Kurskorrektur am Aktienmarkt "Rückgang auf 8000 Punkte kein Beinbruch"

Händler in New York: Nach Ansicht von Vermögensverwalter Grüner geht die Hausse an der Börse noch weiter
Foto: AP/dpamm: Herr Grüner, die Finanzmärkte sind in Aufregung, an der Börse rutschen die Kurse und einige Schwellenländer-Währungen sind eingebrochen. Was ist da los?
Thomas Grüner: Die Kursverluste an der Börse muss man relativieren, wir haben ja zuvor erhebliche Gewinne gesehen. 2013 ist der Dax um mehr als 25 Prozent gestiegen, was übrigens keineswegs außergewöhnlich ist. Die Statistik zeigt: Wenn der Dax in der Vergangenheit gestiegen ist, hat er im Durchschnitt um rund 26 Prozent pro Jahr zugelegt. Das ist seit 1988 so. Insofern war das vergangene Jahr keineswegs außergewöhnlich. Dass irgendwann eine Korrektur erfolgt, ist selbstverständlich. Seit Jahresanfang sind wir erst etwa 2 Prozent im Minus, das ist noch nicht viel.
mm: Es gibt also noch Luft nach unten?
Grüner: Sicher. Wie weit, ist aber schwer zu sagen. Ich bin mir recht sicher, dass der Bullenmarkt noch nicht beendet ist. Das sehen Sie auch daran, dass - entgegen vielfach geäußerter Ansichten - keineswegs übermäßig viel Optimismus im Markt ist. Die Prognosen der Banken gehen im Schnitt von einem Dax-Plus von 5 bis 6 Prozent im laufenden Jahr aus. Das ist deutlich unter dem Durchschnitt anderer Prognosen der Vergangenheit. Die maximale Prognose, die wir kennen, sagt einen Dax-Endstand von 11.000 Punkten für 2014 voraus, was ebenfalls "nur" ein Gewinn von 15 Prozent in diesem Jahr wäre.
mm: Viele Anleger scheinen das Kursniveau allerdings bereits für recht ambitioniert zu halten.
Grüner: Dabei spielt die Psychologie eine wichtige Rolle, es ist eine Art Bergsteigerphänomen: Je höher die Kurse gelangen, desto riskanter erscheint jeder weitere Schritt. Dabei ist in Wirklichkeit das Gegenteil richtig: Von 1000 Punkten auf 2000 bedeutet es ein Plus von 100 Prozent. Von 10.000 auf 11.000 beispielsweise aber nur 10 Prozent. In beiden Fällen wurden 1000 Dax-Punkte hinzugewonnen. Das heißt: Der Anstieg wird für jeden Index zunehmend leichter.
"Von einem Bärenmarkt kann keine Rede sein"
mm: So rational betrachten das aber nicht alle, die Psychologie spielt an der Börse ein wichtige Rolle.
Grüner: Das ist richtig. Aber auf lange Sicht agiert der Markt schon rational. Sie dürfen auch nicht vergessen: Wir haben schon sehr lange keine Korrektur um 10 Prozent oder mehr gesehen. Meiner Ansicht nach wäre auch ein Rückgang auf 8000 Punkte kein Beinbruch. Vor ein paar Monaten war das noch eine historische Schwelle, die es zu überschreiten galt. Heute würden die Anleger den Markt bei 8000 Punkten vermutlich als günstig bewerten und einsteigen. Ich bin mir sicher, mit den neuen Käuferschichten, die diese Korrektur in den Markt bringt, kommt auch der erforderliche Schwung, um die Marke von 10.000 Punkten zu überspringen.
mm: Noch in diesem Jahr?
Grüner: Schwer zu sagen. Wir haben zwei mögliche Szenarien: In unserem Primärszenario gehen wir davon aus, dass auch 2014 als gutes Aktienjahr enden wird, mit einem Indexstand von mehr als 10.500 Punkten. Es besteht aber auch die Möglichkeit, dass es zu einer längeren Verschnaufpause kommt, bis weit in dieses Jahr hinein. Fest steht für mich nur: Es gibt keinerlei Anzeichen für den Beginn eines Bärenmarktes. Die nächsten drei Jahre sollten per Saldo deutliche Zuwächse bringen.
mm: Was macht Sie so sicher?
