Vorwahlerfolge lassen Investoren kalt Muss die Börse Angst vor Bernie Sanders haben?

Auf dem Weg ins Weiße Haus? Noch glauben die Börsianer offensichtlich nicht, dass Bernie Sanders ernsthafte Chancen hat, nächster US-Präsident zu werden.
Foto: Mike Segar/REUTERS
Rund 11.000 "Likes", etwa ebenso viele Kommentare und weit mehr als 2000 Weiterleitungen an andere Nutzer - mit einem Tweet zum Vorwahlergebnis der US-Partei der Demokraten in New Hampshire hat der frühere Goldman-Sachs-Chef Lloyd Blankfein in dieser Woche einen kleinen viralen Hit gelandet. Blankfein äußert sich in seiner Kurzbotschaft auf Twitter süffisant zum Erfolg des linken Präsidentschaftsanwärters Bernie Sanders, der das Rennen seiner Partei in New Hampshire für sich entscheiden konnte, nachdem er zuvor bereits in Iowa weit vorne gelandet war.
Sollten die Russen auch die kommenden US-Wahlen beeinflussen wollen, so Blankfeins These, dann wäre Sanders diesmal wohl eher ihr Mann als Amtsinhaber Donald Trump. Der Senator des US-Bundestaates Vermont, der im Kampf um die Kandidatur vor vier Jahren bereits innerparteilich seiner Konkurrentin Hillary Clinton unterlegen war, polarisiere ebenso wie Trump. Sanders werde aber zudem noch die US-Wirtschaft ruinieren und kümmere sich nicht ums Militär, so Blankfein. "Wäre ich Russe, würde ich diesmal auf Sanders setzen", lautet daher sein Fazit.
Aus der Distanz, mit einem Ozean dazwischen beispielsweise, mag das nach harmlosem Sarkasmus klingen. Tatsächlich spricht die Ex-Wall-Street-Größe Blankfein jedoch eine Sorge an, die in der US-Finanz- und Wirtschaftswelt viele umtreibt: Ohnehin freut sich in Corporate America kaum jemand über einen Vertreter der Demokraten im Weißen Haus. Entsprechend dem gängigen Polit-Klischee, das auch anderswo auf der Welt vorzufinden ist, gilt die eher linksgerichtete Partei per se als weniger wirtschaftsfreundlich als die konservativen Republikaner. Wirklich schlimm jedoch, so die Furcht in amerikanischen Investmenthäusern und Vorstandsetagen, könnte es werden, wenn ausgerechnet Bernie Sanders US-Präsident würde.
Sanders, der sich selbst als "demokratischen Sozialisten" bezeichnet, ist unbestritten der mit Abstand radikalste Linke unter den Bewerbern der Demokraten. Seit Jahren stilisiert er sich als Mann des Volkes, der unermüdlich gegen die Superreichen und Wirtschaftsführer der USA wettert. Unternehmen kritisiert er wegen ihrer Profite und der zu geringen Steuern, die sie angeblich zahlen. Milliardäre, so Sanders, sollte es eigentlich überhaupt nicht geben. Zu seinen Forderungen oder - je nach Perspektive - Versprechen gehört eine Extra-Steuer für die Reichsten im Land ebenso wie ein breit angelegtes Gesundheitssystem, eine Verbesserung der Arbeitnehmerrechte sowie eine vollständige Umstellung der US-Energieversorgung auf grüne Quellen.
Vieles davon - wenn nicht alles - würde nach Ansicht von Lloyd Blankfein und anderen Vertretern der US-Wirtschaftselite dem Land schaden. Kritiker wie Blankfein werfen Sanders vor, den Wohlstand der USA zu gefährden - und meinen dabei vermutlich insgeheim auch den lieb gewonnenen eigenen Lebenswandel.
Die Erfolge von Bernie Sanders in den ersten Vorwahlen, so beschreibt es auch die "New York Times", lassen nun möglich erscheinen, was an der Wall Street seit Langem schon als Worst-Case-Szenario gehandelt wird: Einen Einzug des 78-Jährigen als 46. Präsident der Vereinigten Staaten ins Weiße Haus.

Kursverluste an der Börse dürften angesichts dieser Entwicklung also zumindest kaum jemanden überraschen. Schließlich könnten Investoren damit rechnen, dass sie sich bald von Wirtschaftsliebling Donald Trump als US-Präsidenten verabschieden müssen. Trump, der mitten im Aufschwung noch zusätzlich die Steuern senkte, Trump, der die Regulierung für US-Unternehmen zurückfuhr, Trump, der in seinem wahren Leben selbst jener kleinen Kaste der Wirtschaftselite und Superreichen angehört, die seit seinem Amtsantritt so sehr von seiner Politik profitiert.
