Nichts verpassen, Hochmut, Tunnelblick Die Psychologie der Bitcoin-Bullen

Es herrscht eine Stimmung wie vor 18 Jahren, zu Hochzeiten des Neuen Marktes. Das Thema Bitcoin  beherrscht die Schlagzeilen der Wirtschaftsmedien und ist Teil des täglichen Small Talks: "Bitcoin - Was ist denn da los?", "Jetzt noch einsteigen?", "Wann kommt der Crash?" lauten drei der Fragen, bei denen man derzeit auf jeder Party das Interesse der Gäste auf sich zieht.

Möglich, dass die Digitalwährung weiter steigt. Möglich auch, dass der Bitcoin wieder abstürzt. Sicher ist, dass der aktuelle Bitcoin-Hype stark von Börsenpsychologie und menschlichen Verhaltensmustern geprägt wird, die es bereits am Neuen Markt kurz vor dem Platzen der Dotcom-Blase gab.

Wann die Bitcoin-Blase platzt, kann niemand vorhersehen. Weitere extreme Schwankungen um mehrere tausend Dollar wie in dieser Woche sind garantiert. Da beim Bitcoin-Hype viel Geld auf dem Spiel steht, ist es hilfreich, sich über die Motivation des eigenen Handelns klar zu werden: Welcher Bitcoin-Typ sind Sie?

Typ 1: Der Fomo-Typ und die Angst, etwas zu verpassen

Dieser Investoren-Typ zockt mit, auch wenn er nicht den leisesten Schimmer von der Funktionsweise der Blockchain-Technologie und der daraus entstehenden Digitalwährung Bitcoin hat. Für ihn ist ein Bitcoin  oder ein an der Börse handelbares Bitcoin-Derivat lediglich ein Vehikel, um binnen kurzer Zeit viel Geld zu verdienen. Jede neue Geschichte über junge Bitcoin-Millionäre steigert das Verlangen, diesmal beim Bitcoin-Boom dabei zu sein.

mm und Mynd erklären: So funktionieren Kryptowährungen

Mynd

Angst und Gier sind die mächtigsten Triebfedern an der Börse: Die Angst, etwas zu verpassen, und die Gier, das eigene Einkommen ohne Arbeit sprunghaft aufzubessern, sorgt für eine hohe Risikolust. Auch im Neuen Markt hat es viele Investoren nicht interessiert, mit welchem Geschäftsmodell Unternehmen wie Metabox, EM.TV oder Nortel eigentlich Geld verdienen wollen. Entscheidend war, dass der Kurs fast täglich kräftig stieg und man am Ende der Woche rufen konnte: "30 Prozent in fünf Tagen - und Du?"

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Die Sehnsucht nach schnellem, leichtverdienten Geld trübt vor allem bei männlichen Investoren den Blick für das Risiko. Dafür schlägt die Emotion umso stärker in Angst und Panik um, sobald der Kurs in die falsche Richtung läuft. Und Hand aufs Herz: Wer hat bei einer x-beliebigen Neue-Markt-Firma damals nicht rasch die Notbremse gezogen und mit Verlust verkauft, als plötzlich ein fettes Minus im Depot stand?

Wer als "Fomo-Typ" (Fear of missing out) in den Bitcoin-Hype einsteigt, handelt aus Angst, etwas zu verpassen, was andere angeblich reich macht. Doch noch größer ist die Angst, inmitten von angeblich tausenden Bitcoin-Millionären einer der Wenigen zu sein, die mit dem mutmaßlichen Reichmacher Geld verlieren. Garantiert sind bei diesem Investment-Typ Stress, starke Emotionen und hektisches, teures Hin und Her.

Typ 2: Das Anti-Establishment: So geht Reichtum, Baby

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Die größten Digitalwährungen: Bitcoin und die Alternativen

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Dieser Investoren-Typ ist schlauer als alle anderen, die sich mit Kapitalanlage beschäftigen - jedenfalls glaubt er das. Value- oder Growth-Strategien? Fundamentale Recherche? Faust- und Grundregeln des Investierens, wie beispielsweise die Erkenntnis, dass in der Vergangenheit doch jede einzelne Spekulationsblase irgendwann geplatzt sei? Kennt dieser Typus genau - doch er weiß es besser.

This time it's different - dieses Mal ist alles anders, das ist das Credo dieser Bitcoin-Käufer. Über Banker und Analysten, die vor den Risiken des Preis-Hypes warnen, können sie nur schmunzeln: Sorgen und Ängste haben an der Börse noch nie jemanden reich gemacht. Gier und Risikolust dagegen schon.

Auch im Neuen Markt galten allgemein anerkannte Finanzkennzahlen wie etwa das Kurs-Gewinn-Gewinn-Verhältnis einer Aktie oder der Cash-flow der dazugehörigen Firma plötzlich nichts mehr. Und was heute die vielversprechende, weil unabsehbare Zukunft des Bitcoins ist, waren seinerzeit die zum Großteil noch nicht einmal zu erahnenden Möglichkeiten des Internets.

Nur: Dieses Mal ist alles anders - der Glaube an die Einmaligkeit der Chance ist eben nicht neu. Er ist Teil jeder spekulativen Überhitzung - und hat bisher noch jedes Mal den überwiegenden Teil der Investoren enttäuscht.

