Europas Handelsplätze sind für Aktienplatzierungen attraktiver als die US-Märkte. Der Kapitalzufluss an die europäischen Börsen ebbt nicht ab. Davon profitiert auch Deutschland. 2006 wird ein noch besseres IPO-Jahr, meinen die Experten von Morgan Stanley.
Frankfurt am Main - Europas Aktienmärkte haben die amerikanischen bei Kapitalmarkttransaktionen wie Börsengänge vom ersten Platz verdrängt. Das Emissionsniveau an Europas Börsen (Erst- und Zweitplatzierungen von Aktien, Kapitalerhöhungen, Platzierungen von Aktienpaketen) übertrifft allein dieses Jahr das der amerikanischen um etwa ein Viertel.
"Nur fünf der Top-40-Transaktionen werden dieses Jahr von US-Emittenten platziert", sagte Stefan Gratzer, Executive Director bei der Investmentbank Morgan Stanley (London) und verantwortlich für die Emissionen in Deutschland, Österreich und der Schweiz. Auch 2006 werde Europa für Aktienplatzierungen attraktiver sein als die USA, erklärte Gratzer, der die Studie "Europe Coming of Age" jetzt vorstellte.
Wichtigste Antreiber für die rege Emissionstätigkeit am europäischen Kapitalmarkt seien die Auflösungen der Überkreuzbeteiligungen, große Privatisierungen und das steigende Finanzierungsvolumen für Übernahmen und Fusionen angesichts der im Vergleich zu den USA niedrigen Börsenbewertung von Unternehmen. Die Londoner Börse habe sogar die US-amerikanische Nyse als erste Wahl für IPOs von Unternehmen vor allem aus den Emerging Markets wie Osteuropa abgelöst.
Regulierungsvorschriften schrecken die Unternehmen ab
Der Studie zufolge waren bis Mitte Juli dieses Jahres an der Nyse von den 1836 notierten Aktien 448 ausländische Papiere, während es an der London Stock Exchange (LSE, einschließlich des Wachstumsmarktes AIM) 3875 waren, davon 515 nichtbritische Unternehmen.
Europa schlägt die USA: Nyse und LSE im Vergleich
Jahr
New York Stock Exchange (Nyse)*
London Stock Exchange
(LSE inkl. AIM)*
2005
2284 (448)
4390 (515)
2004
2293 (459)
3858 (467)
2003
2308 (466)
3446 (441)
2002
2366 (472)
3528 (469)
2001
2400 (461)
2961 (451)
2000
2862 (433)
2898 (479)
* Gesamtzahl der gelisteten Unternehmen (in Klammern ausländische Unternehmen); Quelle: World Federation of Stock Exchanges, Stock Exchange Website; Stand: Juli 2005
"Die Regulierungsvorschriften an der New York Stock Exchange, vor allem die Sarbanes-Oxley-Richtlinien, schrecken die Unternehmen ab", erklärte Gratzer. Etwa vier bis fünf Millionen US-Dollar koste ein Unternehmen die Erfüllung der Regulierungsvorschriften. Deshalb steige mittlerweile die Nachfrage nach Notierungen amerikanischer Unternehmen vor allem an der britischen, aber auch an deutschen Börsen.
Deutscher IPO-Markt gewinnt an Fahrt
London in Europa unangefochten die Nummer eins
Hauptmarkt für Emissionen in Europa bleibe unangefochten London, allerdings nehme auch der deutsche Markt wieder Fahrt auf. Neun Unternehmen sind bis Mitte Oktober erstmals im Prime Standard notiert worden; der TV-Sender Premiere ist mit einem Volumen von 1,6 Milliarden US-Dollar das größte IPO in Deutschland und das sechstgrößte in Europa. 14 deutsche Unternehmen haben die Notierung im Freiverkehr aufnehmen lassen.
"Ich erwarte ein starkes IPO-Jahr 2006 in Deutschland wie in ganz Europa", zeigte Gratzer sich zuversichtlich. Großvolumige Neuemissionen wie Springer Science (Medien) und Cognis (Spezialchemie) seien in Deutschland relativ sicher. Hinter einer Platzierung von Aktien der Immobilienbank Eurohypo, dem Kohleunternehmen RAG oder der Bahn müsste noch ein Fragezeichen gesetzt werden.
Platzierungsprobleme bei hochvolumigen Emissionen befürchtet der Investmentbanker indes nicht. Die Liquidität der Investoren sei sehr hoch, so dass auch die Nachfrage nach großen Börsengängen vorhanden sei.
Morgan Stanley erwartet für Europa starkes IPO-Jahr 2006
Die Anzahl der Transaktionen werde im kommenden Jahr kräftig steigen. Einen Branchenschwerpunkt könne Gratzer nicht ausmachen, aber eine leichte Verschiebung der treibenden Kräfte. So seien bereits zu etwa drei Viertel die Überkreuzbeteiligungen aufgelöst, so dass das Volumen bei der Platzierung von Aktienpaketen bei Investoren nachgeben werde.
Die 10 weltweit größten Börsengänge 2005
Rang
Datum
Unternehmen
Land
Emissions-
volumen*
1
08.07.
Gaz de France
Frankreich
5,4
2
08.06.
China Shenhua Energy
China
3,3
3
17.06.
Bank of Communications
China
2,2
4
27.06.
Party Gaming
Großbritannien
1,9
5
10.02.
Huntsman
USA
1,6
6
09.03.
Premiere
Deutschland
1,6
7
09.02.
AFK Sistema
Russland
1,6
8
22.04.
Raiffeisen International
Österreich
1,5
9
25.06.
Cosco Holdings
China
1,3
10
19.07.
RHM
Großbritannien
1,2
* in Milliarden Dollar; Stand: Mitte Juli 2005, Quelle: Bloomberg
Dafür aber würden vor allem die Platzierungen von Aktien aus dem Besitz von Private-Equity-Fonds zunehmen, erwartet Morgan Stanley. "Etwa die Hälfte der IPOs werden bereits von Private Equities angestoßen, die ihre Anteile am Markt weiterverkaufen. Tendenz steigend", sagte Gratzer.