Handelsstreit "Es geht längst nicht mehr um billige Hemden aus China"
mm.de:
Die Drohung der USA, künftig Schutzzölle auf chinesische Textilimporte zu erheben, hat den Dollar in die Knie gezwungen und den Euro auf ein Allzeithoch getrieben. Unter dem Kräftemessen zwischen China und den USA scheint nun vor allem die europäische Volkswirtschaft zu leiden.
Vorndran: Mit ihrer aggressiven Rhetorik gegenüber China trifft die USA in der Tat derzeit den Falschen. China wird nach unserer Einschätzung auch in den kommenden Jahren nicht zulassen, dass die eigene Währung zu stark steigt. Die massiven Dollar-Käufe der asiatischen Staaten sind ein Beleg für diese aktive Wechselkurspolitik.
Der Abwertungsdruck des US-Dollar entlädt sich daher neben dem Yen vor allem über dem Euro, da die EZB im Gegensatz zu vielen asiatischen Notenbanken die Wechselkurse nicht aktiv steuert. Die Aufwertung des Euro mindert wiederum die Exportchancen der Europäischen Volkswirtschaft - eine Volkswirtschaft, die derzeit ohnehin ein nur sehr schwaches Wachstum aufweist.
mm.de: China und Japan, aber auch Taiwan und Südkorea haben in diesem Jahr massiv Dollar gekauft, um die Aufwertung der eigenen Währungen zu bremsen. China verfügt inzwischen über rund 400 Milliarden US-Dollar Devisenreserven - das wird nur noch von Japan mit knapp 600 Milliarden Dollar übertroffen. Wird diese Interventionspolitik nicht langsam zu teuer?
Vorndran: China braucht einfach noch einige Jahre Zeit, um vor einer weiteren Öffnung des Landes zum Beispiel sein Finanz- und Sozialsystem in Ordnung zu bringen. Das chinesische Regime hat am Beispiel Japan und Russland lebhaft vor Augen, was passieren kann, wenn ein Land sich zu schnell öffnet. Deshalb wird China auch seine Wachstumsdynamik bremsen, um eine Überhitzung zu vermeiden und bis auf weiteres auch an dem System eines festen Wechselkursbandes des chinesischen Renminbi gegenüber dem US-Dollar festhalten.
Außerdem sind 400 Milliarden US-Dollar Devisenreserven ein gewichtiges Pfand, das China beim Kräftemessen mit den USA einzusetzen weiß: Das Geld ist überwiegend in kurzfristigen US-Anleihen angelegt, und die USA kann kein Interesse daran haben, dass China einen Großteil dieser Reserven binnen kurzer Zeit auf den Markt wirft. Hier messen zwei starke Parteien ihre Kräfte: Die Diskussion über eine unterbewertete chinesische Währung und billige chinesische Importe sind nur ein Teil dieses Kräftespiels.
"Die Schlacht um billige Waren ist längst verloren"
mm.de: Zölle für chinesische Importe sind also eher politische Drohgebärde?
Vorndran: Es geht längst nicht mehr um billige Nachthemden, Strickwaren oder Schuhe aus China. Diesen Kampf haben die entwickelten Industriestaaten längst verloren. Es geht um die mögliche Auslagerung hoch qualifizierter Arbeit: Wenn in den kommenden Jahren zum Beispiel auch Ingenieurleistungen in die so genannten "Billiglohnländer" verlagert werden, bekommen die USA wie auch Europa ein massives Problem.
Sollten nach der Produktion von Massenwaren bald auch die teuren Dienstleistungen überwiegend nach Asien verlagert werden, dürften die entwickelten Industriestaaten an den Rand gedrängt werden. Die Alte Welt kann ihre Sozialsysteme und ihren Lebensstandard nur dadurch finanzieren, dass sie einen Forschungs- und Entwicklungsvorsprung bewahrt und gut bezahlte Arbeitsplätze im Land behält. Da sich die Marktmacht nun aber Richtung Asien verschiebt, reden ausgerechnet die entwickelten Länder, die bis in die 90er Jahre die zollfreie Welt ausgerufen haben, jetzt wieder über die Wiedereinführung von Zöllen.
mm.de: Das Problem wird sich über Zölle aber nicht lösen lassen.
Vorndran: Nein, und derart einfache Drohgebärden beeindrucken auch China nicht mehr. Statt Handelsbeschränkungen auszurufen, sollte man versuchen, sich auf Veränderungen langfristig einzustellen und Konflikte gütlich zu bereinigen. Für die USA und Europa könnte das bedeuten, mehr für die eigene Bildung, Forschung und Entwicklung zu tun.
Die Aufholjagd der asiatischen Staaten wird durch Handelsbeschränkungen oder Währungsdiskussionen kaum aufzuhalten sein - aber die Kritik aus den USA an China richtet sich auch eher an das eigene Wahlvolk. Innerhalb der USA kommt dieser Kurs offenbar recht gut an. Ein schwacher Dollar ist für die US-Wirtschaft derzeit auch kein Problem, er hilft sogar beim Abbau des Leistungsbilanz-Defizits.
mm.de: Devisenhändler wetten bereits darauf, dass der Euro bald die Marke von 1,20 US-Dollar knacken wird. Wie sehen Sie die Entwicklung?
Vorndran: Aus unserer Sicht kann der Euro auf Zwölf-Monats-Sicht sogar die 1,25 Dollar erreichen. Allerdings wäre dann der Zeitpunkt für die EZB gekommen, statt über eine Zinserhöhung wieder über eine Zinssenkung nachzudenken: Die Inflationsgefahr dürfte bei einem derart festen Außenwert des Euro vom Tisch sein.