Typ 3: Die Avantgardisten: Wir wissen es besser

Es gibt nicht wenige Fachleute, die die Blockchain für ein Konzept mit riesigem Potenzial in den unterschiedlichsten Bereichen der Wirtschaft halten. Andere glauben, Kryptowährungen wie der Bitcoin, die ohne die Steuerung durch Zentralbanken auskommen, könnten das weltweite Finanzsystem revolutionieren. Und dann gibt es jene Investoren, die genau mit solchen phantastischen Aussichten jene immensen Preissteigerungen rechtfertigen, die der Bitcoin seit Monaten erlebt.

Dieser Investoren-Typ ist intelligent, technisch versiert und bei Innovationen jeglicher Art immer leicht entflammbar. Im aktuellen Fall heißt das: Er versteht tatsächlich, wie eine Blockchain funktioniert. Er kennt die Möglichkeiten des "Minings" oder des "Hackens". Und er weiß daher selbstverständlich auch en Detail, wie Bitcoins entstehen.

Dass aus solch exklusivem Fachwissen ein Elite-Denken entstehen kann, liegt auf der Hand: Diese Investoren wissen, dass sie einer intellektuell-privilegierten Minderheit angehören. Daher glauben sie, als einzige auch die exorbitante Preisentwicklung beim Bitcoin richtig einschätzen zu können. Das wiederum hat eine fatale Folge: Die Verlustgefahr ist für Bitcoin-Investoren dieses Typs besonders groß.

Schließlich gab es ähnliche "Experten" auch schon zu Zeiten des Neuen Marktes: Leute, die die Geschäftsmodelle der exotischsten Internet-Start-ups beinahe besser erläutern konnten als deren Gründer - und die glaubten, damit auch den Grund für die raketenhaften Abflüge der dazugehörigen Aktienkurse besser zu kennen als jeder andere. Im Rückblick ist bekannt, dass sie damit allzu häufig daneben lagen.

Typ 4: Der Bulle, voller Testosteron

"Der Kurs des Bitcoin hat sich seit Jahresbeginn verzehnfacht." Dieser Satz ist für Anleger brandgefährlich. Aussagen über eine Kursentwicklung der Vergangenheit sagen nichts über die Kursentwicklung der Zukunft aus. Dennoch führt dieser Satz geradewegs in eine der häufigsten Psychologie-Fallen an der Börse. Menschen neigen dazu, Entwicklungen aus der Vergangenheit in die Zukunft zu übertragen - obwohl es für diese Extrapolation keinen Grund gibt. Ein Chart, der über Jahre steil nach oben zeigt, verlockt dazu, diese Linie nach oben einfach weiter zu zeichnen: Doch schon am nächsten Tag kann dieser Chart auch steil nach unten abbrechen - und zwar dann, wenn die frühen Bitcoin-Investoren Kasse machen.

Der Satz "Der Kurs hat sich binnen x Monaten verdoppelt / verdreifacht / verzehnfacht" gehörte zum Standard-Vokabular des Neuen Marktes. Er sagt auch heute nichts über die Zukunft aus. Er bedeutet schlicht, dass der Bitcoin innerhalb kürzester Zeit sehr teuer geworden ist - und viele Käufer, die den Kurs bereits nach oben getrieben haben, nun darauf warten, dass noch mehr Käufer angelockt werden, um ihnen den Bitcoin zu einem noch höheren Preis wieder abzukaufen.

Haupttreiber dieses Bullenmarkt-Arguments ist das pure Testosteron. Wenn die Bullenherde erst einmal losgerannt ist, kann angeblich kaum etwas dieses unglaublich kräftige "Momentum" stoppen. Investoren, die sich dieser Argumentation hingeben und mit der Bullenherde mitrennen, sollten zumindest eines beherzigen: An der Börse wird zum Ausstieg nicht geklingelt. Und was binnen kurzer Zeit stark steigt, kann binnen kurzer Zeit stark fallen.

Typ 5: Der Glücksritter - Augen zu und ab dafür

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Digitale Geschäfte im Blockchain-System: Das Tausend-Augen-Prinzip

Foto: Adam Avery für manager magazin

Dieser Bitcoin-Investor ist mit einem Tunnelblick ausgestattet: Er glaubt fest an ein Kursziel - zum Beispiel, dass der Bitcoin  bald auf 20.000 Dollar steigen oder alternativ wieder unter die Marke von 1000 Dollar einbrechen wird. Jede Information, die gegen seine These spricht, blendet dieser Investor konsequent aus, er sammelt ausschließlich die Argumente für einen weiteren Boom oder für einen baldigen Crash. Vorteil dieser selektiven Wahrnehmung ist, dass man sich nicht täglich mit dem Für und Wider verschiedener Informationen herumschlagen muss.

Der Glücksritter setzt einen (idealerweise für ihn persönlich verschmerzbaren) Betrag ein und wartet ab. Je nach Timing des Investments lässt sich damit viel Geld verdienen oder verlieren. Riskant ist dieses Investment ebenso wie das Investment des Fomo-Investors (Typ 1) - doch der gelassene Glücksritter strapaziert nicht so stark seine Nerven.

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Auch am Neuen Markt haben einige Glücksritter mit Unternehmen wie EM.TV oder Gigabell sehr viel Geld verdient. Auch beim Bitcoin wird das so sein. Als Leitfigur für die breite Masse der Anleger taugen sie nicht - eher als Werbe-Ikonen für einen überhitzten Markt.

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