Lebensversicherer Der Verteilungskampf
mm.de:
Der Staat hat die Lebensversicherer lange Zeit mit Samthandschuhen behandelt: So gab es etwa während der Börsenkrise erhebliche Abschreibungserleichterungen, das Steuerprivileg währte deutlich länger als erwartet. Letzteres ist zwar weggefallen, dafür dürften aber neue Formen der staatlich unterstützten Altersvorsorge der Assekuranz Milliarden in die Kasse spülen. Nun scheint sich das Blatt zu wenden. Höchste Gerichte legen der Branche die Daumenschrauben an. Wie erklären Sie sich diese Entwicklung?
Metzler: Wir müssen hier zwischen dem Gesetzgeber und der Rechtssprechung unterscheiden. Die Gerichte haben jetzt zwei grundlegende Entscheidungen getroffen und somit die Rahmenbedingungen der Lebensversicherer neu festgelegt. Das wäre nicht nötig gewesen. Denn bereits seit 1998 bestand in der Kommission zur Änderung des Versicherungsvertragsgesetzes die Möglichkeit, diese Rahmenbedingungen abzustecken. Man hat es gleichwohl nach mehr als sieben Jahren nicht geschafft, die Arbeit der Kommission in einen Gesetzesentwurf umzusetzen. Der Gesetzgeber hat die Zeit verstreichen lassen und bekommt jetzt von den Gerichten den Rahmen vorgegeben. Die Flexibilität bei der Ausgestaltung neuer Verordnungen ist damit deutlich eingeschränkt.
mm.de: Ist der steigende Druck auf die Versicherer nicht ebenso ein Ergebnis zusehends kritischerer Kunden?
Metzler: Sicherlich. Teilweise haben die Verbraucher ja bereits schon vor zehn Jahren begonnen, sich gegen mangelnde Transparenz und bestimmte Praktiken in der Branche zu wehren. Der Weg durch die Instanzen ist lang, die Ergebnisse sehen wir jetzt.
mm.de: Die Versicherer sollen ihre Kunden stärker an den stillen Reserven der Unternehmen beteiligen, fordert das Bundesverfassungsgericht (BVG). Eine gesetzliche Lösung muss bis 2008 stehen. Die Branche reagierte auf das Urteil überraschend gelassen. Offenbar vertraut sie auf ihre bislang sehr erfolgreiche Lobbyarbeit. Zu Recht?
Metzler: Die Branche betreibt zweifellos sehr gute Lobbyarbeit. Aber die Gelassenheit täuscht. Hinter den Kulissen ist man nämlich ganz und gar nicht so gelassen.
mm.de: Sie rechnen bis 2008 also noch mit erheblichem Widerstand der Assekuranz, um die Auswirkungen des Urteils zu dämpfen?
Metzler: Davon ist auszugehen. Die Branche wird gleichwohl nicht daran vorbeikommen, die Transparenz in vielen Punkten zu verbessern, was sich auch im einzelnen Vertrag niederschlagen muss. Dabei ist sehr erheblich, ob ein entsprechendes Gesetz nur für das Neugeschäft oder die bereits bestehenden 90 Millionen Policen Anwendung findet. Die Allianz Leben ist hier bereits vorgeprescht und hat kurz nach Verkündung des BVG-Urteils erklärt, sie werde die Forderungen nach mehr Transparenz für ihren kompletten Policenbestand erfüllen.
"Womöglich Milliarden-Investitionen notwendig"
mm.de: Mit dem jüngsten Urteil zu Rückkaufswerten scheinen die Grenzen der Einflussnahme durch die Assekuranz deutlich enger gesteckt zu sein. Der Bundesgerichtshof (BGH) gab der Branche eine Formel vor, der zufolge für den Versicherten künftig mehr übrig bleiben muss, wenn er seine Police vorzeitig kündigt.
Metzler: Auch hier muss man abwarten, wie das neue Versicherungsvertragsgesetz im Ergebnis aussehen wird. Durch das Urteil verliert die Legislative natürlich an Spielraum, letztlich wird sie sich aber daran halten müssen. Für seit 1994 abgeschlossene Verträge haben sich einige Anbieter in ihren Versicherungsbedingungen die Option geschaffen, bei schwachen Kapitalmärkten oder einer überraschend ansteigenden Lebensdauer der Bevölkerung, die Rückkaufswerte der Policen deutlich zu reduzieren und somit die Garantien auszuhebeln. Das scheint nach dem BGH-Urteil so ohne weiteres nicht mehr möglich zu sein.
mm.de: Die Rückkaufswerte sind bei früher Kündigung deshalb so niedrig, weil der Kunde mit seinen Beiträgen in den ersten Jahren vor allem die Vermittlerprovision finanziert. Welche Folgen könnten höhere Rückkaufswerte für den Vertrieb haben?
