Kapitalströme Bye bye USA?
"God´s own country" nennen viele US-Amerikaner ihr Heimatland. Dieses Selbstbewusstsein wird durch die globale Anlegerschar gestärkt, die die Vereinigten Staaten zum beliebtesten Anlageort der Welt erkoren und über Jahre mit massiven Kapitalströmen überschüttet haben. Wo sollte sich besser Geld verdienen und vermehren lassen als in den USA? Selbst die Terroranschläge und das gigantische Leistungsbilanzdefizit von rund 400 Milliarden Dollar pro Jahr haben dieses Urvertrauen nicht gestört: Rund 530 Milliarden Dollar haben Ausländer im Jahr 2001 in amerikanische Anlageformen investiert. Die Amerikaner konnten in "God´s own country" also weiterhin mehr Geld ausgeben, als sie eigentlich haben.
Teure Aktien, fragwürdige Gewinne: Der Glanz verblasst
Doch der Glanz der USA als Top-Anlageort verblasst. Nach Bilanzskandalen à la Enron trauen viele Investoren der Buchführung amerikanischer Konzerne nicht mehr. Zusätzlich sind Anleger von den Unternehmensgewinnen enttäuscht, die nach Berechnung von Standard & Poor´s im ersten Quartal durchschnittlich zwölf Prozent unter dem Vorjahresniveau lagen. Der Aufschwung werde sich nicht so schnell und rasant vollziehen wie erhofft, warnte Notenbankchef Alan Greenspan erst vor einigen Tagen. Das eindrucksvolle Wachstum des amerikanischen Bruttoinlandsprodukts (BIP) im ersten Quartal musste nach unten korrigiert werden und dürfte auch kein Maßstab für das Wachstum im Gesamtjahr sein. Weiterer Bremsklotz für Investoren ist die hohe Bewertung amerikanischer Aktien. Gemessen am Kurs-Gewinn-Verhältnis sind sie immer noch deutlich teurer als europäische Werte. "Die Kapitalzuflüsse lassen nach", bemerkt Robert Sinche, Währungsstratege der Citigroup in New York.
Selbst Warren Buffett wettet gegen den Index
Trendwende selbst Warren Buffett wettet gegen den Index
Dies führt dazu, dass nach Berechnungen von UBS Warburg im Zeitraum von Februar 2001 bis Februar 2002 "nur" noch 460 Milliarden Dollar aus dem Ausland in die USA geflossen sind. Anleger schauen sich nach günstigen, weniger riskanten Alternativen in Europa und in den Schwellenländern um. Tim Stewart, Währungsexperte bei Morgan Stanley, sieht den "Beginn einer Trendwende": Sogar die einheimischen Investoren tendierten dazu, ihre Depots stärker global auszurichten und würden immer häufiger in Europa und Asien fündig.
Selbst Investmentguru Warren Buffett traut amerikanischen Aktien nicht mehr viel zu: Während der Hauptversammlung seiner Investmentholding Berkshire Hathaway verkündete Buffett den erstaunten Anlegern, dass er Verkaufsoptionen auf den S&P 500 erworben und damit einen kräftigen Gewinn in Höhe von 60 Millionen Dollar gemacht habe. Normalerweise meidet das "Orakel von Omaha" derlei Spekulationen und begibt sich lieber auf die Suche nach günstig bewerteten Aktien mit guten Gewinnaussichten. Doch auf dem US-Markt scheint er derzeit trotz des Kursrutsches an den Börsen dabei kaum fündig zu werden.
"Alles, nur nicht Amerika"
Unterdessen sehen sich immer mehr Fondsmanager nach Anlagemöglichkeiten außerhalb der USA um. Einer Umfrage der US-Investmentbank Merrill Lynch zufolge wachsen vor allem die Zweifel an den ausgewiesenen und prognostizierten Unternehmensgewinnen. Und die Sorgen um fehlerhafte Bilanzen treiben die Börsenprofis aus dem US-Markt. " 'Alles, nur nicht Amerika', scheint derzeit die Devise der institutionellen Anleger zu sein", sagt David Bowers, Verfasser der Studie und Chief Global Investment Strategist bei Merrill Lynch.
Von 293 Fondsmanagern, die zu ihren Erwartungen bezüglich kommender Unternehmensgewinne befragt wurden, gaben nur 22 Prozent an, dass diese in Amerika am besten ausfallen sollten. Anfang des Jahres sprachen sich noch 42 Prozent für die USA aus. Deutlich aufgeholt haben die Schwellenländer. In den Emerging Markets wie Südkorea, Taiwan und China sind nun 39 Prozent der Befragten zufolge die besten Gewinne zu erwarten gegenüber 27 Prozent vor vier Monaten.
Studie - Schwellenländer und Europa gefragt
Merrill-Lynch-Studie mit schlechten Noten für Amerika
Einen deutlichen Vertrauensverlust erlitten die US-Konzerne auch hinsichtlich der Qualität ihrer Unternehmensgewinne. Darunter verstehen die Fondmanager die Schwankungsanfälligkeit, Vorhersehbarkeit und Transparenz der Ergebnisse. Zwar vergeben immer noch 33 Prozent der befragten Investoren den amerikanischen Unternehmen Bestnoten, dies liegt jedoch deutlich unter der Marke von 57 Prozent, die noch im Januar dieses Jahres ermittelt wurde.
Angesichts dieser Zahlen "erstaunt es nicht, dass der US-Aktienmarkt als relativ teuer im Vergleich zum Weltmarkt angesehen wird", heißt es in der Merrill-Lynch-Studie. 63 Prozent der befragten Fondsmanager halten US-Titel für die am höchsten bewerteten, lediglich drei Prozent sehen die Anteilsscheine mit den höchsten KGVs in der Eurozone. Befragt nach den Regionen, in denen Aktien am stärksten unterbewertet sind, sprachen sich die meisten für die Emerging Markets aus, gefolgt von Japan und der Eurozone.
