Koalitionsplan Schreckgespenst Spekulationssteuer
Hamburg - Kaum zwei Wochen ist es her, dass sich Union und SPD auf den Koalitionsvertrag geeinigt haben. Mehrwertsteuer, Pendlerpauschale, Eigenheimzulage - die schlechten Nachrichten haben sich wie ein Lauffeuer verbreitet. Mittlerweile lässt sich sogar in Tabellen ablesen, wie hoch der einzelne Privathaushalt künftig womöglich belastet wird. Für helle Aufregung sorgen seit Tagen zudem mögliche Pläne einer "Spekulationssteuer".
Interessant ist, dass in dem gut 190-seitigen Koalitionsvertrag der Begriff Spekulationssteuer nicht einmal auftaucht. Dort ist lediglich zu lesen: "In dieser Legislaturperiode werden wir eine Neuregelung der Besteuerung von Kapitalerträgen und privaten Veräußerungsgewinnen realisieren." Punkt.
In einer Pressekonferenz des designierten Finanzministers Peer Steinbrück (SPD) und CDU-Finanzexperten Michael Meister fällt später noch das Wort "Abgeltungssteuer". Sie sei eine Alternative und könnte 20 Prozent betragen, heißt es. Weitere Details? Fehlanzeige. Um so mehr schießen die Spekulationen darüber ins Kraut.
Voreilige Schlüsse?
Die neue/alte Quelle, die der chronisch klamme Staat anzuzapfen gedenkt, ist unter vielen Beobachtern schnell ausgemacht: Gewinne aus Wertpapier- und Immobiliengeschäften. Schon wird in manchen Berichten dem erschrockenen Investor angeraten, steuerfreie Gewinne aus Wertpapiergeschäften noch vor 2007 zu realisieren und Verlustbringer erst danach zu verkaufen. Ebenso wird über "Ausweichmöglichkeiten" etwa in Sachwerte wie Kunstgegenstände oder Sammlerobjekte spekuliert.
Dabei ist völlig unklar, was genau, wann und vor allem wie die große Koalition neu oder anders zu besteuern gedenkt.
"Private Veräußerungsgewinne" im Sinne des Koalitionsvertrages könnten auch Gewinne aus dem Verkauf von Münzen, Schmuck oder wertvollen Briefmarkensammlungen sein. Andreas Fink vom Bundesverband Investment und Asset Management (BVI) geht davon aus, dass die Politiker hier in der Tat sämtliche Veräußerungsgewinne durch Wertsteigerungen im Auge haben, also nicht nur jene von Aktien, Fonds und Immobilien.
Was derzeit gilt
Bislang gilt bei Wertpapieren eine Spekulationsfrist von einem Jahr, bei Immobilien sind es zehn. Wer vorher verkauft, muss Veräußerungsgewinne mit dem persönlichen Einkommensteuersatz versteuern, danach sind sie steuerfrei.
Spekulationsgewinne: Wann der Fiskus voll zugreift
Zur Versteuerung von Veräußerungsgewinnen bei Wertpapieren eine Beispielrechnung: Ein Anleger verkauft Aktien zu einem Preis von 7000 Euro, die er sieben Monate zuvor für 4000 Euro gekauft hat. Nach dem Halbeinkünfteverfahren wird der Veräußerungserlös nur zur Hälfte in Ansatz gebracht: also 3500 Euro. Davon ist wiederum die Hälfte der Anschaffungskosten (2000 Euro) abzuziehen. Es verbleibt ein Veräußerungsgewinn von 1500 Euro. Da der Anleger die ihm zugestandene Freigrenze von 512 Euro überschritten hat, werden die 1500 Euro voll mit dem persönlichen Einkommensteuersatz versteuert, rechnet Stefan Walter vom Bund der Steuerzahler im Gespräch mit manager-magazin.de vor.
Für Dividenden- und herkömmliche Zinseinkünfte gewährt der Gesetzgeber Freibeträge. Sie sollen ab 2007 von 1370 Euro auf 750 Euro (Single) beziehungsweise von 2750 auf 1500 Euro (Verheiratete) sinken. Im Gegensatz zu Zinsen gilt bei Dividenden das erwähnte Halbeinkünfteverfahren.
Künftig Abgeltungssteuer auf Festverzinsliches?
Auch dazu ein Rechenbeispiel: Ein Single erzielt 3000 Euro Dividende im Jahr. Nach dem Halbeinkünfteverfahren kommen davon lediglich 1500 Euro zur Anrechnung. Vermindert um den Freibetrag im Jahr 2007 müsste der Anleger dann 750 Euro Dividende mit dem persönlichen Einkommensteuersatz versteuern. Hätte derselbe Single zusätzlich 1000 Euro Zinseinkünfte, müsste er diese komplett mit dem vollen Steuersatz versteuern, da der Freibetrag bereits ausgeschöpft ist. Erzielte der Single dagegen ausschließlich 1000 Euro Zins- und keine Dividendeneinkünfte, wären schließlich 250 Euro der Zinsgutschrift zu versteuern.
