EZB fasst Zins nicht an, aber ... Inflationssorgen im EZB-Rat nehmen zu

Unter Druck: EZB-Präsidentin Christine Lagarde hält im Gegensatz zur Fed trotz hoher Inflation an der Nullzinspolitik fest
Foto: Thomas Lohnes / Getty ImagesEZB-Präsidentin Christine Lagarde hat frühere Aussagen nicht mehr bekräftigt, wonach eine Zinsanhebung in diesem Jahr sehr unwahrscheinlich sei. Alle derartigen Aussagen seien abhängig von den Umständen, sagte Lagarde am Donnerstag auf der Pressekonferenz nach dem Zinsbeschluss auf eine entsprechende Frage. Die Notenbank werde diese Bedingungen sorgfältig prüfen. "Wir werden diese Arbeiten im März vornehmen und das wird uns zur Analyse führen, was die treibenden Kräfte sind hinter der Inflation auf kurze Sicht." Dies betreffe auch die mittelfristigen Projektionen. Mit Bezug auf die zuletzt kräftig gestiegene Inflationsrate sagte sie. "Die Situation hat sich in der Tat geändert."
Lagarde hatte noch im Dezember auf der damaligen Pressekonferenz nach der Zinssitzung gesagt, dass Zinserhöhungen 2022 sehr unwahrscheinlich seien. Inzwischen ist aber die Inflation im Euro-Raum im Januar unerwartet auf 5,1 Prozent hochgeschnellt. Das ist der höchste Wert seit Beginn der Statistik 1997. Experten hatten hingegen einen Rückgang der Inflation auf 4,4 von 5,0 Prozent im Dezember erwartet. Damit entfernt sich die Rate immer weiter vom mittelfristigen EZB-Ziel einer Inflationsrate von 2 Prozent.
Die Währungshüter gehen bislang davon aus, dass sich die Inflation in der Euro-Zone im Jahresverlauf deutlich abschwächen wird. Ihre Ökonomen prognostizierten zuletzt, dass die durchschnittliche Rate dieses Jahr bei 3,2 Prozent liegen wird. Für 2023 und 2024 werden jeweils 1,8 Prozent erwartet. Neue Projektionen der EZB-Volkswirte werden erst wieder zur Sitzung im März erwartet.
"Da sich die Situation geändert hat, müssen wir das weiter sorgfältig beobachten", sagte Lagarde. Die Lage müsse auf der Basis von Daten bewertet werden und dann müsse die EZB ein Urteil fällen.
EZB fast Zinsen nicht an
Vorläufig allerdings bleibt die Zinswende in der Eurozone trotz der weiter gestiegenen Inflation aus. Die Europäische Zentralbank (EZB) beließ den geldpolitischen Schlüsselsatz am Donnerstag, wie allgemein erwartet, auf dem Rekordtief von 0,0 Prozent.
Zugleich müssen Finanzinstitute weiterhin Strafzinsen berappen, wenn sie überschüssige Gelder bei der Notenbank parken. Den dafür gültigen sogenannten Einlagesatz beließen die Währungshüter bei minus 0,5 Prozent. Sie halten sich jedoch weiterhin die Tür für eine künftige Erhöhung offen: Der EZB-Rat steht bereit, "alle seine Instrumente" bei Bedarf anzupassen. Damit will er sicherstellen, dass sich die Inflation mittelfristig bei ihrem Zielwert von 2,0 Prozent stabilisiert.
Die Notenbank strich zugleich die Passage in ihrer Einschätzung vom Dezember, wonach sie bereit sei, diese Werkzeuge "in jede Richtung anzupassen". Offenbar ein Fingerzeig, dass zumindest an eine weitere Zinssenkung vorerst nicht zu denken ist.
Aus Sicht von EZB-Präsidentin Lagarde wird die Inflation in der Euro-Zone vor allem kurzfristig noch hoch bleiben. "Die Inflation wird wahrscheinlich noch länger als bisher gedacht erhöht bleiben, aber sich abschwächen im Laufe dieses Jahres", sagte die Französin am Donnerstag nach der EZB-Ratssitzung in Frankfurt. Die hohen Energiepreise erwiesen sich als hartnäckig. Aber auch die Lebensmittelpreise kletterten deutlich.
Allerdings nehmen die Sorgen wegen der Inflation innerhalb der EZB zu. Im geldpolitischen Rat herrsche durchweg Besorgnis wegen der Entwicklung, sagte Lagarde. Auf der nächsten Sitzung im März werde der mittelfristige Ausblick genauer untersucht. Im Rat sei man sich aber einig, keine Entscheidung ohne eine hinreichende Datengrundlage zu treffen.
Anachronistische Geldpolitik der EZB
Volkswirte kritisieren mehr und mehr die Haltung der EZB. "Die Zinspolitik und Wertpapierkäufe der EZB wirken inzwischen wie aus der Zeit gefallen", sagte Ökonom Friedrich Heinemann vom Mannheimer ZEW. Sie betreibe im Grunde immer noch eine Politik der Deflationsbekämpfung, obwohl Europa den stärksten Inflationsschub seit Einführung des Euro erlebe und auch die Inflationserwartungen kletterten.
Angeheizt wird die Inflation durch die Energiepreise - insbesondere auch bei Gas. Die Ukraine-Krise hat laut dem deutschen Top-Ökonomen Achim Wambach das Potenzial, die Preise weiter hochzutreiben. Auch spielen bei dem derzeit hohen Preisdruck Störungen der Lieferketten eine Rolle, die sich aus der Pandemie ergeben haben.
Die US-Notenbank Fed unterschätzte diesen Effekt laut ihrem Chef Jerome Powell (68) lange, hat mittlerweile aber umgesteuert. Sie hat für März eine Zinswende signalisiert, der mehrere weitere Schritte nach oben im Jahresverlauf folgen dürften. Am Geldmarkt wird nun bereits bis zum Sommer auf eine leichte Anhebung des Einlagesatzes im Euroraum gesetzt. "Die Finanzmärkte sehen die EZB unter Zugzwang und bezweifeln, dass am gegenwärtigen Kurs festgehalten werden kann", sagte Chefökonom Thomas Gitzel von der VP Bank. Gerade diese Diskrepanz zwischen Markterwartungen und offizieller Kommunikation dürfte seiner Ansicht nach zusätzlich für Unruhe unter den europäischen Währungshütern sorgen. "Christine Lagarde hat also heute erheblichen Klärungsbedarf."
Das Problem der EZB: Viele Staaten in der EU sind so hoch verschuldet, dass eine rasche und deutliche Zinserhöhungsabfolge sie an den Rand der Pleite drängen könnte. "Die Zinsen müssen wegen der enormen Verschuldung niedrig bleiben", begründet Anlagestratege Philipp Vorndran von der Vermögensverwaltung Flossbach von Storch die Zurückhaltung der Notenbanker in Europa - trotz der Zinswende in den USA.
In der Wirtschaft macht sich zudem die Sorge breit, dass ein schwacher Euro die Energieimporte verteuern und somit die Inflation weiter anheizen könnte. Da die US-Notenbank Fed eine Zinswende für März signalisiert hat, der ein Stakkato an Erhöhungen folgen dürfte, könnte die EZB sehr bald unter Zugzwang geraten. Am Geldmarkt wird bereits bis zum Sommer auf eine leichte Anhebung des Einlagesatzes gesetzt.