Börsenprofi Thomas Grüner zeigt Dax im Aufschwung - warum das Rekordhoch kaum wichtig ist

Bullenstimmung an der Börse: Der Dax wird nach Ansicht unseres Autors weiter steigen
Foto: Boris Roessler/ dpa
Thomas Grüner ist Gründer und Vice Chairman des Vermögensverwalters Grüner Fisher Investments (www.gruener-fisher.de ) mit Sitz in Rodenbach bei Kaiserslautern.
Am Montag, den 24. April 2017 war es vollbracht: Der Dax knackte sein im April 2015 erreichtes Allzeithoch. Im Zuge der Erleichterung um die französische Präsidentschaftswahl erreichte der deutsche Leitindex knapp 12.500 Punkte.
Was bedeutet dieses neue Allzeithoch nun für Anleger? In der aktuell skeptischen Marktphase werden neue Höchststände eher als Warnsignal interpretiert, nicht als Kaufargument. Um die jüngsten Geschehnisse in den richtigen Kontext zu setzen, hilft ein Blick auf die übergeordnete Historie.
Dax-Historie
Die neue Zeitrechnung des Dax beginnt am 31. Dezember 1987, als der Index der 30 größten und umsatzstärksten deutschen Unternehmen auf 1000 Punkte normiert wurde. Er führte den zuvor berechneten Aktienindex der Börsen-Zeitung fort, dessen Historie bis ins Jahr 1959 zurückreicht. Im Gegensatz zu vielen anderen bekannten Leitindizes (S&P 500, FTSE 100 , EuroStoxx 50 ) steht nicht der Kursindex im Mittelpunkt, sondern der Performanceindex. Hier werden die Dividenden mit eingerechnet und als steuerfreie Reinvestition behandelt.

Die Gewichtung einer Aktie im Dax orientiert sich an der Marktkapitalisierung, dabei wird der Anteil an Streubesitz mit dem Aktienkurs multipliziert. Die sechs Schwergewichte im Dax (Siemens, Bayer, SAP, BASF, Allianz und Daimler) vereinen dabei aktuell mehr als 50 Prozent des gesamten Index auf sich. Im internationalen Vergleich stellt der deutsche Aktienmarkt nur rund 4 Prozent der Marktgewichtung der globalen Aktienmärkte.
Regelkunde: Der Dax ist ein dynamisches Konstrukt
Ein Unternehmen fällt aus dem Dax, wenn es bei Börsenumsatz oder Marktkapitalisierung nicht mehr zu den 45 größten Unternehmen gehört und ein Konkurrent existiert, der in beiden Kategorien zu den besten 35 zählt (Fast-Exit-Regel). Umgekehrt wird ein Unternehmen in den Dax aufgenommen, wenn es bei der Marktkapitalisierung und dem Börsenumsatz zu den 25 größten Unternehmen gehört. In diesem Fall scheidet ein Unternehmen aus, das in mindestens einer Kategorie hinter Rang 35 liegt und die niedrigste Marktkapitalisierung aufweist (Fast-Entry-Regel). Beide Regeln existieren auch in leicht abgeschwächter Form als Regular-Exit- bzw. Regular-Entry-Regel.
Als logische Konsequenz ist der "Dax von heute" nicht mehr deckungsgleich mit dem Dax aus den frühen Jahren. Allein in den letzten zehn Jahren wurden 13 Veränderungen vorgenommen, zuletzt wurde K+S durch ProSiebenSat.1 Media ersetzt.
Volatil und renditestark
Seit 1988 konnte der Dax eine Rendite von 8,8 Prozent p.a. erreichen. Das dürfte den Renditeansprüchen der meisten Anleger vollauf genügen, doch der Weg dorthin war nicht einfach - wie immer im Aktienmarkt. Denn statistisch durchschnittliche Jahre sind selten anzutreffen, viel eher resultiert der Schnitt aus der Kombination "extremer" Jahre. In einem positiven Jahr steigt der Dax im Schnitt fast 25 Prozent, in einem negativen Jahr verliert er im Schnitt 20 Prozent. Große Bewegungen sind die Regel - nicht verwunderlich angesichts der Tatsache, dass lediglich sechs Aktien für mehr als 50 Prozent der Wertentwicklung verantwortlich sind. Je volatiler die Investition, desto stärker wird die emotionale Seite der Anleger angesprochen. Der "schmale" Dax-Index ist somit nichts für schwache Nerven.
