Branchenfokus Wer hält den schwarzen Peter?
Nach Schätzungen der Deutsche Bank Research beträgt der Anteil der Energiekosten an den Gesamtkosten in der deutschen Industrie rund zwei Prozent. Nicht viel, möchte man meinen. Doch das schwarze Gold bleibt bei einem absolut steigenden Verbrauch Schmierstoff der Konjunktur, obwohl die Industriestaaten verstärkt auf andere Energieformen ausweichen.
Empor schnellende Ölpreise vergrätzen nicht nur Autofahrer, sondern treiben allgemein die Energiekosten in die Höhe. Sie schieben die Teuerungsrate an, die Zentralbanken im Zweifelsfall mit höheren Zinsen bekämpfen. Dies gilt als Gift für Konjunktur und Aktienkurse.
Öl als Waffe? Ölpreis bleibt ein Orakel
Experten schätzen gegenwärtig die Gefahr, dass die arabischen Staaten vor dem Hintergrund des sich zuspitzenden Nahost-Konflikts "Öl als Waffe" einsetzen könnten, als relativ gering ein. Doch sollte der Konflikt eskalieren und der Ölpreis weiter ansteigen, könnten sich alle Wachstumsprognosen, die von einem Preis für das schwarze Gold von 20 bis 25 Dollar je Barrel ausgehen, als hinfällig erweisen.
Prognosen über die Ölpreisentwicklung sind mit einer gebührenden Distanz zu bewerten. Denn nicht zuletzt wegen politischer Faktoren ist kaum ein Markt so volatil wie der Ölmarkt. Die Börse als Seismograph hingegen reagiert sensibel. Aktien vor allem von Fluggesellschaften und teilweise auch von Chemiekonzernen geben nach, sobald neue Hiobsbotschaften oder Drohgebärden aus dem Nahen Osten bekannt werden. Ölwerte dagegen verzeichnen kräftige Aufschläge.
Chemiebranche in der Kostenfalle
Chemiebranche in der Kostenfalle
Wegen der schwer voraussagbaren Entwicklung des Ölpreises sind die Folgen für Branchen, die per se hohe Energiekosten haben oder viel Rohöl benötigen, nicht leicht einzuschätzen. Dies gilt umso mehr, als Unternehmen zunehmend versuchen, sich mit Termingeschäften gegen starke Preisschwankungen beim Rohöl abzusichern. Gleichwohl rücken angesichts steigender Rohöl- und Energiekosten mehrere Branchen in den Fokus der Experten.
Besonders die chemische Industrie hängt am Rohöl-Tropf. Dauerhaft hohe Ölpreise etwa im Bereich der Weiterverarbeitung könnten eklatante Auswirkungen haben, befürchten Analysten. Rohöl, Naphtha, Äthylen oder andere Ölderivate würden sich deutlich verteuern. Zugleich werden auch die Energiekosten steigen. Nach Berechnungen von Credit Suisse First Boston belaufen sich in der chemischen Industrie die Energiekosten mitunter auf bis zu 60 Prozent der Gesamtaufwendungen.
Die Unternehmen können die höheren Produktionskosten aufgrund immer noch bestehender Überkapazitäten kaum über höhere Preise an ihre Kunden weitergeben. Damit stecken die Konzerne in der Kostenklemme. Die erhofften Ertragsverbesserungen seien dann hinfällig, so ein Branchenkenner: "Wenn sich das Szenario steigender Ölpreise und Kosten nicht ändert, müssen sich spätestens im Mai die Vorstände in Klausur begeben und überlegen, ob sie nicht die Notbremse ziehen."
Ölpreis in Planung niedrig angesetzt
Zwar sicherten sich auch Chemiekonzerne über Termingeschäfte gegen schwankende Rohölpreise ab. Bedenklich stimme aber, dass die Unternehmen vereinzelt ihre Planungen für das Jahr 2002 auf einem Durchschnittspreis von 17 Dollar je Fass aufgestellt hätten. "Diese Pläne müssen sie nun für das erste und wohl auch für das zweite Quartal in den Rauch schreiben", mutmaßt ein Analyst. Damit die Rechnung für die Konzerne auf Jahressicht überhaupt noch aufgehe, müsste der Ölpreis im zweiten Halbjahr schon "dramatisch" fallen.
Die Pharmabranche hingegen dürfte von steigenden Ölpreisen vermutlich verschont bleiben. Denn die Produktionskosten für Pharmaprodukte seien vergleichsweise gering. Die höchsten Kostenblöcke bestünden hier in den Bereichen Forschung und Marketing.
