Absturz am Ölmarkt Kaufe ein Fass Öl, bekomme 30 Dollar dazu

Von Arvid Kaiser
Ausgebucht: Öllager in Cushing, US-Staat Oklahoma, dem Handelsort der Sorte West Texas Intermediate

Ausgebucht: Öllager in Cushing, US-Staat Oklahoma, dem Handelsort der Sorte West Texas Intermediate

Foto: Nick Oxford / File Photo / Reuters

Kurz nach 18 Uhr mitteleuropäischer Zeit war es so weit. Der Preis für ein Fass Rohöl der US-Leitsorte West Texas Intermediate (WTI) fiel an diesem Montag unter zehn Dollar, erstmals seit 1986 - und dann gab es kein Halten mehr. Binnen Minuten stürzte der Preis unter acht Dollar, bis 19 Uhr unter fünf Dollar, so wenig wie noch nie seit Bestehen der Ölbörse. Um 20 Uhr sank der Preis unter null. Schlusskurs: minus 37,63 Dollar. An einem Tag verlor der wichtigste Treibstoff der Wirtschaft seinen gesamten Wert.

Was ist da los? Vor nicht einmal zwei Wochen hatten doch die Opec-Staaten im historischen Schulterschluss mit anderen wichtigen Ölproduzenten wie Russland und USA eine gewaltige Produktionskürzung beschlossen, um den Markt zu stabilisieren. Donald Trump feierte seinen großen Triumph.

Doch es reicht anscheinend nicht. Die Internationale Energieagentur schätzt, dass das globale Angebot im Mai um 10,7 Millionen Fass Rohöl pro Tag sinken werde. Die Nachfrage sei wegen der Corona-Krise aber schon im April um 29 Millionen Fass eingebrochen . Die Opec++ kann gar nicht so schnell kürzen, wie sie Kunden verliert.

"Wenn Ihre Badewanne vor dem Überlaufen steht und Sie den Hahn ein bisschen zudrehen, wird die Wanne trotzdem überlaufen", fasst Analyst Bjarne Schieldrop von der schwedischen Bank SEB die Lage ins Bild .

"Die Welt wird von Erdöl überflutet", warnt Ökonom Edoardo Campanella von der Bank Unicredit. "Dies ist das erste Mal in der Geschichte, dass Ölproduzenten dabei sind, die Grenzen der Lagerkapazität der Ölindustrie zu testen." Schon Ende Mai könne es so weit sein, dass Lieferanten für zusätzliches Öl einfach keinen Ort mehr finden, wo es gelagert werden kann.

Der Kalendermonat ist wichtig für die Erklärung des Kollapses am Montag. Es gibt nämlich nicht den einen Ölpreis für jeden Ort und jede Zeit. Während der WTI-Preis abrauschte, hielt sich die europäische Leitsorte Brent  mit einem vergleichsweise moderaten Minus von 8 Prozent auch am Montagabend noch über 26 Dollar pro Fass - ebenfalls Depressionsniveau, aber in der Corona-Krise fast schon normal. Europa hat nicht den gleichen Engpass wie Amerika.

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Über 20 Dollar hielten sich auch die Preise für die US-Sorte WTI in den Terminkontrakten für Juni, Juli oder spätere Monate - je später, desto teurer. Contango nennt sich diese außergewöhnliche Situation, in der es einen Aufpreis für späte Lieferung gibt. Kollabiert ist allein der Mai-Kontrakt, der am Dienstag letztmals gehandelt werden soll. Wer WTI-Öl für Mai kaufen will, muss nachweisen, dass er es auch lagern kann. Die verfügbaren Lager in den USA sind jedoch ausgebucht.

Erdöl gratis? Kanada war schon einen Schritt weiter

Ausgebucht, nicht voll. Das sei ein wichtiger Unterschied, betont der Geologe Art Berman, der die US-Frackingindustrie berät und kritisch beobachtet. "Dies ist ein Thema des Vertrags-Rollovers, das nach morgen vorübergehen wird." Wenn die Börsenseiten den WTI-Preis für Juni statt für Mai melden, wäre ein plötzlicher Preissprung programmiert.

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Der Hamburger Energieexperte Steffen Bukold sieht trotzdem "vor allem einen Indikator für ein Überangebot im physischen Ölmarkt" und fragt, ob "Öl auf dem Weg Richtung null Euro" sei - kurz, bevor diese Frage überholt wurde.

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In Kanada war der Markt da schon weiter. Die Produzenten dort sind darauf angewiesen, dass ihr schweres Teeröl vor allem in den USA abgenommen wird. Aus Mangel an Lager- und Transportkapazität hatte ihr lokales Überangebot schon öfter zu Preiseinbrüchen geführt. An diesem Montag jedoch verzeichnete die Börse ein Novum: negative Preise für Öl der Sorte Western Canadian Select. Wer ein Fass davon haben wollte, bekam noch Geld obendrauf - muss nun aber auch zusehen, wohin mit dem Öl.

Unicredit-Ökonom Campanella meint, es sei "schwierig, sich eine Lösung für dieses Problem vorzustellen". Werde Öl nicht ordnungsgemäß gelagert, verliere es seine Qualität. Nicht nur die privaten Lager würden absehbar voll. Auch die staatliche strategische Petroleumreserve der USA, die nun weiteres Öl aufnehmen soll, habe kaum noch Platz. Die Option, nicht gebrauchtes Öl in Tankern auf See oder Bahnwaggons zwischenzulagern, sei ebenfalls begrenzt. Die Charterraten dafür schießen bereits in die Höhe.

Angriff der saudischen Supertanker

Und manche der größten Supertanker steuern immer noch den übersättigten Absatzmarkt an. Eine Flotte von 20 Schiffen mit zusammen 40 Millionen Fass Öl an Bord sei unterwegs von Saudi-Arabien an die US-Golfküste, berichtet das "Wall Street Journal" . Losgeschickt wurden die Schiffe noch im März und Anfang April, als die Saudis ihren Preiskrieg noch führten. Ankommen werden sie aber erst Ende Mai.

"Dies ist das Pearl Harbor der amerikanischen Energieproduzenten", klagte der Chef der texanischen Fracking-Firma Latigo Petroleum, Kirk Edwards. "Wir wissen, dass die Schiffe kommen, und niemand tut etwas dagegen."

Laut einem "Bloomberg"-Bericht  erwägt das US-Energieministerium eine besondere Form der Staatshilfe, um Pleiten der heimischen Ölfirmen zu vermeiden: Sie sollen dafür bezahlt werden, dass sie kein Öl fördern.

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