Börse Politiker pokern, Anleger kaufen

Kräftige Kursausschläge: Die Krise im US-Kongress ruft manchen Untergangspropheten auf den Plan, doch Investoren bleiben gelassen
Foto: Frank Rumpenhorst/ dpaHamburg - Die Nachricht kam nicht überraschend, die Erleichterung an der Börse war gleichwohl spürbar. Kaum hatte sich herumgesprochen, dass sich die Republikaner in den USA zu einer Anhebung der Schuldenobergrenze für zunächst sechs Wochen bereit erklärt haben, zogen die Kurse an der Wall Street und in Frankfurt kräftig an.
Börsianer sehen das Einlenken des republikanischen Verhandlungsführers John Boehner als Signal, dass die konservative Tea Party ihre Blockadehaltung nicht auf Dauer durchhalten wird - und das russische Roulettespiel der zerstrittenen US-Parlamentarier nicht zu einer Staatspleite führen wird. Der deutsche Leitindex Dax verbuchte daraufhin die größten Kursgewinne seit mehr als vier Wochen und beendete den Xetra-Handel am Freitag bei 8724 Zählern - das ist der höchste Schlusskurs in seiner Geschichte.
Anlass für steigende Kurse hatte es bereits Mitte der Woche gegeben - die Berufung von Janet Yellen zur neuen Fed-Chefin werten Anleger als Zeichen, dass es mit der lockeren Geldpolitik der Fed vorerst weitergehen wird. "Mit ihr wird es keine Revolution in der Geldpolitik geben. Das sollte für die Märkte Sicherheit bringen", betonte Berenberg-Ökonom Christian Schulz.
Und nur wenig später dann erste Entspannungssignale in dem erbittert geführten Politpoker, der Finanzmärkte und Investment-Gemeinschaft gleichsam als Geisel genommen hat: "Diesmal sollte die Wall Street besorgt sein", hatte US-Präsident Obama vergangene Woche nach dem erklärten Haushaltsnotstand gewarnt. Je nachdem welcher Schätzung man folgt, könnte ein nur wenige Wochen andauernder "Shutdown" die USA im vierten Quartal zwischen 0,5 und 1,4 Prozentpunkte Wachstum kosten.
Davon wäre auch die exportstarke deutsche Wirtschaft betroffen. 348 Milliarden Dollar Umsatz erwirtschaften allein die 50 größten deutschen Konzerne in den USA.
Im schlimmsten Fall droht finanzieller Infarkt à la Lehman
Ganz zu schweigen von einer möglichen Zahlungsunfähigkeit der weltgrößten Volkswirtschaft, sollte sich der US-Kongress nicht bis zum 17. Oktober über eine Anhebung der Schuldenobergrenze einigen. Käme es so, müsste die US-Regierung ihre Staatsausgaben von heute auf morgen drastisch senken - um 75 Milliarden bis 175 Milliarden Dollar monatlich, schätzt Goldman Sachs laut "Börsen-Zeitung". Die Folgen für die Wirtschaft wären kaum zu ermessen.
In diesem Worst-Case würden nicht nur die Risikoprämien auf breiter Front steigen. Eine Zahlungsunfähigkeit würde auch eine Serie hochkomplexer Ereignisse im Finanzsystem in Gang setzen, die nicht mehr aufzuhalten wären, warnt Willem Verhagen von ING Investment Management. Dabei bestünde das Risiko eines finanziellen Infarkts à la Lehman.
Die Wahrscheinlichkeit, den "Patienten" wiederbeleben zu können, wäre dann viel geringer als noch im Jahr 2008. Die Organisation der Industrieländer (OECD) hatte ebenfalls in dieser Woche gewarnt, dass eine dauerhafte Haushaltskrise in den USA die Weltwirtschaft in eine Rezession treiben könnte.
Doch auch auf die US-Republikaner wächst im eigenen Land der Druck, sich endlich zu einigen.
"Die USA werden ihre Vormachtstellung in der Weltwirtschaft nicht opfern"
Weil nicht sein darf, was theoretisch möglich wäre, zeigen sich Anleger erstaunlich gelassen. Sie setzen darauf, dass der aktuelle Konflikt im US-Kongress nach demselben Drehbuch verlaufen wird wie die vorangegangenen: Am Ende stand immer eine Einigung im letzten Moment.
"Die Wahrscheinlichkeit ist groß, dass dies auch diesmal gelingen sollte", sagt etwa der Kölner Vermögensverwalter Markus Zschaber. "In den USA wurde die Schuldenobergrenze bereits 106 Mal angehoben - es wäre wirklich eine Überraschung, sollte dies bis zum 17. Oktober nicht erneut passieren", ist ebenso Vermögensverwalter Thomas Grüner von Grüner Fisher Investments überzeugt. Zudem werde sich kein Politiker den finanziellen Untergang der USA auf die Fahne schreiben wollen.
Demokraten und Republikaner wüssten zudem genau, dass viel mehr auf dem Spiel steht als ein zweifelhafter parteipolitischer Erfolg: "Es geht um die Vormachtstellung der USA in der Weltwirtschaft, und die werden sie nicht auf dem innenpolitischen Altar opfern", sagt Zschaber.