Grüner: Zum einen der genannte Aspekt des nicht vorhandenen übertriebenen Optimismus. Zum anderen auch der Vergleich mit den Anleihen als Anlagealternative. Das Kurs-Gewinn-Verhältnis am Markt für deutsche zehnjährige Staatsanleihen liegt derzeit bei etwa 60 - die Rendite bei 1,66 Prozent. Am Aktienmarkt liegen die KGVs bei 13 bis 15, je nach Gewinnschätzung. Daran sehen Sie, dass es zur Aktie derzeit kaum echte Konkurrenz gibt. Dieser große Bewertungsunterscheid wird sich in den nächsten Jahren wieder angleichen.
mm: Geht es um die Börsenentwicklung, richten sich viele Blicke auf die US-Notenbank Fed und deren Geldpolitik. Wie schätzen Sie den Einfluss ein?
"Die Aktie wird irgendwann zu einem knappen Gut"
Grüner: Ich halte die Aussagen, die Geldschwemme der Fed treibe die Wirtschaft an und sorge für die Hausse an der Börse, für Unsinn. Tatsächlich führt die Geldpolitik der Notenbank vor allem dazu, dass die Banken ihre Überschussreserven aufbauen. Die Kreditvergabe weiten sie jedoch nicht aus, weshalb auch kaum Geld in der Wirtschaft oder an den Märkten ankommt. Die viel zitierte Geldschwemme ist in meinen Augen in Wahrheit gar keine. Durch Quantitative Easing, also QE, werden die langfristigen Zinssätze gedrückt und für Banken wird die Kreditvergabe weniger lohnend. Das Kreditwachstum der letzten Jahre ist das schwächste der letzten Jahrzehnte. Nie verlief ein Wirtschaftsaufschwung mit einer so geringen Ausweitung der Kreditvergabe. QE ist eher schädlich als nützlich.
mm: Auch der Absturz der Schwellenländer wurde mit der Sorge um die künftige Fed-Politik erklärt. Ebenfalls Unsinn?
Grüner: Das Problem ist, dass Schwellenländer bei vielen Anlegern noch immer viel zu hoch gewichtet sind. Investoren räumten nach der Finanzkrise ihre Depots auf. Sie warfen etablierte Länder raus und nahmen oft mit viel zu hohen Gewichtungen Emerging Markets und Gold rein. Manche haben deshalb jetzt 50 Prozent ihres Vermögens nur in diesen beiden Bestandteilen, was natürlich gemessen an der tatsächlichen Bedeutung der Schwellenländer in der Weltwirtschaft viel zu viel ist. Das Ergebnis ist, dass Verkaufswellen zu Auswirkungen führen, wie wir sie in diesen Tagen sehen.
mm: Die Anleger sind offensichtlich sehr nervös.
Grüner: Nicht zu unterschätzen ist auch die Gefahr, dass die Probleme der Schwellenländer auf andere Märkte ausstrahlen. Denn die Anleger wollen ihre Verluste mitunter ausgleichen, indem sie anderswo Gewinne mitnehmen.
mm: Zum Beispiel am deutschen Aktienmarkt?
Grüner: Durchaus. Letztlich bleibe ich aber optimistisch. Ich gehe sogar so weit zu sagen: Die Aktie wird irgendwann zu einem knappen Gut. Firmen wie Microsoft oder BASF geben vorerst kaum neue Papiere aus, weil sie kein frisches Geld brauchen. Sie sitzen ja auf Unmengen von Cash-Reserven. Eher stehen daher Aktien-Rückkäufe auf dem Programm. Auf der anderen Seite gibt es die Nachfrage der Investoren, von denen immer mehr Geld in Aktien angelegt wird. Wir haben täglich Leute hier, die größere Summen von kaum verzinsten Festgeldkonten nehmen, um sie in Aktien umzuschichten. Das ist die wahre - und derzeit übersehene - Geldschwemme, die die Kurse in den kommenden Jahren antreiben wird.