All diese Rechnungen könnten allerdings schnell hinfällig werden, sollte tatsächlich die avisierte Abgeltungssteuer kommen. "Ich kann mir auch vorstellen, dass auf Erträge festverzinslicher Wertpapiere eine Abgeltungssteuer erhoben wird", sagt BVI-Sprecher Fink im Gespräch mit manager-magazin.de. Die wortkarge Ankündigung im Koalitionsvertrag lasse derzeit alle möglichen Interpretationen zu.
Vorbild einer Neuregelung könnte etwa eine Initiative des hessischen Finanzministers Karlheinz Weimar (CDU) sein, der eine pauschale und zugleich anonyme Abgeltungssteuer auf alle Kapitaleinkünfte vorgeschlagen hat. Im Moment vermittelte die große Koalition in Berlin aber den Eindruck, sie wisse schlicht noch nicht, wohin die Reise geht. "Die Minister und Staatssekretäre müssen erst einmal Platz nehmen", sagt Fink.
Fragen über Fragen
Neuregelung bereits zum 1. Januar 2007 möglich
So bleiben derzeit viele Fragen auch unbeantwortet. Zwar wird eine mögliche Abgeltungssteuer in einem Atemzug mit der für das Jahr 2008 geplanten Unternehmensteuerreform diskutiert, was laut Fink "vernünftig" wäre. Spekulationen halten aber auch eine Regelung bereits zum 1. Januar 2007 für möglich. Damit stellt sich die Frage: Gilt das nur für Veräußerungsgewinne ab diesem Tag?
Bei Wertpapieren lässt sich ein Veräußerungsgewinn zu einem bestimmten Stichtag leicht feststellen. Doch wie sicher ist die Stichtagsbewertung einer einzelnen Immobilie?
Unklar ist ebenso die Verrechnung von Verlusten mit möglichen Gewinnen aus Wertpapiergeschäften. Wer die Besteuerung von Gewinnen zulasse, müsse auch die Verrechnung mit Verlusten gewähren, sagt Fink. Unbestimmt ist auch, ob bei einer pauschalen Abgeltungssteuer noch das Halbeinkünfteverfahren zum Zuge kommt und ob Freigrenzen oder Freibeträge überhaupt noch gewährt werden.
Langfristiges Vorsorgesparen, sei es nun über Fonds, die Direktanlage oder andere Instrumente, dürfe aber auf keinen Fall mit einer zusätzlichen Steuer belastet werden, fordert der BVI. Dies würde sämtliche Bemühungen in der Vergangenheit, die Bürger zu mehr privater Altersvorsorge zu ermuntern, konterkarieren, mahnt Fink.
Dazu ein Rechenbeispiel: Wer 30 Jahre lang jeden Monat rund 100 Euro in einen Fondssparplan investiert hat - also insgesamt 36.000 Euro - hätte Ende September dieses Jahres über ein Vermögen von 148.000 Euro verfügen können. Bei einer Abgeltungssteuer von 20 Prozent kassierte der Fiskus dann aber - leider, leider - rund 30.000 Euro ab und das pünktlich zum Renteneintritt.
Die USA könnten ein Beispiel geben
Im Ausland ist die Besteuerung von Kursgewinnen übliche Praxis. In den USA zum Beispiel gebe es allerdings speziell für die Altersvorsorge "riesige Freibeträge", sagt Fink. Zudem würden Kursgewinne auf Wertpapiere je nach Verkaufszeitpunkt gestaffelt besteuert: Je später ein Investor oder Vorsorgesparer seine Papiere verkauft, desto geringer ist die Steuer. Dies könnte auch ein mögliches Modell für Vorsorgesparer hier zu Lande sein. Könnte - ob es so kommt, wer weiß das schon.
"Sonderopfer für Immobilienbesitzer"
Immobilienverband spricht von "Sonderopfer"
Auch die Immobilienwirtschaft ist beunruhigt. Die mögliche pauschale Abgeltungssteuer von 20 Prozent auf Immobilienverkäufe käme einem "Sonderopfer" für Immobilienbesitzer gleich, kritisiert Michael Jürgen Schick, Vizepräsident und Sprecher des Immobilienverbands Deutschland (IVD), im Gespräch mit manager-magazin.de. Während jeder Immobilienkauf und -verkauf dem Finanzamt gemeldet wird und damit 100 Prozent der Verkaufsfälle erfasst werden, seien Aktienverkäufe in der Praxis nicht vollständig zu kontrollieren, wie höchste Gerichte in Deutschland mehrfach festgestellt hätten.
Für Veräußerungsgewinne bei Immobilien sollte nach Ansicht des IVD ein deutlich geringerer Steuersatz gelten als für Aktien. Zudem sollte die Höhe des Steuersatzes nach der Haltedauer der Immobilien gestaffelt sein, wie dies in vielen anderen Ländern bereits üblich sei.
Nicht genug, dass mit Beginn des kommenden Jahres die Eigenheimzulage gestrichen und die degressive Abschreibung von Gebäuden mit Mietwohnungen entfallen wird. Verunsicherung herrscht unter Immobilienverbänden auch deshalb, weil noch unklar ist, ob die mögliche Abgeltungssteuer von 20 Prozent für längst erworbene und auch für die selbst genutzte Immobilie gelten soll.
