Finanzindustrie Von skeptischen Politikern und einem Geheimlabor

Massimo Tosato, Schroders-Vizechef und Vertriebschef weltweit: Herausforderungen überall, bei Kunden, Regulierern - und der Konkurrenz
London - Still ist es im achten Stock. Helle Holzvertäfelungen, dicke Teppiche - eben Vorstandsetage. Nur einige Schritte weiter öffnet sich die Tür nach links zum Besprechungsraum. Ein hölzerner Tisch, umkränzt von Stühlen. Kunst an den Wänden, die hohen Fenster öffnen sich aufs abendlich glitzernde London. Alles wirkt modern, die über zweihundertjährige Geschichte von Schroders hat hier in der Zentrale, von der aus das Unternehmen sein 300 Milliarden-Imperium lenkt, kaum Niederschlag in Mahagoni oder Chester-Sesseln gefunden. Vizevorstand Massimo Tosato kommt durch die Tür, die sich leise hinter ihm schließt. Graue Schläfen, blaues Hemd, kräftiger Händedruck. Und er hat wenig Zeit.
mm: Herr Tosato, die Finanzkrise geht in ihr sechstes Jahr - was hat sich für die Assetmanagement-Industrie geändert?
Tosato: Nun, da sind Europa von Asien sowie den USA und UK zu trennen. Während in UK, den USA und Asien die Investoren zurückgekommen sind, haben sie sich in Europa gerade erst, gegen Ende des Jahres 2013, wieder zurück getraut.
mm: Ist das eine Folge der Euro-Krise?
Tosato: Auch, allerdings gibt es eine Reihe von Gründen. Zum Beispiel mussten die Banken ihre Bilanzen aufräumen und haben dazu die Anlegergelder in Festgeld dirigiert. Und natürlich gibt es in Europa dieses Gefühl der Krise. Aber immerhin, so langsam bessert es sich.
mm: Bei den Menschen kommt das aber nicht so recht an, der Ruf der Industrie hat erheblich gelitten.
Tosato: Oh ja. Mein Sohn studiert in Philadelphia an der Wharton-Universität. Neulich hatte ich ihn dort besucht. Wir beide fuhren im Taxi und der Fahrer, ein vermutlich kaukasischer Einwanderer, fragte, was mein Sohn mache. Er antwortete, er wolle in die Finanzindustrie gehen. Die Antwort des Fahrers: "Du willst also auch ein Dieb werden"!
mm: Diese Einstellung dürfte Ihre Arbeit als Lobbyist in Brüssel erschweren.
Tosato: Ja. Die Finanzindustrie hat deutlich an Reputation verloren. Das Problem für uns als Assetmanager ist: Wir haben die Krise nicht hervorgerufen, wir betreiben ein Agenturgeschäft, sind Treuhänder. Das muss unterschieden werden.
Überfälliger Industrieabgleich
mm: Hilft es, auf andere Industrien zu schauen? Was können Sie von anderen Wirtschaftssektoren lernen?
Tosato: Darüber denke ich viel nach. Wir müssen so etwas wie industrielle Effizienz erreichen. Schauen Sie, früher hatten wir hohe Erträge, hohe Margen und wir haben viel Geld für Talente gezahlt. Künftig werden wir eine Industrie sein, die weniger von den Talenten getrieben wird, die offener ist.
mm: Auch transparenter?
Tosato: Auch transparenter. Es gibt im Assetmanagement zwei Wege, die Marge zu erhöhen. Einmal, indem die Skalen verbessert werden. Das ist also eine Wachstumsstrategie. Doch das kann Probleme schaffen, wenn ein Fonds oder Unternehmen zu groß wird und damit schwer zu handhaben. Also wollen wir nicht die Größten sein, sondern zu den Besten gehören.
mm: Und der andere Weg, die Margen zu erhöhen?
Tosato: Sie müssen die Effizienz steigern. Heute hat jeder Fondsmanager seinen teuren Analysten. Künftig könnte das anders sein, ein Analyst könnte dann für mehrere Teams tätig sein.
mm: Über was für einen Zeitraum sprechen wir da?
Tosato: Wir beginnen jetzt. Denn die Margen sind global bereits um 15 Prozent gesunken, in Asien sogar um 20 bis 25 Prozent. Wenn wir jetzt handeln, stehen wir in fünf Jahren besser da.
mm: Und schließen zu den USA auf? Dort sind Fonds ja deutlich größer und deutlich günstiger als hierzulande.
Tosato: Größer sind die Fonds, ja. Wir liegen in Europa noch immer um den Faktor 5 hinter den USA. In Asien übrigens um den Faktor 11. Aber bei den Kosten haben wir aufgeholt. Da sind wir hierzulande im Schnitt nur 7 Prozent teurer. Die Kosten sinken also schon.
Wo ist die eine Telefonnummer?
mm: Und bei Schroders?
