Die Börse nach Paris "Meist ein Fehler, wenn man mit Verkäufen reagiert"

Händler an der Börse in Paris: Die Terroranschläge haben auch die Aktienkurse bewegt
Foto: Francois Mori/ APmanager-magazin.de: Herr Grüner, die Börse hat heute Morgen beinahe unbekümmert auf die Anschläge von Paris reagiert. Nach anfänglichen Verlusten notierte der Dax schon nach wenigen Minuten wieder im Plus. Wie erklären Sie sich das?
Grüner: Das folgt dem Lerneffekt aus der Vergangenheit. Märkte verarbeiten solche Dinge gnadenlos rational und nehmen auf Emotionen keine große Rücksicht. Die größeren Anschläge im Westen begannen mit dem 11. September 2001 in den USA. Schon damals hat es nur 13 Handelstage gedauert, bis etwa der US-Index S&P 500 wieder da war, wo er vorher war. Danach ging es aufwärts. So war selbst jemand, der am 10. September US-Aktien gekauft hat, am Jahresende im Plus. Der S&P 500 etwa notierte Ende 2001 gegenüber dem 10. September mit gut 7 Prozent im grünen Bereich. Der Nasdaq 100 sogar mit 27 Prozent. Auch der Dax verzeichnete in der Spanne Gewinne von 14 Prozent. Das heißt, derartige Terroranschläge sind zwar ein großes emotionales Ereignis, in den tatsächlichen Zahlen hinterlassen sie aber kaum Spuren. Bei den großen Anschlägen von London und Madrid waren die Reaktionen noch moderater.
mm.de: Ist die Börse also sorglos?
Grüner: Sie ist nicht sorglos, sondern sie ist erwachsener geworden. Märkte lernen ständig dazu. Wenn Sie sich die Multi-Billionen-Dollar-Weltwirtschaft anschauen, dann ist der wirtschaftliche Einfluss solcher Anschläge eben einfach verschwindend gering.
mm.de: So reagiert der Markt völlig rational.
Grüner: Börsen sind Informations-Verarbeitungsmaschinen, die alle Nachrichten und Ereignisse sofort in die Kurse diskontieren. Die Anschläge sind am Freitagabend passiert, nach Börsenschluss in den USA. So lag das Wochenende dazwischen, an dem die Dinge auch emotional bereits verarbeitet werden konnten. Und ganz so glimpflich war die Reaktion dann ja doch nicht. Der Dax-Future lag zeitweise knapp unter 10.500 Punkten, also bis zu 2 Prozent im Minus. Der Index hat sich aber zum Handelsstart am Montag schnell wieder erholt.
mm.de: Könnte eine weitere Eskalation auf politischer Ebene Auswirkungen auf die Börse haben? Im Gespräch ist beispielsweise, dass der Nato-Bündnisfall ausgerufen werden könnte, was es bisher nur einmal, eben nach dem 11. September 2001, gegeben hat.
Grüner: Ob der Bündnisfall ausgerufen wird oder nicht, macht keinen großen Unterschied. Das ist eher eine technische Frage. Im Grunde besteht der Bündnisfall ja schon, die westliche Allianz bombardiert bereits oder organisiert gemeinsam die Logistik.
mm.de: Deutschland beispielsweise wäre in dem Falle aber durchaus stärker in der Pflicht als bisher.
Grüner: Aber ob wir 100 Soldaten schicken oder nicht, ändert an der Börsensituation nichts. Das ist lediglich eine theoretische Eskalation, keine praktische.
"Die Furcht vor der Zinserhöhung ist nicht nachvollziehbar"
mm.de: Anleger brauchen also aufgrund der Anschläge nichts an ihren Investments zu ändern.
Grüner: Solche Anschläge verlaufen an der Börse im Grunde nach der gleichen Systematik wie Korrekturen. Es geht scharf runter und ebenso plötzlich wieder nach oben. Durch den Lerneffekt kommt noch hinzu, dass diese Kurve immer schneller und weniger volatil verläuft. Das ist eine kurzfristige Schwankung, die kein Mensch richtig timen oder vorhersagen kann. Als Anleger müssen Sie damit einfach leben und dürfen nicht falsch reagieren. In der Vergangenheit war es meist ein Fehler, wenn man hektisch mit Verkäufen reagiert hat. Denn dann verpasst man die Erholung und hat Verluste realisiert.
mm.de: Sehen die Notenbanken das auch so? Die Fed in den USA beispielsweise, die gegenwärtig Zinserhöhungen plant, achtet auch auf geopolitische Spannungen. Meinen Sie, die Fed wird den Zinsschritt nun verschieben?
Grüner: Glaube ich nicht. Die Furcht vor der Zinserhöhung ist ohnehin nicht nachvollziehbar. Es handelt sich doch nur um die Rückkehr zur Normalität, denn früher waren deutlich höhere Zinsen gang und gäbe. Und es ist ein Signal, dass die lang anhaltende Krise nun aus dem Gröbsten heraus ist. Viele glauben, die Zinserhöhung wäre gleichbedeutend mit dem Beginn eines Bärenmarktes. Aber ein Blick zurück zeigt: Noch nie in der Geschichte begann mit einer Zinserhöhung durch die Fed ein Bärenmarkt.
mm.de: Sondern?
Grüner: Oft haben die Bullenmärkte dann sogar erst so richtig Fahrt aufgenommen. Es ist doch der typische Zyklus: Krisenbekämpfung durch die Fed, Rückkehr zur Normalität und dann leichtes Anheben der Zinsen, um die überschießende Wirtschaft ein wenig zu bremsen.
mm.de: Gilt das auch für die EZB, die ja noch näher dran ist an den aktuellen Ereignissen?
Grüner: Die EZB wird die Ereignisse ebenfalls sehr pragmatisch zur Kenntnis nehmen und auch die Sicherheitsvorkehrungen für sich selbst erhöhen. Die EZB ist ja selbst ein Symbol des Kapitalismus und damit möglicherweise ebenfalls ein Anschlagsziel. Darüber hinaus wird es aber keinen Einfluss auf die Politik der EZB haben.