Airlines: Absicherung durch Termingeschäfte
Fluggesellschaften: Absicherung durch Termingeschäfte
Steigende Rohölpreise treiben die Kosten für Flugbenzin in die Höhe, auch wenn der Preis von Kerosin nicht ausschließlich vom Rohölpreis abhängt. Vor allem große Fluggesellschaften versuchen, sich an den Terminmärkten mit Derivaten von Preisschwankungen unabhängig zu machen. So habe etwa die Lufthansa die Preise für 80 Prozent ihres Treibstoffbedarfs für das Jahr 2002 abgesichert, sagt Robert Gülpers, Analyst bei Sal. Oppenheim. Der überwiegende Teil der Sicherungsgeschäfte beziehe sich nach Angaben der Lufthansa dabei auf Rohöl. Im Fall einer Ausweitung des Konflikts zu einem Krieg gar mit irakischer Beteiligung und dauerhaft steigenden Rohölpreisen würde allerdings die Absicherung beim Treibstoffkauf durch langfristige Termingeschäfte auch nicht weiterhelfen. "Dann macht das Hedging kaum noch einen Sinn und ein günstiger Preis ist nicht mehr zu halten", sagt Gülpers.
Kleine Airlines und Charterflieger stärker unter Druck
Die Luftfrachttochter Cargo hat erst kürzlich angekündigt, einen Treibstoffzuschlag von fünf Cent je Kilogramm zu erheben. Sollte sich der Preis von derzeit rund 27 Dollar je Barrel halten, zweifelt Gülpers nicht daran, dass die Fluggesellschaften auch im Passagierbereich die erhöhten Ölpreise auf die Fluggäste umzulegen versuchten. Grundsätzlich hätten größere Fluggesellschaften gegenüber kleineren aufgrund ihres Netzwerkes einen Vorteil. Jene Airlines, die keine Allianz oder Partnerschaft nutzen könnten, um etwa Langstreckenflüge anzubieten, sähen sich bei dauerhaft steigenden Flugbenzinpreisen dann harten Zeiten gegenüber.
Gleichzeitig könnten hohe Kerosinkosten Restrukturierungsbemühungen etwa wie derzeit bei der LTU stark belasten. Viele Gesellschaften hätten seit dem 11. September einiges an Substanz verloren. Jetzt langfristige Flugbenzinverteuerungen aufzufangen, könnten die Airlines sich derzeit nicht leisten.
"Je schlanker eine Fluggesellschaft strukturiert ist, desto höher ist zumeist der Anteil der Treibstoffkosten an den Gesamtkosten", erklärt Klaus Breil von der Commerzbank-Tochter Adig. Am deutlichsten sei dies bei Charterflug- oder Ferienfluggesellschaften. Diese hätten keinen so ausgeprägten Buchungs- und Vertriebsapparat, und darum sei der Treibstoffkostenanteil an den Gesamtkosten erheblich höher. Folglich seien diese Gesellschaften ebenso wie kleinere Airlines von steigenden Ölpreisen deutlich härter getroffen.
Analyst Gülpers warnt indes vor Hysterie. Politische Kurstrends hätten kurze Beine. Daher sei wahrscheinlich, dass der Ölpreis ebenso schnell wieder falle, sobald sich die Lage im Nahen Osten beruhige. "Worst-case-Szenarien durchzuspielen, ist legitim. Doch man sollte nicht in Pessimismus verfallen", sagt Gülpers.
Baugewerbe und Metallindustrie: Kein Fall ist gleich
Baugewerbe und Metallindustrie: Kein Fall ist gleich
Nach Berechnungen der CSFB könne in der Bauwirtschaft der Anteil der Energiekosten bis zu 25 Prozent der Gesamtkosten betragen. Im metallverarbeitenden Gewerbe seien es bis zu 30 Prozent. Steigende Rohölpreise belasten somit auch diese Branchen: Allerdings muss dabei je nach Unternehmen, Produktion und Standort unterschieden werden.
So verweist Josef Auer von der Deutsche Bank Research darauf, dass bei der Primärproduktion von Metall wie Aluminium der Anteil an den Energiekosten ungleich höher sei als in anderen Bereichen. Anders sehe es zum Beispiel bereits in der Sekundärmetall-Produktion aus. Wenn ein Unternehmen etwa Schrott oder Abfallmaterialien auffange und neu bearbeite, benötige es bedeutend weniger Energie als bei der kostenintensiven Gewinnung von Aluminium.
Die metallverarbeitende Industrie nutze vor allem Strom als Energiequelle, der allerdings mittelbar mit den Ölpreisen zusammenhängt, so Auer. Denn mittlerweile werden in Deutschland zehn Prozent des Stromes über Gasturbinen erzeugt, und der Gaspreis ist mit einer Verzögerung von etwa sechs Monaten an den Ölpreis gekoppelt.
Beim Maschinenbau sieht Auer eher die indirekten Effekte einer Ölpreissteigerung als Belastungsfaktoren, da hier der Anteil der Energiekosten nicht so hoch sei wie im reinen metallverarbeitenden Gewerbe. Sollte der Barrelpreis auf bis zu 30 Dollar steigen, könnten allerdings auch den Maschinenbauern die Kosten davon laufen.
Ein Barrelpreis von 30 Dollar werde die Weltkonjunktur insgesamt in Mitleidenschaft ziehen. Auch die Investitionen in neue Maschinen dürften sich dann deutlich verringern. Erhöhten die Zentralbanken die Zinsen, um die steigende Inflation zu bekämpfen, verteuerten sich allerdings nicht nur die Investitionen für Unternehmen: Auch der Verbraucher dürfte genauer auf seine Ausgaben schauen und konsumorientierte Branchen damit unter Druck setzen.