Seit Wochen drängen die Börsendebütanten gleich reihenweise auf das Frankfurter Parkett, und die Emissionsflut könnte noch zunehmen: Besonders kleinere Unternehmen haben die Börse als Kapitalquelle wiederentdeckt. Dabei muss sich der Aktienmarkt zunehmend dem Wettbewerb mit Private-Equity-Häusern stellen.
Frankfurt am Main - Sie sind wieder da. Nachdem im vergangenen Jahr nur eine Hand voll Unternehmen an die Börse gegangen waren, erleben Deutschlands Aktienmärkte derzeit wieder eine kleine IPO-Welle. Allein in den vergangenen vier Wochen sind die Solarfirmen Ersol, Centrosolar und Q-Cells gestartet. Aktien der Sunline AG werden am 20. Oktober erstmals gehandelt. Und die Branchenkonkurrenten Solarwatt, PV Crystalox Solar und Solarpraxis prüfen einen Börsengang in den kommenden Monaten.
Doch das neu entfachte Börsenfieber hat längst nicht mehr nur die Solarbranche erfasst. Anfang November plant das Berliner Biotechnologieunternehmen Jerini, eigene Aktien im Wert zwischen 40 Millionen und 60 Millionen Euro an Investoren zu verkaufen. Noch im Oktober strebt die Softwareschmiede Tecon das Listing im Freiverkehr der Frankfurter Börse an. Und mit Designbau und Lloyd Fonds wollen Unternehmen der Bau- und der Finanzbranche auf das Parkett.
Es scheint, als holten die deutschen Unternehmen allmählich nach, was sie in der Vergangenheit unterließen. Noch im ersten Halbjahr 2005 entfielen europaweit gerade einmal 18 Prozent der Börsengänge auf den deutschsprachigen Raum. Doch angesichts der bevorstehenden IPO-Flut könnte sich die Verteilung bald ändern.
"Der Exit über die Börse war in den letzten Jahren kaum möglich. Hier hat sich Bedarf aufgestaut. Nach einigen notwendigen Vorarbeiten streben diese Unternehmen nunmehr an die Börse", sagt Rüdiger von Rosen, Chef des Deutschen Aktieninstituts (DAI), gegenüber manager-magazin.de. Die positive Entwicklung habe sich seit Jahresbeginn abgezeichnet, hat auch Stefan Hock, Vorstandsmitglied der Baader Wertpapierhandelsbank, beobachtet.
Die größten deutschen Börsengänge 2005
Unternehmen
Datum
Branche
Volumen*
Emission**
Erstnotiz**
Kurs**
Lanxess
31.1.
Chemie
1969,12
- ***
15,75
22,70
Premiere
9.3.
Pay-TV
1847,46
28,00
30,50
22,03
Q-Cells
5.10.
Solar
1760,78
38,00
49,00
44,80
MTU Aero
6.6.
Industrie
1415,70
21,00
21,89
25,17
Conergy
17.3.
Solar
940,00
54,00
71,00
88,20
* in Millionen Euro, ** in Euro, *** Spin Off, Stand: 13.Oktober 2005
Premiere und MTU machten Weg frei
Premiere und MTU machten Weg frei
"Die Börse ist wieder deutlich aufnahmefähiger für Neuemissionen", so Hock. Erfolgreiche Großemissionen wie Lanxess, MTU Aero Engines oder Premiere hätten vielen Unternehmen zudem geholfen, ihre Zurückhaltung gegenüber der Börse aufzugeben.
Auffällig dabei, besonders kleine Unternehmen entscheiden sich mittlerweile häufiger, ihren Kapitalhunger an der Börse zu stillen. "Es ist ein Trend zu erkennen, dass sich der Kapitalmarkt zunehmend für kleinere Unternehmen öffnet", so Baader-Vorstand Hock. "Viele Small Caps haben noch Risikokapitalgeber an Bord, die nun eine gute Chance sehen, sich ertragreich von Anteilen zu trennen", erklärt Stefan Schmielewski vom Handelshaus Lang & Schwarz.
Dabei sei die Qualität der Börsenaspiranten durchaus gut. Die Kapitalgeber entließen keine windigen Neugründungen in die Hände der Anleger. "Die Aussichten der Unternehmen sind positiv. Die Börsenkandidaten sind nicht solche Luftblasen, wie beim letzten Boom", sagt Schmielewski. "Unternehmen wie Q-Cells haben auch schon vor ihrem Börsengang gute Zahlen geschrieben", so der Händler.
Defizitäre Start-ups hätten derzeit wohl auch kaum eine Chance auf einen gelungenen Börsenstart. Denn auch die Anleger schauen sehr genau hin, welche Debütanten wirklich Perspektiven versprechen. "Bei Sunline spüren wir vorbörslich beispielsweise einen regen Handel. Aber die Investoren kaufen nicht um jeden Preis, nur weil es ein Solarwert ist", so Lang & Schwarz-Händler Schmielewski.
Börsensaison in Deutschland
Unternehmen
Start
Branche
Börsensegment
Konsortium
Gesch.Vol.*
Sunline
20. Okt.
Solar
Freiverkehr
Baader
6 Mio.
Design Bau
25. Okt.
Bau
Freiverkehr
WestLB
15 - 20 Mio.
Lloyd Fonds
28. Okt.
Finanzen
Prime Standard
DZ Bank, M.M. Warburg
150 Mio.
Tecon
Okt./Nov.
Software
Prime Standard
Equinet
Niedr. zweistell. Mio.
Jerini
Okt./Nov.
