlustgeschäft. Vielmehr kann auch auf der Long-Seite ein Problem entstehen. Schließlich wird diese zum Teil mit Erträgen aus den Verlustspekulationen finanziert.

Dass ein solcher Fall eintritt, ist keineswegs ausgeschlossen. Tatsächlich kann schon ein simples Übernahmegerücht eine solch verhängnisvolle Kursexplosion auslösen.

Die Kehrseite der Medaille: Die Möglichkeit, Papiere, bei denen ein Kursverlust erwartet wird, untergewichten zu können, stellt gleichzeitig einen großen Vorzug des 130/30-Ansatzes dar. "In einer Long-only-Strategie ist es sehr schwierig bis unmöglich, Aktien, die ohnehin in einer Benchmark nur einen sehr geringen Anteil haben, unterzugewichten", sagt Günther. "Beim 130/30 besteht durch die Short-Position die Möglichkeit, die Gewichtung solcher Werte über den Nullpunkt hinaus ins Negative zu verschieben." Laut Günther ist dies ein entscheidender Vorteil der neuen Strategie.

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