Ölpreis Aufschwung in Gefahr
Ein längst tot gewähntes Schreckgespenst kehrt zurück. Nicht Bären, Bilanzfälscher oder platzende Spekulationsblasen zwingen derzeit den Aktienmarkt in die Knie, sondern Öl. Als "Waffe" eingesetzt, könnte der Konjunkturschmierstoff das noch zarte Wirtschaftswachstum empfindlich treffen. Hoffnungen auf eine Hausse wären damit zunichte gemacht.
Die Außenminister Iraks und Irans haben die Erinnerungen an das Ölembargo von 1973 geweckt. Sie drohten damit, Öl als "effektives" Druckmittel im eskalierenden Konflikt zwischen Israel und den Palästinensern einzusetzen. Zwar wiegelten die einflussreichen Opec-Staaten Saudi-Arabien und Kuwait ab, doch der Markt reagierte nervös: Bis auf knapp 28 Dollar pro Barrel (154 Liter) kletterte der Preis. Im Vergleich zum Jahresanfang ist das eine Steigerung von rund 35 Prozent.
Schreckgespenst Golf-Krieg
Weitere Unruhe schürt US-Präsident George W. Bush. Noch gilt seine Warnung an die "Achse des Bösen" als Säbelrasseln, doch ein militärischer Schlag gegen den Irak gilt unter politischen Beobachtern als nicht ausgeschlossen. Und das "wäre nicht hilfreich, um einen Boykott abzuwenden", sagt Klaus Matthies vom Hamburgischen Weltwirtschafts-Archiv (HWWA). Denn sollten die USA Israel weiter im Kampf gegen die Palästinenser unterstützen und eine militärische Offensive im Nahen Osten starten, würden die Ölpreise weiter klettern und auf einem hohen Niveau verharren, warnen Ökonomen. Wie schnell das gehen kann, verdeutlichte der Golfkrieg. Im August 1990 schnellte der Preis nach dem Einmarsch irakischer Truppen in Kuwait auf 40 Dollar. Nur sechs Monate später wurde das Barrel wieder für 19 Dollar gehandelt.
Derzeit scheint Matthies zufolge eine konzertierte Aktion der Opec jedoch unwahrscheinlich, es sei denn, "die Eskalation geht weiter, so dass die arabischen Staaten sich zu einem Boykott gezwungen sehen". Unruhen im Nahen Osten könnten auch Sabotageakte auf Förderanlagen nach sich ziehen. Bislang habe die Opec jedoch versichert, nicht mehr auf die Boykott-Politik der 70er Jahre zu setzen. Und bei einem Ende der Krise sollte der Ölpreis wieder fallen. "Es wird schon wieder Vernunft einkehren", meint Matthies.
EZB warnt vor der Preisspirale
Eine Entspannung ist derzeit aber noch nicht abzusehen. Und selbst Wim Duisenberg, Chef der Europäischen Zentralbank (EZB), warnt vor der Preisspirale: "Wenn der Ölpreis weiter nach oben geht, ist das eine Gefahr für die Inflation und die Produktion", sagte Duisenberg am Donnerstag in Frankfurt. Die Teuerungsrate im Euroraum liegt nach Angaben der EZB auf Grund der gestiegenen Ölpreise bereits jetzt höher als erwartet. Eine Gefährdung des Konjunkturaufschwungs sieht Duisenberg jedoch noch nicht.
Und auch der deutsche Wirtschaftsminister Werner Müller gibt sich gelassen. Erst wenn der Ölpreis längere Zeit über 30 Dollar pro Barrel notiere, gäbe es ein "gewisses Problem". Der gegenwärtige Preis liege in einer noch akzeptablen Bandbreite.
Die Macht des Kartells
Die Macht des Kartells
Etliche Analysten haben ihre Erwartungen indes schon revidiert. Die Investmentbank Merrill Lynch verwies auf die Spannungen in Nahost und hat ihre Prognosen für den durchschnittlichen Ölpreis für das laufende Jahr nach oben geschraubt. Zudem sei das derzeit knappe Angebot auf dem Weltmarkt darauf zurückzuführen, dass die Opec sich "erstaunlich" streng an seine selbst auferlegten Förderbegrenzungen halte. Das Kartell strebt einen Richtpreis zwischen 22 und 28 Dollar an.
Klaus Breil, Rohstoffexperte und Leiter im Bereich Globale Aktienfonds bei der Fondsgesellschaft Adig, moniert dagegen, dass die "Brokerbranche hier noch hinterherhinkt". In ihren Prognosen würden häufig noch Ölpreise von 18 bis 22 Dollar einkalkuliert. Dabei müsse die Range auf 23 bis 26 Dollar angehoben werden. Eine neue Ölkrise sieht Breil dennoch nicht, denn "je höher der Ölpreis und je länger er hochgeht, desto rentabler werden die Nicht-Opec-Vorkommen". Damit würde die Opec, die als Kartell gut funktioniere und ein wichtiger Marktfaktor sei, künftig einen deutlich geringeren Anteil zur weltweiten Ölförderung beitragen. Derzeit sprudeln rund 38 Prozent des weltweit geförderten Rohöls aus Opec-Quellen.
Wirtschaftskrise und Ölpreisschock 2000
Aber auch wenn die Lieferung des Öls gesichert ist: Ausschlaggebend für die Wirtschaftsentwicklung ist auch das Preis- und Zinsniveau. Ein hoher Ölpreis zieht die Inflationsrate nach oben. Diese wird von Notenbanken häufig mit Zinserhöhungen bekämpft. Eine Zinssenkung zur Ankurbelung der Konjunktur und Kapitalmärkte ist damit verwehrt. Nach Berechnungen der Organisation für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung (OECD) drückt in den westlichen Industriestaaten ein um zehn Dollar höherer Ölpreis das Wirtschaftswachstum um rund einen halben Prozentpunkt. Die jüngste Wirtschaftskrise war nach Ansicht von Ökonomen auch ein Resultat des Ölpreisschocks des Jahres 2000.
Gewinner der Krise
Thomas Mayer, Director of Euroland Economic Research bei Goldman Sachs, setzt den Effekt eines steigenden Ölpreises mit einer Steuererhöhung gleich, da Unternehmensgewinne und die Kaufkraft der privaten Haushalte sinken: "Damit würden Konsum- und Investitionswachstum schwächer ausfallen als allgemein erwartet."
Die politischen Unsicherheiten in Nahost und die daraus resultierenden Ölpreissteigerungen und Gefahren für die Konjunktur haben jedoch auch positive Auswirkungen. So stiegen die Aktien von Unternehmen, die das schwarze Gold fördern, kräftig an. Und auch das echte Gold steht bei Investoren wieder hoch im Kurs. Seit jeher gilt das Edelmetall als sicherer Hafen in Krisenzeiten.