Metzler: Das BGH-Urteil könnte erheblichen Einfluss auf das jetztige Vergütungsmodell des Vertriebs haben. Bislang kassiert der Vermittler die Provision in Höhe von 3 bis 6 Prozent der Versicherungssumme direkt nach Abschluss der Police. Diese Praxis könnte sich ändern, da der Versicherer die Hauptlast eines Frühstornos trägt. Es ist denkbar, dass künftig die Provision in Raten an den Vertrieb gezahlt wird. Zahlreiche Makler, Mehrfachagenten und Handelsvertreter sind jedoch auf die vorfällige Zahlungsweise der Provisionen angewiesen, da in vielen Fällen kaum Rücklagen gebildet wurden. Viele Vermittler bekämen also ein ernsthaftes Problem, da das Neugeschäft ohnehin dieses Jahr deutlich eingebrochen ist.
mm.de: Nun liegen die Gesetze noch nicht vor. Lässt sich gleichwohl abschätzen, welche finanziellen Belastungen aus den Urteilen für die Versicherer erwachsen können?
Metzler: So wie ich das BVG-Urteil verstehe, müssen die Unternehmen ihre stillen Reserven dem Kunden künftig zeitnah auszahlen. Sie werden dieses Polster also nicht mehr in gleichem Maße zum Ausgleich von Verlusten verwenden können. Damit könnten die Versicherer gezwungen sein, in Zukunft deutlich mehr Eigenkapital zu halten. Die konkreten finanziellen Auswirkungen des Urteils lassen sich aber nicht beziffern.
Sollte der Gesetzgeber das BVG-Urteil auch auf den Altbestand und nicht nur das Neugeschäft der Versicherer anwenden, und müssen die Unternehmen künftig auf Einzelvertragsebene die Gewinnquellen und stillen Reserven ausweisen, dann sind IT-Investitionen in Milliardenhöhe notwendig. Dann müssen neue Systeme zur Bestandsführung erarbeitet und umgesetzt werden. Das wird mehrere Jahre dauern. Im Grunde müsste die Branche schon jetzt damit anfangen, um in 2008 den gesetzlichen Anforderungen zu entsprechen.
"Vielleicht hat man da mit Zitronen gehandelt"
mm.de: Müssen die Kunden dieses Mehr an Verbraucherschutz und Transparenz künftig teuer bezahlen, also mit niedrigeren Garantien und Überschüssen rechnen?
Metzler: Je nach Versicherer belaufen sich die stillen Reserven, die er bezogen auf den Einzelvertrag an seine Kunden ausschütten kann, zwischen 250 und 700 Euro. Dem stehen weitere Investitionen der Unternehmen entgegen beziehungsweise die dann erhöhten Eigenkapital-Anforderungen. Von daher könnte es sein, dass man da mit Zitronen gehandelt hat. Letztlich wird die Branche zwar transparenter, aber vermutlich weniger profitabel. Darunter dürfte die Rendite leiden und damit das Produkt Lebensversicherung für den Kunden unter dem Strich unattraktiver werden.
mm.de: Die Attraktivität des Produktes könnte auch leiden, sollte sich der Verteilungskampf um die erwirtschafteten Gewinne eines Versicherers zwischen seinen Kunden und Aktionären verschärfen. Die Verteilung der Überschüsse ist per Gesetz im Verhältnis 90 zu 10 geregelt. Die Finanzaufsicht hält die Aufteilung für angemessen - wohlgemerkt für alle Überschussquellen eines Versicherers. Halten sich alle Anbieter daran?
Metzler: Nein, einige Anbieter lassen ihre Aktionäre deutlich höher an den Risiko- und Kostenüberschüssen profitieren. Für seit 1994 abgeschlossene Verträge ist das auch möglich. Generell hat sich unter den Versicherern die Einschätzung herausgebildet, dass die hälftige Aufteilung dieser beiden Überschussquellen unter den Aktionären und Kunden angemessen ist. Einige Vorstände haben sich in der Vergangenheit allerdings auch dafür stark gemacht, die Kosten- und Risikoüberschüsse künftig ganz an die Aktionäre auszuschütten.
mm.de: Welchen Anteil nehmen Kosten- und Risikoüberschüsse an den Gesamtüberschüssen eines Versicherers in etwa ein?