Aber: Die Kursverluste an der Börse blieben aus. Stattdessen geschah das genaue Gegenteil: Der Dax sowie der Mittelwerteindex MDax in Deutschland, der Blue-Chip-Index Dow Jones in den USA, der breitere S&P 500 sowie der Tech-Index Nasdaq 100 - sie alle notierten am Mittwoch auf neuen Rekordniveaus. Und das unmittelbar nachdem die Chancen des "demokratischen Sozialisten" Sanders auf das Präsidentenamt doch augenscheinlich gerade gestiegen waren.
Wie ist das zu erklären?
Zwei mögliche Antworten - und beide könnten falsch sein
Darauf gibt es zwei mögliche Antworten. Erstens: An der Börse glaubt womöglich kaum jemand, dass Sanders in einem Präsidentschaftswahlkampf gegen Donald Trump eine Chance hätte. Das erscheint nicht unplausibel. Schließlich trifft Blankfeins Bemerkung, Sanders polarisiere ebenso wie Trump, ziemlich präzise ins Schwarze: Die teilweise extremen Ansichten des Seniors unter den demokratischen Anwärtern stoßen selbst im eigenen politischen Lager zum Teil auf Ablehnung. US-Medien zufolge halten viele von den eigentlich demokratischen Wählern in den USA Trump gegenüber Sanders für das noch geringere Übel im Präsidentenamt. Auch die Tatsache, dass der amtierende Präsident auf vier Jahre robusten Wirtschaftsaufschwungs verweisen kann, dürfte dabei eine Rolle spielen.
Zuerst jedoch muss Bernie Sanders tatsächlich von den Demokraten zum Präsidentschaftskandidaten bestimmt werden - und das führt direkt zu Antwort zwei auf die Frage nach der Erklärung für steigende Börsenkurse trotz der Sanders-Erfolge. Ein genauer Blick zeigt, dass die Sache noch längst nicht klar ist.
Der Grund: Gegenwärtig befinden sich bei den Demokraten noch zahlreiche Aspiranten im Rennen, die einem gemäßigteren Lager zuzurechnen sind. Der frühere Vize-Präsident Joe Biden etwa zählt dazu, ebenso wie der frühere Bürgermeister Pete Buttigieg oder Amy Klobuchar, Senatorin des Staates Minnesota. Sie alle teilen die Stimmen der gemäßigten Wählerschaft bei den Vorwahlen bislang unter sich auf.
Im Laufe des weiteren Vorwahlkampfes dürften sich jedoch nach und nach immer mehr Anwärter aus dem Rennen verabschieden - und je weniger gemäßigte Köpfe zur Auswahl stehen, desto mehr Stimmen aus der entsprechenden Wählerschaft könnte jeder von ihnen auf sich vereinen. Der Verlierer eines solchen Szenarios wäre eventuell der zurzeit so erfolgreich dastehende Bernie Sanders - so zumindest möglicherweise das Kalkül der Börsianer.
Der Haken an der Sache: Auf diese Weise lässt sich zwar erklären, weshalb die Börse in dieser Woche nicht auf den Erfolg von Sanders reagiert hat. Es ist aber keineswegs sicher, dass die Investoren mit ihren Annahmen tatsächlich richtig liegen. Nach wie vor steht schließlich das Worst-Case-Szenario der Wall Street als realistische Möglichkeit im Raum: Sanders könnte in den kommenden Wochen und Monaten trotz allem in der Erfolgspur bleiben und zum Schluss von den Demokraten ins Rennen gegen Trump geschickt werden.
Brian Gardner jedenfalls, Analyst bei der US-Investmentbank Keefe, Bruyette & Woods, schließt diese Option längst noch nicht aus. Und die Folgen am Finanzmarkt wären seiner Ansicht nach womöglich signifikant. "Sollte Sanders der Kandidat der Demokraten sein und Umfragen ihm eine realistische Aussicht auf den Wahlsieg einräumen, dann erwarten wir einen heftigen Ausverkauf am Aktienmarkt, besonders bei Finanztiteln", sagte Gardner der "New York Times". Ein Grund dafür sei, dass Investoren dann offenbar Sanders Chancen unterschätzt hätten. Die Möglichkeit seines Wahlsieges sei bislang schlicht nicht in die Kurse eingepreist, so Gardner.
Ex-Goldman-Chef Blankfein jedenfalls trüge an einem solchen Ausverkauf dann sicher keine Schuld. Er hat schließlich frühzeitig vor Sanders gewarnt.