Anleiheprofi Moritz Schildt erklärt Lufthansa-Bonds - trotz Staatshilfe auf Ramsch-Niveau?

Angesichts der bevorstehenden Hauptversammlung und der erforderlichen Aktionärszustimmung zur Staatsbeteiligung ist die Lufthansa-Aktie aktuell Gegenstand der täglichen Berichterstattung. Der Aktienkurs der Lufthansa, der zu Jahresbeginn 2020 oberhalb von 16 Euro notierte, hat sich zunächst im Zuge der massiven Bedrohung der Luftfahrt und Tourismusbranche durch Corona und Lockdown auf unter acht Euro mehr als halbiert bis dann die Hoffnung auf eine staatliche Rettung die Aktie vorübergehend wieder auf fast zwölf Euro anstiegen ließ.
Vergleicht man diese Entwicklung mit der Aktie von Ryanair, so zeigt sich eine ganz ähnliche Entwicklung: Auch hier verzeichnete der Aktienkurs Anfang 2020 ein All-Time-High von mehr als 16 Euro und fiel im März drastisch auf ein Niveau leicht oberhalb von acht Euro. Was an diesem Gleichklang allerdings überraschend ist: Auch Ryanair konnte sich seit dem Tiefststand im März 2020 wieder deutlich erholen und notiert aktuell ebenfalls leicht unter zwölf Euro - obwohl Ryanair keine Staatshilfe bekommt und auch keine Staatshilfen beantragt hat.

Moritz Schildt ist Gründer der nordIX AG, die auf festverzinsliche Anlagen spezialisiert ist. Das Unternehmen verwaltet in fünf Spezial- und Publikumsfonds mehrere 100 Millionen Euro.
Unser heutiger Chart der Woche zeigt allerdings nicht den Verlauf der Aktienkurse, sondern befasst sich mit der Fremdkapitalseite der beiden Unternehmen. Sowohl Lufthansa als auch Ryanair sind aktive Emittenten von Anleihen, Lufthansa hat im Juni 2020 insgesamt 3,385 Milliarden Euro an ausstehenden Anleihen und Schuldscheinen, bei Ryanair beläuft sich das Volumen der ausgegebenen Bonds auf etwa 2,45 Milliarden Euro. Während aber Ryanair von der Ratingagentur Standard & Poors (S&P) unverändert mit einem BBB- und damit gerade noch als Mitglied des Premiumsegments "Investment Grade" angesehen wird, ist die Lufthansa seit dem 20. Mai 2020 nur noch mit einem BB+ Rating versehen und gehört damit formal in den "non-investment" Grade Bereich, der gemeinhin auch als Ramsch bezeichnet wird.
Unser Chart zeigt den Kursverlauf einer Lufthansa-Anleihe mit einer Restlaufzeit von gut vier Jahren und einer Anleihe von Ryanair, die in drei Jahren fällig wird. Auf den ersten Blick erkennt man bei beiden Anleihen einen ähnlichen Kursverlauf wie bei der Aktie: einem starken Kurseinbruch im März - allerdings mit Kursverlusten von "nur" 22 beziehungsweise 27 Prozent - folgt eine deutliche Erholung. Diese Erholung fällt allerdings bei Ryanair noch deutlich stärker aus. In den drei Monaten vom 18. März bis 18. Juni gewinnt die Anleihe fast 20 Prozent im Wert und rentiert aktuell auf einem Niveau von gut 3,2 Prozent pro Jahr bis zur Fälligkeit und bietet damit eine Verzinsung nur leicht oberhalb der Lufthansa-Anleihe, die eine Rendite von 2,9 Prozent verspricht. Beide Emittenten versprechen damit eine Rendite, die um den Faktor zehn höher ist als noch zu Jahresbeginn, hier schlägt sich das infolge von Corona signifikant höhere Ausfallrisiko und die entsprechend angestiegene Risikoprämie nieder.
Die entscheidende Frage ist aber letztlich, wie sich erklären lässt, dass es Ryanair gelungen ist, ohne Staatshilfe das Vertrauen der Fremdkapitalgeber wieder zu gewinnen, während Lufthansa-Anleihen trotz des in Aussicht gestellten Neun-Milliarden-Euro-Rettungspaketes als Junk-Bonds klassifiziert werden. Einer der wesentlichen Faktoren dürften die Reserven an liquiden Mitteln sein, die für das Durchstehen einer Krise von essentieller Bedeutung sind. Während sich bei Ryanair die Barreserve mit etwa 3,7 Milliarden Euro etwa 50 Prozent des Jahresumsatzes beläuft, verfügt die deutlich größere Lufthansa "nur" über 5,2 Milliarden Euro im Verhältnis zum Umsatz weniger als 20 Prozent.
Zudem rechnen viele Analysten damit, dass billige Urlaubsreisen, von deren Wiederaufnahme vor allem Ryanair profitieren würde, wesentlich schneller wieder gefragt sein werden, während der Neubeginn der interkontinentalen Geschäftsreisen, an denen Lufthansa am meisten verdient, erst deutlich später und auch deutlich zurückhaltender erwartet wird. Auch die beste Videokonferenz kann eben keine Urlaubsgefühle ersetzen und kann den Geschmack von Meersalz und den Geruch von Sonnencreme auf der Haut nicht übertragen.
Wer jetzt aber meint, Ryanair sei wegen der guten Aussichten für das Geschäft auch der attraktivere Anleihen-Emittent, hat möglicherweise zu kurz gedacht. Anders als für einen Aktionär sind die künftigen Ertragsaussichten für einen Anleihekäufer nur insofern relevant, als der Schuldner der Anleihe in der Lage ist, die laufenden Zinszahlungen und am Laufzeitende die Rückzahlung des Nominalbetrages zu leisten. Für diese Frage darf aber auf Seiten der Lufthansa nicht vernachlässigt werden, dass der Konzern nach ganz einhelliger Auffassung aller Analysten systemrelevant ist und daher trotz aller Insolvenzdrohungen doch letztlich davon ausgegangen werden sollte, das durch staatliche Hilfsmaßnahmen der Fortbestand der Lufthansa und damit auch die Erfüllung ihrer Verbindlichkeiten sichergestellt werden.
Die jetzt wieder neu in Frage gestellten und möglicherweise noch nachzuverhandelnden Details der Staatshilfen haben für die Aktionäre hohe Bedeutung. Der Umfang der staatlichen Einflussnahme, der bei einer Kapitalerhöhung eintretende Verwässerungseffekt, die Zulässigkeit künftiger Dividenden und auch das Exit-Szenario des Bundes können den Aktienkurs massiv beeinflussen.
Wesentlich besser schläft da der Anleihenkäufer - wer davon ausgeht, dass die Lufthansa überleben wird, muss ich mit den Details nicht beschäftigen. Unabhängig von der konkreten Ausgestaltung ist jede Form der Staatshilfe eine gute Nachricht, sie steigert die Kreditwürdigkeit, erleichtert und verbilligt die Refinanzierung und reduziert damit das Risiko eines Zahlungsausfalls. Wer davon ausgeht, dass die Lufthansa schon irgendwie die nächsten Jahre überleben wird, kann sich aktuell über eine Rendite von etwa 3 Prozent freuen und kann sogar vor einer spürbaren Kurserholung profitieren, sofern die Ratingagenturen den Kranich wieder mit einem Investment-Grade verzieren.