Bankenviertel Istanbul: Die Ratingagentur Moody's hat 20 türkische Banken und Finanzinstitute abgestuft, die wichtige Isbank (im Bild die Zentrale) sogar gleich um zwei Stufen
Foto: Murad Sezer/ REUTERSNach der Herabstufung von 18 türkischen Banken und zwei weiteren Finanzinstituten durch die US-Ratingagentur Moody's hat die türkische Lira erneut deutlich an Wert verloren. Bis Mittwochmittag gab die Währung sowohl zum US-Dollar als auch zum Euro rund 2 Prozent nach.
Für einen Dollar wurden zuletzt 6,46 Lira gezahlt und für einen Euro 7,48 Lira. Zu Beginn der Woche mussten noch weniger als 7 Lira für einen Euro hingeblättert werden. Das Rekordtief von Mitte August lag bei 8,11 Lira je Euro. Seit Jahresbeginn hat die Lira mehr als 40 Prozent ihres Werts verloren und ist allein im August inmitten einer schweren politischen Krise mit den USA um fast 24 Prozent gefallen.
Moody's hatte am Dienstagabend wegen der bestehenden finanziellen Risiken die Kreditwürdigkeit von 18 türkischen Banken und zwei anderen Finanzinstitutionen herabgestuft. Vier der Banken, darunter die wichtigen Geldinstitute Denizbank und IsBank, wurden gleich um zwei Stufen herabgesetzt. Ein wichtiger Grund ist der hohe Anteil der Auslandsschulden der Institute. Goldman Sachs warnte erst Anfang August, sollte der Dollar auf 7,10 Lira steigen, hätten die Institute keinerlei Sicherheitspolster mehr.
Bis Mitte 2019 werden 153 Milliarden Euro an Auslandschulden fällig
Moody's hatte bereits Mitte August die Kreditwürdigkeit der Türkei auf Ba3 herabgestuft und die weiteren Aussichten als negativ bewertet. Die Türkei ist hoch verschuldet.
Analysten von JP Morgan schätzen, dass bis Mitte nächsten Jahres umgerechnet rund 153 Milliarden Euro an Auslandsschulden fällig werden. Das entspricht fast einem Viertel der jährlichen Wirtschaftsleistung des Landes. Wie JP Morgan am Mittwoch in einer Studie ausführte, entfällt der Großteil der Summe auf den Privatsektor - insbesondere auf Banken. Nur umgerechnet 3,7 Milliarden Euro seien Schulden von öffentlichen Stellen. "Der Finanzierungsbedarf in den nächsten Monaten ist groß und der Zugang zu den Märkten ist problematisch geworden", warnte JP Morgan.
Allein in ausländischen Devisen hätten die türkischen Banken Schulden in Höhe von umgerechnet 77 Milliarden Dollar, die sie in den nächsten 12 Monaten refinanzieren müssen, rechnet Moody's vor. Je stärker die Lira an Wert verliert, desto schneller zehren die Kapitalpuffer der Institute auf. Nach Ansicht der Ratingexperten macht die Abhängigkeit der türkischen Banken von ausländischen Finanzströmen sie besonders angreifbar.
JP Morgan glaubt, dass für Verbindlichkeiten der türkischen Banken von umgerechnet insgesamt 93 Milliarden Euro, die bis Juli 2019 beglichen werden müssen, ein Finanzierungsrisiko besteht.
Lira-Absturz und Bankenschwäche werden die türkische Wirtschaft weiter schwächen: So erwarten die Experten eine Abschwächung des Wachstums in der Türkei auf 1,5 Prozent 2018 und 1,0 Prozent 2019 sowie einen weiteren Anstieg der Inflation.
Doch auch schwache Konjunkturdaten lasteten am Mittwoch auf der Lira: Ein vom türkischen Statistikamt erhobener Stimmungsindikator der Wirtschaft fiel im August auf 83,9 Punkte, nachdem er im Monat zuvor noch bei 92,2 Zählern gelegen hatte. Mit dem Einbruch fiel der Indexwert auf ein Niveau, dass zuletzt in der schweren internationalen Wirtschaftskrise von 2009 erreicht worden war.
Außerdem hat sich das Defizit in der türkischen Handelsbilanz ausgeweitet. Hier meldete das Statistikamt für Juli einen Fehlbetrag von knapp sechs Milliarden US-Dollar und damit etwa eine halbe Milliarde mehr als im Monat zuvor.
"Die Lira-Krise ist noch nicht überwunden", kommentierte Devisenexpertin Esther Reichelt von der Commerzbank. Äußerungen von Finanzminister Berat Albayrak, dass er keine großen Risiken für die türkische Wirtschaft und das Finanzsystem sehe, hätten den Marktteilnehmern wenig Hoffnung auf notwendige Reformen gegeben.
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Auf Zinsanhebungen, die Volkswirte zur Bekämpfung der Lira-Krise als notwendig erachten, deutet nach wie vor wenig hin. Staatspräsident Recep Tayyip Erdogan ist strikt dagegen.