Biotech
Prime Standard
Deutsche Bank, CSFB, WestLB, Fortis
40 - 60 Mio.
* in Euro. Stand: 13. Oktober 2005
Auftritt der Institutionellen
Auftritt der Institutionellen
Dass mancher Börsendebütant der vergangenen Wochen auch mit fallenden Kursen Bekanntschaft machte, mag die Börsenexperten nicht beunruhigen. "Mich betrübt es überhaupt nicht, dass es bei den jüngsten Börsengängen keine Kursexplosionen gab", sagt DAI-Chef von Rosen. "Das verhindert, dass die Anleger wieder in Börseneuphorie ausbrechen, wie wir sie vor einigen Jahren schon einmal erlebt haben."
Die größere Rolle auf der Käuferseite spielen derzeit allerdings ohnehin die institutionellen Investoren. Ein zentraler Grund für die neue Börsenbegeisterung ist nach Expertenmeinung das Interesse internationaler Großanleger an deutschen Firmen.
"Viele institutionelle Investoren aus dem Ausland haben ihre Risikoscheu der vergangenen Jahre abgelegt", sagt beispielsweise Thomas Maier, Aktienfondsmanager bei Union Investment. "Deutschlands Banken haben seit einigen Monaten entsprechende Hinweise von Profianlegern bekommen. Die Banker sprechen dann natürlich ihre Firmenkunden an, ob sie in dieser Phase nicht über einen Börsengang nachdenken wollen."
Das Interesse vieler ausländischer Großanleger an deutschen Aktien spiegelt sich nach Maiers Meinung auch in der Entwicklung des Deutschen Aktienindex (Dax) wider. "Das wichtigste Frankfurter Börsenbarometer hat allein seit Anfang dieses Jahres 16,5 Prozent an Wert hinzugewonnen, und noch immer ist genügend Liquidität im Markt", sagt Maier zu manager-magazin.de.
Dabei schielen die internationalen Investoren längst nicht mehr nur auf die Blue Chips. "Viele Institutionelle suchen sich inzwischen gezielt die Wachstumsperlen unter den kleineren Unternehmen. Das Small-Cap-Segment ist in den Fokus gerückt", sagt Baader-Vorstand Hock.
Die für Börsengänge zuständigen Investmentbanker in Deutschland sind dennoch nicht ganz zufrieden mit dem aktuellen Geschäft, denn die Börse hat Konkurrenz bekommen. "Manche Unternehmer verkaufen ihre Firmen bereits lieber an Private-Equity-Unternehmen, anstatt sie an die Börse zu bringen", hat Union-Investment-Fondsmanager Meier beobachtet.
Neues Segment lockt Mittelständler
Neues Segment lockt Mittelständler
Solange die Zinsen niedrig seien könnten diese Unternehmen genug Kapital zu günstigen Preisen zusammenbekommen, um den Familienunternehmern ein attraktives Kaufangebot für ihre Firmen unterbreiten zu können. Unter dem Strich böten Private-Equity-Unternehmen dann sogar mehr Geld, als die Unternehmer durch einen Börsengang erlösen könnten. "Die Börse hat derzeit einen ernsten Wettbewerber", sagt Meier.
Besonders interessiert an der neuen Alternative zum Börsengang scheinen derzeit Firmenbesitzer, die ihr Unternehmen komplett verkaufen möchten. "In diesem Bereich hat die Börse Transaktionen an Private-Equity-Anbieter aber auch an strategische Investoren verloren", bestätigt Martin Hörstel, Managing Director Equity Capital Markets bei der Deutschen Bank, gegenüber manager-magazin.de.
Hörstel rechnet für die kommenden Monate dann auch nicht mit einer Flut weiterer Börsengänge. Zudem habe sich jetzt auch noch das Klima an Deutschlands Aktienmarkt verschlechtert. "Noch in den Sommermonaten lief es auf dem Frankfurter Parkett sehr gut, jetzt ist es schlagartig schwieriger geworden", hat der Deutsche-Bank-Experte festgestellt. Manche Börsendebütanten konnten am Tag ihrer Erstnotiz nur knapp ihren Ausgabepreis halten, und selbst die Kurse der zuvor gut gestarteten Neuemissionen sanken zuletzt. "Vier bis fünf Börsengänge sollten wir in den nächsten Wochen noch erleben, aber einen Börsenhype wird es wohl eher nicht geben", sagt Hörstel.
Die Deutsche Börse gibt sich da weitaus selbstbewusster. "Wir erwarten bis zu 20 Notierungen bis Jahresende", so Rainer Riess, Managing Director der Frankfurter Wertpapierbörse. Denn das neue Handelssegment "Entry Standard", das Ende Oktober startet, mache es gerade kleineren Unternehmen besonders leicht, Zugang zur Kapitalquelle Börse zu finden.
Diesen Optimismus teilt auch Lang&Schwarz-Händler Schmielewski. "Das Entry-Segment macht den Börsenhandel für kleinere Unternehmen attraktiver, weil mit dem IPO nicht mehr ein riesiger Apparat und Aufwand verbunden ist." Und DAI-Chef von Rosen sekundiert: "Wir haben seit Jahren ein solches Segment gefordert. Wir müssen die Unternehmen vor, während und nach dem Börsengang besser begleiten und beraten als beim Neuen Markt." Sollte sich diese Empfindung auch bei den angesprochenen Kapitalmarktaspiranten durchsetzen, könnte die IPO-Welle in den kommenden Monaten sogar noch an Fahrt gewinnen - und der Börse im Wettbewerb mit den Private-Equity-Häusern wieder einen Vorsprung verschaffen.