Reform des deutschen Leitindex Deutsche Börse vergrößert Dax auf 40 Unternehmen

Ohne Zahlenvorlage fliegt man raus: Die Deutsche Börse will die Dax-Familie reformieren
Foto: Frank Rumpenhorst / dpaDie Deutsche Börse vergrößert den Leitindex Dax. Künftig werden dem Dax 40 statt 30 Unternehmen angehören, wie der Betreiber der Frankfurter Börse am Dienstag mitteilte. Im Gegenzug schrumpft der Nebenwerteindex MDax von 60 Unternehmen wieder auf 50. Die Größe des Kleinwerteindex SDax bleibt unverändert.
Börsenchef Theodor Weimer (60) hatte sich immer wieder für eine Vergrößerung des Leitindex eingesetzt. Während der US-Leitindex Dow Jones ebenfalls 30 Unternehmen umfasst, sind die meisten anderen Leitindizes größer. In Frankreich und Italien sind es 40 Werte, der EuroStoxx 50 als Leitindex der Eurozone enthält 50 Unternehmen. Bei Investoren, die sich bis Anfang November zu den im Oktober gemachten Vorschlägen äußern konnten, war die angedachte Vergrößerung durchaus umstritten. So hatte der Investor-Relations-Verband DIRK kritisiert, die "Verzwergung" des MDax würde die Erfolgsstory des Nebenwerteindex nach 25 Jahren infrage stellen. Zudem würden künftig Unternehmen mit einem vergleichsweise geringen Börsenwert dem Dax angehören.
Zugleich zieht der Frankfurter Börsenbetreiber Konsequenzen aus dem Bilanzskandal um Wirecard. So werden Firmen aus ihren Auswahlindizes Dax, MDax, TecDax und SDax verbannt, wenn sie ihre Zahlenwerke nicht fristgerecht vorlegen - also drei Monate nach Geschäftsjahresende und 45 Tage nach Ablauf eines Quartals. Nach einer 30-tägigen Warnfrist führt ein Verstoß gegen diese Anforderungen unmittelbar zum Indexausschluss.
Vorgeschrieben wird auch ein Prüfungsausschuss des Aufsichtsrats, der etwa die Rechnungslegung überwacht und Konsequenzen aus Regelverstößen zieht. Ein solches Gremium hatte der inzwischen insolvente Zahlungsabwickler erst im vergangenen Jahr eingerichtet. Diese Änderungen gelten ab März 2021. Bei wem dies bisher nicht der Fall ist, etwa beim Dax-Konzern Merck KGaA , hat eine Karenzzeit bis August 2022.
Index-Zusammensetzung wird alle sechs Monate geprüft
Ab Dezember 2020 sollen nur noch nachweislich profitable Unternehmen in den Dax aufgenommen werden. Für eine Mitgliedschaft in der ersten Börsenliga müssen Unternehmen in den zwei Jahren vor dem Dax-Aufstieg einen operativen Gewinn (Ebitda) ausgewiesen haben - das hätte dem Essenslieferdienst Delivery Hero die Dax-Mitgliedschaft verwehrt. Die Regelung gilt nur für Dax-Aufsteiger, bestehende Mitglieder betrifft sie nicht. Dem MDax und SDax dürfen unprofitable Unternehmen weiter angehören.
Die vorgeschlagene Verbannung von Firmen, die an umstrittenen Waffen ("controversial weapons") beteiligt sind, findet sich nicht in den Regeländerungen. Das hätte den Flugzeugbauer Airbus getroffen, da eine Tochterfirma die Trägerraketen für französische Atomwaffen wartet. "Insgesamt sind die Regeländerungen zu begrüßen", sagte ein Index-Experte in einer ersten Reaktion. Das gelte auch für den Wegfall des vorgeschlagenen Passus zu Unternehmen, die eben mit so genannten umstrittenen Waffen handeln. "Dafür gibt es ja den Dax 50 ESG." Dieser Index wurde im Frühjahr für ökologisch orientierte Anleger eingeführt. Er bildet die Kursentwicklung der 50 größten und handelbarsten Aktien auf dem deutschen Markt ab, die auf Grundlage von ESG-Kriterien (Umwelt, Soziales und Unternehmensführung) als besonders nachhaltig eingeschätzt werden.
Doch gibt es auch kritische Stimmen zu der Ankündigung der Deutschen Börse. Silke Schlünsen, Head of Corporate Broking bei der US-Investmentbank Stifel, hätte sich weitergehende Schritte gewünscht, um "mehr Kontinuität in der Zusammensetzung des Index zu bekommen". Dieses Ziel werde mit den bevorstehenden Änderungen kaum erreicht. Häufige Wechsel zwischen den Indizes seien fortgesetzt zu erwarten. Auch werde der Dax damit kaum attraktiver für Investoren.
Experten fordern eine grundlegende Reform der Dax-Familie
"Was wir brauchen, ist eine grundlegende Reform der Dax-Familie. Im Zentrum sollte ein einziger, großer Leitindex nach dem Vorbild des S&P 500 stehen", ist Schlünsen überzeugt. Ein neuer, großer Dax wäre für heimische Anleger ebenso wie für Investoren aus aller Welt eine attraktive Möglichkeit, um breit in die deutsche Wirtschaft zu investieren. Vor allem viele globale Investoren wollen keinen reinen Blue Chip-Index, sondern einen diversifizierten Index, der auch die kleinen und mittelgroßen börsennotierten Champions umfasst. Für die kleineren Firmen wäre ein neu konzipierter Index zudem eine gute Möglichkeit, besseren Zugang zu Kapital zu erhalten, betont die Expertin.
Auch Marc Decker, Head of Asset Management bei der Privatbank Merck Finck, hätte sich eine grundlegende Reform der Indexwelt gewünscht. Im Vergleich zu anderen internationalen Indizes sei der Dax ein "Leichtgewicht". Einen substanziellen Unterschied machten die zehn zusätzlichen Unternehmen am Ende kaum machen aus. "Zugleich ergeben sich für die anderen Indizes wie den MDax und den SDax negative Kaskadeneffekte, weil sie ihre Top-Unternehmen an die nächsthöhere Liga abgeben müssen. Um diese Probleme zu lösen, hätte es eine grundlegende Reform der Indexwelt gebraucht", so Decker.
Die Index-Zusammensetzung überprüft die Börse künftig alle sechs Monate statt einmal jährlich im September regulär. Die nächste reguläre Dax-Überprüfung findet damit im März 2021 statt. Ausschlaggebend für den Auf- oder Abstieg sind künftig nur noch die Marktkapitalisierung des Streubesitzes, der Börsenumsatz soll keine Rolle mehr spielen. Stattdessen müssen Indexmitglieder eine Mindestliquidität aufweisen.