Generation "50 Plus" Banken verschlafen Megatrend

Ältere Menschen vereinen einen immer größeren Anteil des verfügbaren Einkommens auf sich. Sie sind ein Wachstumsmarkt. Doch die Finanzbranche scheint diesen Trend zu verschlafen. Im Gespräch mit manager-magazin.de erläutert Bankenexperte Ralph Hientzsch von der Unternehmensberatung Consileon die Gründe.
Von Rita Syre

mm.de:

Herr Hientzsch, bereits über ein Drittel der Deutschen ist älter als 50 Jahre. In den kommenden 15 Jahren steigt ihr Anteil voraussichtlich auf mehr als 40 Prozent. Sind die Banken in Deutschland auf den demografischen Trend "Best Ager" vorbereitet?

Hientzsch: Nein, nicht 'mal ansatzweise. Ich befürchte, dass sie die Chancen dieses Wachstumsmarktes nicht oder wieder nur spät nutzen werden. Schon heute besitzen die über Fünfzigjährigen 48 Prozent des verfügbaren Einkommens in Deutschland. Bis zum Jahr 2020 wird dieser Anteil voraussichtlich auf über 55 Prozent klettern. Hier besteht also ein sehr interessanter Markt.

Zwar beschäftigt sich nach einer Umfrage etwa ein Drittel der deutschen Bankmanager mit diesem Thema. Aber aus dieser kleinen Schar bietet gerade ein Fünftel Finanzprodukte an, die großzügig interpretiert als "Best-Ager-Produkte" durchgehen können. Die Produktentwicklung für diese Kundengruppe ist mit wenigen Ausnahmen noch ein Brachland. Ein umfassendes Konzept mit spezifisch auf die Bedürfnisse dieser Kunden zugeschnittenen Produkten sucht man vergeblich. Das Paradoxe daran ist, dass knapp 80 Prozent der befragten Bankmanager sogar erwarten, dass die neue Zielgruppe in den nächsten fünf Jahren eine sehr hohe Bedeutung für ihr Geschäft haben wird.

mm.de: Warum können diese Bedürfnisse nicht mit den bestehenden Angeboten der Banken abgedeckt werden?

Hientzsch: Die Kundenbedürfnisse und der Vertrieb sind hierbei zentrale Aspekte. Die Finanzhäuser haben sich im Rahmen ihrer vielen Restrukturierungswellen aus Kostenüberlegungen insbesondere von älteren Beratern getrennt. Die Folgen dieser Entwicklung schlagen nun auf die Unternehmen zurück. Die Kundengruppe "50 Plus" akzeptiert in ihrer Mehrzahl nur selten jüngere Berater, die sich nicht in die Lebenssituation eines älteren Menschen hineinversetzen können.

Die Kunden dieser Altersgruppe sind außerdem weitaus anspruchsvoller als jüngere Menschen. Sie schätzen Fachkompetenz, von der sie sich in einem persönlichen Gespräch einen Eindruck verschaffen wollen. Zudem sind die Bedürfnisse andere. Ab diesem Alter beginnt sehr häufig ein neuer Abschnitt in der Biografie. Der Trendforscher Matthias Horx nennt dieses weit verbreitete Phänomen den zweiten Aufbruch. Die vordringliche Beschäftigung mit der Familienplanung, der Karriere und dem Aufbau von Ersparnissen ist in der Regel abgeschlossen. In dem neuen Lebenskapitel wird Neues ausprobiert und Verpasstes aufgeholt. Das kann einhergehen mit der Neuregelung der Finanzen.

"Ideale Kunden für die Vermögensberatung"

mm.de: Warum verpassen deutsche Banken den Trend "50 Plus"?

Hientzsch: Ein Grund ist, dass die meisten Bankmanager überraschenderweise die Ansicht vertreten, dass sie das Thema mit dem Bereich Vermögensvererbung vollkommen abdecken. Aber es ist ein Trugschluss, das Thema "Best Ager" auf das Erben zu reduzieren. Denn das Thema Vererben stellt sich im Kontext des Tabuthemas Tod und ist damit ein unglücklicher Anknüpfungspunkt für die Erstansprache eines Kunden, der für die Bank akquiriert werden soll.

mm.de: Gibt es weitere Gründe für die fehlende Positionierung?

Hientzsch: Hinter den mangelnden Konzepten der Institute für die Kundengruppe "50 Plus" verbirgt sich häufig ein wohlbekanntes und weitgehend ungelöstes Strukturproblem im Privatkundengeschäft. Ein so komplexes Thema wie "Best Ager" verfängt sich häufig in den unterschiedlichen Zuständigkeiten und Interessen der beteiligten Bereiche Vertrieb, Produktmanagement, Marketing und Zielgruppensteuerung. Ein solches Thema müssten aber die Banken wie in anderen Branchen vernetzt angehen.

mm.de: Was vermutlich mit mehr Beratungsaufwand und höheren Kosten verbunden wäre.

Hientzsch: Ja, aber die "Best Ager" verfügen über größere Vermögen als andere Zielgruppen und sind bereit, für eine höhere Qualität der Beratung mehr zu bezahlen. Außerdem sprechen wir bei den Produkten nicht alleine vom Girokonto oder Investmentfonds. Es geht um Vermögens- und Liquiditätsplanung von Kunden, die nicht in der Ansparphase sind, sondern bereits über erkleckliche Summen disponieren können. Vor dem Hintergrund der anstehenden Vererbung werden diese Vermögen weiter steigen. Die erwarteten Beratungsdienstleistungen bieten ein attraktives Margenpotenzial.

mm.de: Die meisten Banken wollen ja derzeit die Vermögensberatung ausbauen ...

Hientzsch: ... wofür diese Zielgruppe ideal ist. Die Banken haben bei der richtigen Besetzung des Wachstumsmarktes "Best Ager" die Chance, die avisierten Ziele für ihr Ertragswachstum zu erfüllen. Denn eines steht fest: Nur durch weitere Kostensenkungen wird sich die Profitabilität nicht steigern lassen. Die gestiegenen Gewinne der großen Institute sind ja in den vergangenen drei bis fünf Jahren zum weit überwiegenden Teil über die Senkung der Kosten realisiert worden. Die Erschließung des Wachstumsmarktes "Best Ager" ist also mit entscheidend für die künftige Profitabilität der deutschen Banken.

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