Umschichtungen: Schwellenländer, Japan und Europa gefragt
Das hohe Kursniveau in den USA scheint nun auch zu Umschichtungen auf den Weltmärkten zu führen. 43 Prozent der befragten institutionellen Investoren, die ein Fondsvolumen von insgesamt 727 Milliarden Dollar verwalten, gaben an, in den kommenden zwölf Monaten den US-Markt in ihren Portfolios unterzugewichten. Oben auf der Kaufliste stehen dagegen Unternehmen aus den Emerging Markets, Japan und Europa.
Und auch der Dollar verliert an Attraktivität. 71 Prozent der Fondsmanager sehen in dem Euro die beste Währung für die kommenden zwölf Monate, 62 Prozent halten die Einheitswährung für unterbewertet. Wenig Potenzial wird dagegen der US-Währung zugetraut. Experten von Morgan Stanley oder UBS Warburg erwarten, dass ein Euro bereits in diesem Jahr wieder einen Dollar wert sein wird. So weit wollen die Analysten von Merrill Lynch nicht gehen. Der Euro werde zum Jahresende zwischen 94 und 96 US-Cent gesehen, nicht jedoch in der Parität zum Dollar.
Der schwache Dollar - Chance und Risiko
Der schwache Dollar und die Folgen
Doch selbst wenn der Euro bis Dezember nicht die Parität zum Dollar erreicht, die Aufholjagd der Gemeinschaftswährung verunsichert die US-Investoren nachhaltig. Mit jeder weiteren Schwäche des amerikanischen "Greenback" würden Investments in den USA unattraktiver, so die Befürchtung. Ob dies allein die Anleger bereits in Scharen aus dem Dollar-Raum treibt, bleibt jedoch dahingestellt: Viele Investoren interpretieren die jüngste Rallye der Gemeinschaftswährung nicht als Euro-Stärke, sondern als Dollar-Schwäche. Noch setze Europa zu wenig eigene positive Impulse, um den USA den Rang abzulaufen.
Risiko für die Exportwirtschaft
Denn für viele europäische Volkswirte ist selbst die Stärke der eigenen Währung Anlass, sich Sorgen zu machen. Ein schwacher Dollar sei eine Gefahr für die europäische Wirtschaft, mahnen sie. Ein Dollarverfall werde die Export-Industrie empfindlich treffen, da sich die Ausfuhren in die USA dadurch deutlich verteuerten. Die europäischen Auto- und Pharmakonzerne zum Beispiel erzielen mehr als 40 Prozent ihrer Umsätze in Nordamerika. Der Deutsche Aktienindex Dax, in dem sich viele Auto-, Chemie- oder Technologietitel finden, sei bei einer Verteuerung der Exporte besonders verwundbar. Die Strategen von UBS Warburg haben das Dax-Kursziel für das Jahresende auf Grund der aktuellen Dollarschwäche bereits von 5750 Zählern auf 5400 Punkte gesenkt.
Bill Dudley, Chefvolkswirt von Goldman Sachs, stößt in das gleiche Horn. Der Dollareinbruch Mitte der 80er Jahre sei der entscheidende Faktor für den Aktiencrash 1987 gewesen, so Dudley. Die US-Börse bleibt nun einmal die globale Leitbörse: Auch ein starker Euro dürfte die europäischen Börse vor Schockwellen aus den USA nicht schützen. Sobald die Wall Street huste, so die Argumentation der Pessimisten, verfallen die europäischen Märkte in Fieberkrämpfe.
Chancen für Europa bleiben
Analysten warnen jedoch vor Schwarzmalerei. Ein wenig amerikanisches Selbstbewusstsein täte auch den Europäern gut. Die Abhängigkeit vom Dollar sei auch bei den deutschen Unternehmen im Laufe der Jahre geringer geworden, da Konzerne wie DaimlerChrysler, Bayer oder Deutsche Bank zunehmend global agierten. Außerdem dürfte es für die Kapitalmärkte keine Überraschung mehr sein, dass etwas Luft aus dem Dollar gelassen wird, sagt Klaus Lüpertz, Analyst bei HSBC Trinkaus & Burkhardt. Viele exportorientierte Unternehmen hätten ihre Geschäfte entsprechend abgesichert und in ihren Gewinnprognosen berücksichtigt, dass der Dollar gegenüber dem Euro etwas nachgeben dürfte.
Mit einem stärkeren Euro schwinden außerdem die Inflationssorgen in Euroland. EZB-Chef Wim Duisenberg hatte noch vor wenigen Wochen vor einem Anstieg der Inflation gewarnt. Die EZB ließ nach ihrer Sitzung am 6. Juni die Zinsen jedoch unverändert. Ein schwacher Dollar belastet zwar die europäische Exportindustrie, sorgt jedoch gleichzeitig für eine Verbilligung der Energiepreise, die in Dollar verrechnet werden. Sollte tatsächlich in Zukunft mehr Kapital aus USA nach Europa und Asien fließen, würde dieser Zustrom die Gewinnsorgen der exportorientierten Unternehmen mehr als ausgleichen, meinen Analysten der Commerzbank. Frisches Geld bringt auch neue Chancen für die europäischen Märkte: Eine Annäherung der Bewertungen dürfte langfristig auch im Interesse der amerikanischen Wettbewerber sein, zumal die ausländischen Geldquellen auch in Zukunft nicht versiegen werden. Die US-Unternehmen sind selbstbewusst und leistungsstark genug, um eine Neuverteilung der Geldströme zu verkraften.