Verhalten in Zeiten der Corona-Krise Was Aktionäre und Klopapierkäufer gemeinsam haben

Leere Regale im Einzelhandel: Konsumenten reagieren ebenso extrem auf die Corona-Krise wie Investoren
Foto: Eduardo Parra/ dpaDie Deutschen sind kein Volk der Aktie, das ist seit Langem bekannt. Dass sie aber - wie viele Menschen in anderen Ländern ebenfalls - mental durchaus ähnlich ticken wie der typische Börsianer, das zeigte sich in den vergangenen Wochen der Corona-Krise.
Die Parallelen sind auffällig: Nach den jüngsten Kursstürzen dürften die Aktiendepots vieler Investoren inzwischen so leer sein wie die Toilettenpapierregale in den meisten Super- und Drogeriemärkten. Der feine Unterschied ist nur, dass die Anleger an der Börse - wie immer - besonders schnell waren: Die Kursstürze, die die Aktienmärkte rund um den Globus erschüttern und die beispielsweise den deutschen Leitindex Dax bereits rund 40 Prozent seines Wertes gekostet haben, setzten bereits um den 20. Februar herum ein. Zu diesem Zeitpunkt herrschte an der Toilettenpapier- und Nudelfront noch Ruhe. Leere Regale gab es beispielsweise im Einzelhandel in Hamburg erst Ende Februar. Seitdem allerdings regelmäßig.

Grafik | Makroupdate | Aktienindizes Corona-Krise
Foto: manager magazinAnsonsten gibt es viele Ähnlichkeiten zwischen dem Verhalten der Aktienanleger und jenem der Konsumenten. Beide reagieren auf extreme Weise auf eine Situation, die binnen kurzer Zeit immer bedrohlicher wurde und die inzwischen ein bisher kaum gekanntes Maß an Ungewissheit über die weitere Entwicklung erzeugt hat.
Die einen verschaffen sich ein Gefühl von Sicherheit, indem sie schlagartig viele Aktien verkaufen und sich aus dem Markt zurückziehen. Und die anderen fühlen sich offenbar erst dann ein wenig sicherer, wenn sie Unmengen von Klopapier in ihren Kellern verstaut haben.
Dabei - auch das eine Parallele - lassen sich hüben wie drüben offenbar bestimmte Archetypen ausmachen. Diejenigen beispielsweise, die ganz am Anfang der Misere zu den ersten zählen, die ihre Broker anrufen, ähneln jenen, die bereits an Tag eins der Hamsterkäufe schon vormittags mit übervollem Einkaufswagen an der Supermarktkasse erscheinen: Es sind sozusagen die "Alarmisten", die selbstständig die Gefahr erkannt zu haben glauben und handeln.
Erst die Alarmisten, dann die Aufgeschreckten
Es folgt die Gruppe derer, die aufgeschreckt wurden. Sie schließen sich der Meinung der Alarmisten an - und auch deren Handlungsmuster. Auf diese Weise verstärkt sich der Verkaufsdruck an der Börse ebenso wie sich die Schlange an der Supermarktkasse verlängert. Man könnte diese zweite Gruppe als die "Überzeugten" bezeichnen. Haben auch sie das Schlachtfeld geräumt, so sind die Kurse bereits weit gefallen - und die Regale für Toilettenpapier, Nudeln und andere lang haltbare Produkte des täglichen Bedarfs schon ziemlich leer.
Das wiederum setzt die dritte Gruppe in Bewegung - beziehungsweise: versetzt sie in Aufregung. Dabei handelt es sich um die "Überraschten": Sie hätten von selbst kaum etwas von einem möglichen Handlungsbedarf gemerkt. Das kann beispielsweise daran liegen, dass sie ihre Geldanlage sehr langfristig ausgerichtet haben. Oder, im anderen Fall, dass sie ein tiefes Grundvertrauen in das gut organisierte Versorgungssystem in Deutschland haben, und dass sie deshalb nicht im Traum mit Nachschub-Engpässen bei den fraglichen Produktgruppen rechnen würden.
Mehr noch: Auch die Aktienverkäufe respektive Hamsterkäufe der anderen überzeugen sie nicht von deren Notwendigkeit. Aber: Diese Gruppe beteiligt sich letztendlich womöglich zumindest teilweise dennoch an dem eigentlich als unvernünftig empfundenen Treiben - einfach aus Furcht, sich andernfalls am Ende in einer vierten Gruppe wiederzufinden, zu der nun wirklich niemand gehören will: zu den "Dummen", die in die Röhre gucken, weil sie versucht haben schlauer zu sein als die Masse.
An der Stelle muss allerdings ein wenig unterschieden werden: Am Aktienmarkt ist es deutlich eher möglich, sich einer solchen Massenpanik zu entziehen, als im Supermarkt. Wer sein Geld auf absehbare Zeit nicht braucht, kann darauf vertrauen oder zumindest darauf hoffen, dass die Kurse irgendwann wieder steigen werden. Es ist insofern beinahe unmöglich am Ende zu den "Dummen" zu gehören, einfach, weil es dieses Ende praktisch nicht gibt.
Artikel wie das viel zitierte Klopapier dagegen heißen nicht durch Zufall Produkte des täglichen Bedarfs. Sie werden laufend benötigt und müssen daher auch laufend zur Verfügung stehen. Anders gesagt: Das Toilettenpapier kann tatsächlich jedem ausgehen, Corona-Krise hin oder her. Insofern erscheint es deutlich verständlicher, wenn sich auch besonnene Menschen von der Hamsterpanik mitreißen lassen, als wenn vernünftige Investoren gegen ihre Überzeugung Aktien verkaufen, die sie eigentlich noch viele Jahre halten wollten.
Zwei Lehren lassen sich in jedem Fall aus alldem ziehen. Erstens: Sollte sich die Korrelation zwischen dem Verhalten der Börsianer und jenem der Konsumenten auch weiterhin zeigen, so hat das womöglich einen Vorteil - wer wissen will, wann es wieder unbegrenzt Toilettenpapier im Supermarkt gibt, braucht nur an den Aktienmarkt zu schauen. dort müssen zuerst die Kurse wieder steigen.
Und zweitens: Es ist womöglich ein Irrglaube, dass die Deutschen kein Volk der Aktie seien. In diesen Wochen lernen wir: Wer Toilettenpapier hamstern kann, taugt auch zum Börsianer.