Metzler: Das Risikoergebnis eines Lebensversicherers ist nahezu immer positiv. Das Kostenergebnis kann auch negativ sein und hängt insbesondere von den Vertriebskosten eines Versicherers ab. Kosten- und Risikoüberschüsse zusammen können bis zu 35 Prozent des Rohüberschusses ausmachen.
"Ein harter Schlag für die Kunden"
mm.de: Folgte man den Forderungen mancher Vorstände, gingen damit 35 Prozent des Gesamtüberschusses an die Aktionäre. Das wäre ein harter Schlag für die Kunden.
Metzler: Sicher, das wäre hart. Aber es gibt die Garantiezusagen, die ja schließlich bedient werden müssen und unter die ein Versicherer auch nicht gehen wird.
mm.de: Aus Kundensicht wäre diese Entwicklung sicherlich das Wort-Case-Szenario. Wie werden sich Ihrer Einschätzung nach die Gesamtüberschüsse zwischen Aktionären und Kunden eines Lebensversicherers verteilen?
Metzler: Bei den Aktiengesellschaften ist der Druck der Aktionäre groß, für das eingegangene Risiko auch eine entsprechende Rendite zu bekommen. 15 Prozent Return on Equity ist hier der Maßstab. Deshalb dürften immer mehr Versicherer ein Verhältnis von 80 zu 20 anstreben. Das heißt, 80 Prozent der Gesamtüberschüsse gingen an den Kunden und 20 Prozent an die Aktionäre. Bei den Versicherungsvereinen, wo der Versicherte zugleich Eigentümer ist, stellt sich dieser Interessenskonflikt nicht. Hier werden vermutlich auch in Zukunft deutlich mehr als 90 Prozent der Gesamtüberschüsse an die Kunden weitergereicht werden.
mm.de: Sollten die Aktiengesellschaften die 90/10-Regel weiter aushöhlen und ihre Aktionäre künftig besser stellen, könnten die Versicherungsvereine mit noch stärkerem Zulauf rechnen, sagen Beobachter. Teilen Sie diese Einschätzung?
Metzler: Das ist durchaus möglich. Auch wenn bislang nur wenige Versicherte den Unterschied zwischen diesen beiden Rechtsformen kennen, könnte die Rechtsform Versicherungsverein beim Kunden in Zukunft eine stärkere Rolle spielen und auch verstärkt damit geworben werden.
"Finanzaufsicht prüft zehn Lebensversicherer"
mm.de: Große Lebensversicherer sehen sich zusehends dem Vorwurf ausgesetzt, sie transferierten immer mehr Kundengelder an einen Rückversicherer - zumeist den eigenen Mutterkonzern. Der ließe sich die Verwaltung des Kapitals teuer bezahlen. Kritiker wähnen hier eine konzerninterne, verdeckte Gewinnausschüttung zu Lasten des Kunden. Wie stark ist diese Praxis wirklich ausgeprägt?
Metzler: Eine verdeckte Gewinnausschüttung ist gesetzlich verboten und würde sicherlich vom Wirtschaftsprüfer beanstandet werden. Es gibt jedoch legale Bilanzierungshilfen, derer sich einige Versicherer bedienen. Darüber hinaus beobachten wir die zunehmende Praxis der Finanzrückversicherung als eine besondere Form der Rückversicherung. Hier gibt im Grunde der Rückversicherer dem Lebensversicherer einen Kredit, den der Lebensversicherer mit seinen künftig erwirtschafteten Überschüssen wieder zurückzahlt.
mm.de: Demnach poliert der Versicherer also seine Bilanz auf, und der Kunde muss dafür zahlen?
Metzler: Es gibt Anbieter, die mit Finanzrückversicherung die Eigenkapitalbasis stärken und ihre Bilanz glätten. Dieser positive Effekt ist jedoch nur kurzfristiger Natur. Mittelfristig schränkt das den Spielraum des Lebensversicherers bei der Gewinnausschüttung deutlich ein. Die Finanzaufsicht BaFin prüft derzeit bei zehn Lebensversicherern, ob diese Verträge zu Lasten des Kunden abgeschlossen wurden. Wenn dies so wäre, wird die BaFin sicher auf die Rückabwicklung dieser Verträge drängen.
mm.de: Welche Versicherer haben solche Verträge abgeschlossen?
Metzler: Finanzrückversicherung wurde eingesetzt bei der MLP Lebensversicherung und der Gerling Lebensversicherung. Hier sind die Kontrakte aus den Bilanzen ersichtlich, bei allen anderen nicht. Wie gesagt, die Finanzaufsicht prüft 10 Lebensversicherer mit derartigen Verträgen.