Abgeltungssteuer auch für Eigenheimbesitzer?
"Wir gehen davon aus, dass das Eigenheim nicht von den Neuerungen betroffen sein wird", sagt Schick. Denn von der bis dato geltenden Spekulationsfrist sei die selbst genutzte Immobilie ausgenommen. Sollte es anders kommen, sei dies ein "gravierender Systembruch" und "heftiger Schlag" für Eigenheimbesitzer.
"Der Käufer braucht Planungssicherheit"
Klar spricht sich der IVD gegen eine rückwirkende Regelung aus. Ein Käufer, der seine Immobilie unter der Prämisse erworben habe, dass nach zehn Jahren mögliche Veräußerungsgewinne steuerfrei sind, dürfe auch künftig nach Ablauf dieser Haltefrist nicht besteuert werden. "Ein Immobilienkäufer braucht Planungssicherheit. Er muss sich auf geltende Gesetze verlassen können", fordert Schick. Andernfalls sei dies sicherlich ein Fall für das Verfassungsgericht. Da der IVD fest davon ausgeht, dass eine Neuregelung für Veräußerungsgewinne mit Beginn des Jahres 2007 in Kraft treten wird, sollte diese sinnvollerweise nur für Immobilien gelten, die nach dem 31. Dezember 2006 erworben werden.
Was ist ein Veräußerungsgewinn?
Kopfzerbrechen bereitet den Immobilienverbänden auch die Frage, wie sich künftig ein zu versteuernder Veräußerungsgewinn berechnet. Wird er aus der Differenz von Kauf- und Verkaufspreis oder aus der Differenz von Verkaufspreis und Buchwert gebildet? Das ist nicht unwesentlich. Denn hat der Investor eine Immobilie in den zurückliegenden Jahren bereits zu einem Großteil abgeschrieben, ist der rechnerische Veräußerungsgewinn natürlich umso größer. Derzeit rechneten die Finanzämter mit der Differenz von Verkaufspreis und Buchwert für Immobilien, die seit August 1995 erworben wurden.
Wenn der Immobilienverkauf zur Groteske wird
Die Sache mit dem Buchwert
Dies könnte im Extremfall groteske Konsequenzen haben. Bei einer Immobilie, die auf den Buchwert null vollständig abgeschrieben ist, würden auch dann zu versteuernde Gewinne entstehen, wenn der Verkaufspreis unter dem Kaufpreis liegt.
Dazu ein Rechenbeispiel: Ein Investor hat ein Mehrfamilienhaus für 1,1 Millionen Euro erworben. In zurückliegenden Jahren hat er die Immobilie durch Sonderabschreibungen komplett abgeschrieben, in den Büchern steht sie also mit null Euro. Nun verkauft er das Haus für eine Million Euro, ein Verlust von 100.000 Euro. Trotz des realen Verkaufsverlustes ergebe sich rechnerisch ein zu versteuernder Verkaufsgewinn von einer Million Euro. "Es wird also ein Scheingewinn besteuert", sagt Schick.
Deshalb fordert der IVD auch, wieder zu jener Berechnungsart zurückzukehren, die bis zum 31. Juli 1995 galt, beziehungsweise die für bis zu diesem Zeitpunkt erworbene Immobilien bis heute gilt. Demnach berechnet sich der Veräußerungsgewinn für Immobilien, die bis zu diesem Stichtag erworben wurden, aus der Differenz von Verkaufspreis und Kaufpreis.
Viele Investoren sind verunsichert
Noch sind Details zu einer möglichen neuen Besteuerung von Kapitalerträgen und privaten Veräußerungsgewinnen nicht bekannt. Man darf davon ausgehen, dass die neue Bundesregierung bei ihren Vorhaben den Kontakt zu Fachverbänden und Experten suchen wird. Sicher ist, dass angesichts des notorischen Sparzwangs bereits jetzt viele Privatinvestoren und Immobilienbesitzer verunsichert sind, was noch auf sie zukommen wird.
Dabei spreche nach Ansicht des IVD grundsätzlich nichts gegen eine Besteuerung von Veräußerungsgewinnen. "Es wäre auch steuersystematisch sinnvoll, alle Einkunftsarten zu besteuern", sagt Schick. Weniger plausibel sei allerdings, dass dies nicht im Zuge einer großen Steuerstrukturreform geschehe, sondern lediglich "einseitig" die Einnahmenseite der öffentlichen Hand diskutiert werde.
Ähnlich argumentiert die Investmentbranche. Eine neue Besteuerung von Kapitalerträgen biete auch Chancen. "Das kann ein richtiger Fortschritt sein", sagt BVI-Sprecher Andreas Fink. Dies wäre unter drei Voraussetzungen der Fall: Die Kapitalbesteuerung müsse einfacher werden. Es müsse ein "vernünftiger" Steuersatz gefunden werden, der auf "breite Akzeptanz" stößt. Letztlich dürften die Regelungen der Eigenkapitalfinanzierung und dem Finanzstandort Deutschland nicht schaden.