Die Türkei befindet sich derzeit in einer diplomatischen Krise mit den USA, die zusätzlich die Währung schwächt. So war der Streit zwischen den Regierungen in Ankara und Washington unter anderem wegen der Inhaftierung eines US-Pastors in der Türkei vor ein paar Wochen eskaliert. Die USA setzten daraufhin Sanktionen gegen die Türkei und höhere Zölle für bestimmte Waren in Kraft.
Allianz: 2013 hat der Münchner Konzern die Versicherungssparte eines türkischen Finanzunternehmens für 684 Millionen Euro übernommen. Seit dem Zukauf ist die Allianz die Nummer eins auf dem türkischen Markt und versichert mehr als fünf Millionen Türken. Über 2500 Beschäftigte hat der Konzern in der Türkei.
BASF: Seit 1880 ist der Chemiekonzern in der Türkei aktiv. 800 Beschäftigte arbeiten an sechs türkischen Produktionsstätten für BASF. Weitere Türkei-Investitionen erscheinen derzeit unwahrscheinlich: Als sich Europas größtes Chemieunternehmen 2017 mit dem Vorwurf der Terrorunterstützung durch türkische Behörden konfrontiert sah, reagierte der Vorstandsvorsitzende Kurt Bock mit scharfer Kritik.
Bosch: Seit mehr als 100 Jahren ist Bosch mit verschiedenen Tochter- und Gemeinschaftsunternehmen in der Türkei präsent, zunächst mit Niederlassungen, seit 1972 auch mit Produktionsstätten. In der Türkei arbeiten mehr als 17.000 Beschäftigte für den schwäbischen Weltkonzern. Die Türkei ist für Bosch damit nach Deutschland das Land mit den meisten Mitarbeitern in Europa. Weltweit belegt das Land den fünften Rang. Erst im vergangenen Jahr hat Bosch Türkei-Investitionen in Höhe von 650 Millionen Lira angekündigt.
Daimler: In diesem Jahr will Daimler in seinem Werk am türkischen Standort Aksaray doppelt so viele Lastwagen produzieren wie bisher, auch für die Kunden vor Ort. Hinsichtlich der Absatzzahlen ist die Türkei der achtwichtigste Markt für Trucks von Daimler. Der Stuttgarter Konzern beschäftigt mehr als 6000 Mitarbeiter in der Türkei, die in erster Linie Busse und Lkws fertigen.
Deutsche Post: Seit knapp 40 Jahren ist die Deutsche Post in der Türkei aktiv und hat seither große Summen in den Markt vor Ort investiert. Allein bis zum Jahr 2019 sollen weitere 100 Millionen Euro in den Ausbau der Standorte und der Infrastruktur fließen. Damit sollen wachsende Bedarfe gedeckt und die Marktposition weiter gestärkt werden.
HeidelbergCement: Der Baustoffkonzern ist in Form eines Gemeinschaftsunternehmens am türkischen Marktführer im Bereich Zement- und Transportbeton beteiligt. Die 2016 fertiggestellte dritte Bosporus-Brücke wurde mit Material vom Heidelberger Dax-Konzern gebaut. Das Engagement von HeidelbergCement umfasst drei Zementwerke, sieben Zementterminals, fast 40 Transportbetonwerke und mehrere Steinbrüche.
Henkel: Der Konsumgüterkonzern ist seit mehr als einem halben Jahrhundert in der Türkei präsent. An drei Produktionsstandorten beschäftigt Henkel etwa 750 Mitarbeiter. Die in der Türkei hergestellten Produkte bedienen den türkischen Markt, werden aber auch in den Nahen Osten und nach Nordafrika exportiert.
Hugo Boss: Das baden-württembergische Modeunternehmen beschäftigt etwa 4000 Mitarbeiter in der Türkei. Hugo Boss produziert seit 20 Jahren in der Türkei und zählt heute zu den größten Arbeitgebern in der Ägäischen Region. Etwa 15 Prozent der weltweit verkauften Hugo-Boss-Waren werden in der Türkei hergestellt.
MAN: Seit 1967 werden MAN-Fahrzeuge in der Türkei gebaut. Die Volkswagen-Tochter hat mehr als 2000 Mitarbeiter im Land und produziert vor Ort Reise- und Überlandbusse. 2015 hat MAN die Busproduktion von Deutschland in die Türkei verlegt.
Siemens: Im Jahr 2017 hat sich Siemens einen milliardenschweren Großauftrag für ein Windenergieprojekt in der Türkei gesichert. Die türkische Staatsbahn und Siemens haben im April 2018 einen Vertrag über zehn Hochgeschwindigkeitszüge abgeschlossen. Diese Aufträge reihen sich ein in eine Vielzahl von Verflechtungen zwischen dem Technologiekonzern und der Türkei. Insgesamt arbeiten mehr als 3000 Mitarbeiter in der Türkei für Siemens.