Was ist hoch, was ist tief?
Mit diesem Zahlenwerk im Rücken ist die Dax-Historie gekennzeichnet von scharfen Korrekturen, empfindlichen Bärenmärkten, zahlreichen Phasen der Übertreibung - und trotz allem der Gewissheit, dass die dynamischen Aufwärtsbewegungen im langfristigen Bild eindeutig dominieren. Tiefe Täler wurden in den letzten 30 Jahren durchschritten, und unzählige neue Höchststände erreicht. Wie die Extrempunkte in der jeweiligen Phase wahrgenommen werden, ist stark abhängig von der Marktstimmung. Kurz vor dem Platzen der Technologieblase wurden die 8000 Punkte im Dax wenig skeptisch gesehen. Wichtiger schien es, investiert zu sein und den Technologie-Boom nicht zu verpassen.
Im Gegensatz dazu wurden die 8000 Punkte im Jahr 2013 mit sehr viel Argwohn aufgenommen, wie eine Art "virtuelle Obergrenze", an der man zuvor schon zweimal abgeprallt war. Im weiteren Verlauf des Bullenmarkts verschob sich diese "Obergrenze" zu 10.000 Punkten, seit 2015 sind es 12.000 Punkte. Im Jahr 1993 wurden 2000 Punkte mit Sicherheit auch schon als hoch angesehen. Die Definition von "hoch" ist also flexibel.
Ebenso ändert sich die Definition von "tief". Im März 2003 stürzt der Dax unter 2500 Punkte, im März 2009 deutlich unter 4000 Punkte, im August 2011 unter 5000 Punkte, im Februar 2016 auf 8600 Punkte. Was haben die Definitionen von "hoch" und "tief" gemeinsam? Die Zahlen sind ansteigend!
Fun Fact: Würde man heute die Prognose äußern, dass der Dax um 4000 Punkte fällt, geht man sicherlich als veritabler Crash-Prophet durch. Nüchtern betrachtet würde man allerdings nur prognostizieren, dass die Zugewinne der letzten 14 Monate wieder abgegeben werden müssten. Man sollte die Volatilität des Dax einfach nicht unterschätzen, weder nach unten und schon gar nicht nach oben.
In diesem Kontext relativiert sich auch der heutige Höchststand von knapp 12.500 Punkten. Ist der übergeordnete Aufwärtstrend intakt, stellt ein neuer Rekord keinen Wendepunkt, sondern nur eine Zwischenetappe dar. Der globale Bullenmarkt ist weiter robust, die Weltwirtschaft wächst, die deutschen Vorzeigeunternehmen ziehen mit. Das neue Hoch wird sich irgendwann deutlich oberhalb der heutigen Stände befinden.
Fazit
Vor allem im übergeordneten Bild offenbaren sich die Vorteile einer langfristigen Aktienanlage. Der Dax liefert ähnlich gute Langzeitrenditen wie andere Indizes einzelner Länder - geht im Vergleich zum breiten Gesamtmarkt allerdings einen volatileren Weg.
Diese Volatilität ist einer der Basisgründe, warum Anleger emotional reagieren und insbesondere in kritischen Abwärtsphasen die eigentlich langfristige Auslegung ihrer Investments aus den Augen verlieren. Ob der Index "hoch" oder "tief" steht, hängt von der subjektiven Einschätzung der Anleger ab.
Dementsprechend datiert die höchste Anzahl deutscher Aktionäre immer noch aus dem Jahr 2000, obwohl das dramatische Niedrigzinsumfeld für eine relative Attraktivität von nie gesehenem Ausmaß sorgt.
Bedenklich ist hierbei vor allem, dass der Anteil deutscher Aktionäre beständig zurückgeht: Der deutsche Vorzeigeindex befindet sich mehr und mehr in ausländischer Hand. Um diesen Trend zu brechen, ist sicherlich mehr Optimismus vonnöten. Die deutsche Wirtschaft trägt einen wichtigen Teil zu einer wachsenden Weltwirtschaft bei, deutsche Vorzeigeunternehmen waren, sind und werden immer ein geeignetes Instrument sein, um von diesem grundlegenden Aufwärtstrend langfristig zu profitieren. Anleger machen es sich allerdings einfacher, wenn sie sich nicht auf 4 Prozent des globalen Angebots konzentrieren, sondern über weltweite Diversifikation ähnliche Langzeitrenditen bei geringerer Volatilität erzielen.