Anleger bleiben gelassen - Rekordgewinne der US-Konzerne erwartet
Es gibt noch weitere gute Gründe für Optimismus an den Märkten. Die US-Berichtssaison läuft gut an, wie starke Zahlen von Alcoa (Kurswerte anzeigen) gezeigt haben. Dies lässt auf mehr hoffen. Laut Konsensschätzungen werden die 500 größten US-Unternehmen im dritten Quartal ihre Gewinne um 18 Prozent steigern und am Jahresende zusammen erstmals in der US-Wirtschaftsgeschichte rund eine Billion Dollar Nettogewinn ausweisen: Das ist ein Plus von 15 Prozent gegenüber 2012.
Mit so einer Gewinndynamik werden weder die im Dax noch im EuroStoxx notierten Konzerne glänzen können. Analysten nehmen ihre Gewinnschätzungen seit geraumer Zeit für Dax und Euro Stoxx 50 zurück.
Die Anlageexperten von Robeco und der Commerzbank etwa empfahlen kürzlich noch, europäische Aktien zu meiden - weil ein Großteil der Kurssteigerungen eben nicht auf einen Anstieg der Firmengewinne basiere, sondern den Folgen der expansiven Geldpolitik geschuldet sei. So beziffert die Commerzbank für deutsche Aktien den Einfluss der Unternehmensgewinne an den Kurssteigerungen in den vergangenen zwölf Monaten auf lediglich 20 Prozent.
Wenn dem so ist, stehen Dax und Co. dann nicht vor einer kräftigen Korrektur, sobald die Zinsen wieder steigen?
"Potential für Aktien"
Investmentprofi Thomas Grüner teilt diese Einschätzung nicht. "So lange die Schere zwischen der Gewinnrendite der Unternehmen - also dem umgekehrten Kurs-Gewinn-Verhältnis - und den Renditen im Anleihebereich so groß ist, droht keine nachhaltige Gefahr. Aktien sind gegenüber Anleihen dramatisch unterbewertet", sagt Grüner.
Aus Sicht des Vermögensverwalters spreche viel mehr dafür, dass nach der per Saldo langen Seitwärtsphase der vergangenen 13 Jahre die Aktienmärkte vor einer grundsätzlichen Neubewertung stünden. "Das Potential ist gewaltig. Die jetzige Niedrigzinsphase wird - auch wenn sie in Kürze enden sollte - durch Zinsfestschreibungen noch lange nachwirken."
Auch Vermögensverwalter Zschaber kann der These einer liquiditätsbedingten Überhitzung am Aktienmarkt nicht viel abgewinnen, schon gar nicht mit Blick auf den Dax. Seinen Analysen zufolge korreliere die Dynamik der Weltwirtschaft eng mit der Gewinnentwicklung der Unternehmen. Die Weltkonjunktur ziehe an und werde 2014 zusätzlich Fahrt aufnehmen.
"Jeder Prozentpunkt, den die Weltwirtschaft um über 2,5 Prozent im Vorjahresvergleich zulegen kann, bedeutet ein reales Gewinnwachstum von rund 12,5 Prozent für deutsche Firmen", rechnet der Kölner Vermögensverwalter vor. Gute Aussichten also, sollte die Weltwirtschaft 2014 um 3,8 Prozent wachsen, wie die Deutsche Bank prognostiziert? Das Umsatzpotential für deutsche Unternehmen, die von einer sich belebenden Weltkonjunktur profitieren werden, sei jedenfalls "sehr attraktitv".
Warum ein Ende der Geldflut die Kurserholung nicht automatisch stoppt
Unter dem Strich zeigen sich beide Vermögensverwalter für deutsche Aktien optimistisch. Dafür sprechen laut Grüner unter anderem die mehrheitlich gesunden Bilanzen der Unternehmen sowie ihre großen Cashreserven, die sie für Aktienrückkäufe, Forschung und den Ausbau innovativer Technologien nutzen. Zwar seien die Konzerne an der Börse nach der jüngsten Erholung nicht mehr unterbewertet. "Das Ende der Fahnenstange dürfte aber auf Sicht der nächsten Jahre noch nicht erreicht sein", sagt Tschaber.
Auch ein nahendes Ende der expansiven Geldpolitik werde der positiven Entwicklung der Unternehmen keinen Abbruch tun, ist Grüner überzeugt. "Großbritannien ist dafür das beste Beispiel", sagt Grüner. Auf der Insel hatte die Bank of England letztmalig vor etwas mehr als einem Jahr Anleihen aufgekauft, seitdem ruht die lockere Geldpolitik - und die britische Wirtschaft berappelt sich trotzdem.
"Ich bleibe optimistisch für deutsche Qualitätsaktien", sagt Zschaber. Der globale Investitionsstau werde sich zusehends auflösen und die deutsche Wirtschaft weit in das Jahr 2014 hinein "maßgeblich" davon profitieren.
Mit ihrer optimistischen Einschätzung stehen die beiden Anlageprofis nicht allein. Zwar sagen die Strategen der Deutschen Bank dem Dax bis zum Jahresende nur noch eine mäßige Entwicklung voraus. Im kommenden Jahr trauen sie dem deutschen Leitindex jedoch den Anstieg zur Schwelle von 10.000 Punkten zu.
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