Tosato: Früher hatten wir nur ein Drittel der aktuellen Assets mit 200 Leuten verwaltet. Die Anzahl der Menschen ist ungefähr gleich geblieben. Und die Erträge sind viermal so hoch.
mm: Kann ein wirklich gemeinsamer europäischer Markt, wie er bei Autos beispielsweise schon praktiziert ist und bei Finanzprodukten wegen der Regulierungen noch immer nicht vollumfänglich existiert, noch mal für einen Wachstumsschub sorgen?
Tosato: Das bleibt ein Problem. Die USA haben einen Regulierer und die jeweiligen Filialen. Ihre Ansprechpartner sind damit klar. ln der EU ist das schwieriger. Da gibt es die europäische Adresse, dann die nationale und dann deren Verästelungen. Auch in der EU selbst gibt es die Kommission oder das Parlament. Keine einfache Aufgabe, da den richtigen Gesprächspartner zu finden.
mm: Wie viel Kuhhandel müssen Sie in so einem Umfeld eigentlich eingehen?
Tosato: Sagen wir, das ganze ist sehr zeitaufwendig und auch kostenintensiv. Immerhin, ich gebe zu, ein regulierter Markt ist besser als einer, der es nicht ist.
mm: Sprechen wir noch einmal über die Gebühren. Die sind es ja, die dem Kunden neben der Leistung eines Fondsmanagers als erstes in Auge fallen.
Tosato: Ich denke, auch da gibt es eine gute Entwicklung. Die Prips-Richtlinie, die für Packaged Retail Investment Products steht, wird dafür sorgen, dass mehr Transparenz Einzug hält. Denn dann wird klar ausgewiesen, was für den Vertrieb und was für das Management gezahlt wird. Ärgerlicherweise umfasst sie nicht Produkte wie Lebensversicherungen, so dass die Vergleichbarkeit über die Produktgrenzen hinaus nicht besser wird. Von einem "Level Playing Field" kann da die Rede nicht sein.
mm: Nun, die Politiker dürften den Belangen der Finanzindustrie derzeit nicht gerade wohlwollend gegenüber stehen - um es einmal vorsichtig zu formulieren.
Tosato: Die Politiker haben nach der Krise dem Finanzsektor viel Aufmerksamkeit gewidmet, nicht immer von Wissen gedeckt.
mm: Wie sollen Sie in so einem Umfeld Ihr Haus nach vorn bringen?
Tosato: Wir wollen, wie gesagt, einer der besten Fondsmanager sein. Wenn das mit Größe einhergeht geht, bitteschön. Wichtiger aber ist die Richtung. Da gibt es im Haus regelmäßige Strategie-Sitzungen, bei denen über Produkte und auch über den Weg, den das Unternehmen einschlagen soll, diskutiert wird.
Geheimlabor
mm: Eine Art Geheimlabor?
Tosato: Wir halten 300 Millionen Euro an Seed-Kapital, also für unsere Forschung & Entwicklung bereit, so etwas wie eine Art Labor. Sie müssen sich das so vorstellen wie eine Abteilung des Unternehmens, die sich nur um neue Produkte kümmert, um Ideen. Dort ringt man stetig mit der Frage, wie sinnvoll dieses oder jenes Produkt ist und ob es funktioniert. Um das zu prüfen, wird dann tatsächlich Geld investiert und geprüft, ob die Idee klappt oder nicht.
mm: Weil man per künstlichem Backtest quasi alles belegen kann. Und wie lautet die Antwort aus dem Labor?
Tosato: Relative-Value-Produkte nützen dem Anleger weniger. Er hat dann zwar mehr erzielt als ein Vergleichsindex, doch unter dem Strich möglicherweise Geld verloren. Es geht also darum, tatsächliche Werte zu schaffen, zum Beispiel über Produkte, die unterschiedliche Anlageklassen bündeln, eben Multi-Asset-Fonds. Über allem steht dabei das Vertrauen. In über 200 Jahren aufgebaut, ist es in einer Woche verspielt.
mm: Und was findet das Labor mit Blick auf Schroders als Unternehmen heraus?
Tosato: Wir haben drei Kollegen, die sich genau anschauen, was die Konkurrenz macht und wir daraus lernen können.
mm: Nur die herkömmlichen Fonds oder auch Staatsfonds oder zum Beispiel Stiftungsfonds der Universitäten?
Tosato: Die haben einen zu langen Anlagehorizont. Unsere Fonds müssen ja liquide sein.
mm: Welche Rolle spielt eigentlich der Namenspatron von Schroders, die Familie?
Tosato: Sie spielt eine wichtige Rolle, allerdings nicht im Management. Sie ist im Aufsichtsrat vertreten.
Ein Handschlag, der nächste Termin ruft Tosato. Später, im Rahmen einer Präsentation, wird er sagen, er hätte bei seinem Amtsantritt in jedem Büro weltweit eine Espressomaschine aufstellen lassen. Eine einfache Aufgabe im Vergleich zu denen, die vor ihm liegen.